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BND-Affäre - Thomas im Apparateland

BND-Blamage und Flüchtlingssterben: Innenminister Thomas de Maizière verbeamtet politische Verantwortung – und Angela Merkel verministert sie

Autoreninfo

Georg Löwisch war bis 2015 Textchef bei Cicero. Am liebsten schreibt er Reportagen und Porträts. Zu Cicero kam er von der taz, wo er das Wochenendmagazin sonntaz gründete. Dort kehrte er im Herbst 2015 als Chefredakteur zurück.

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Innenminister Thomas de Maizière lebt in Apparateland. Rumst es in einem Apparat wie jetzt wieder, dann muss er als Obermechaniker vor einem Gremium darüber reden. Dieses rekrutiert sich zwar aus dem Parlament, aber es ist wiederum ein geschlossenes System, aus dem nichts nach draußen dringen darf, auch am Mittwoch nicht, wenn der Minister dort spricht. De Maizière kann die Geheimhaltungsvorschriften durchdeklinieren.

Für den jüngsten Rums im Apparat sind „streng geheime“ Vorgänge ursächlich. Sie weiter geheim zu halten, sei überaus wichtig, um die internationale Zusammenarbeit mit anderen Geheimapparaten nicht zu beeinträchtigen. „Aus dringenden Gründen der nationalen Sicherheit“, so hat es de Maizière am Montag gesagt, es war auf einer Tagung von Chefs deutscher Sicherheitsbehörden, eine Art Mechanikerkongress von Apparateland. 

Deutschland, einig... Apparateland
 

Ja, was für ein verqueres Verständnis der Bundesrepublik hat der Minister denn? Deutschland ist nicht Apparateland, es ist eine Demokratie und somit ein System, zu dem das Konzept der politischen Verantwortung gehört. Es ist eigentlich sehr einfach: Das Volk wählt Politikerinnen und Politiker, nachdem es sich ein Urteil darüber gebildet hat, was die in der Zukunft wohl vorhaben und was sie in der Vergangenheit getrieben haben. Um das zu klären, braucht es Öffentlichkeit. Der Philosoph Julian Nida-Rümelin hat einmal geschrieben: „Demokratie verlangt nach einer öffentlichen Sphäre, in der nach öffentlichen Kriterien gewertet und beurteilt wird.“ 

Zerlegt man die Demokratie jedoch in Verwaltungsvorschriften und Verschwiegenheitsklauseln, dann leidet sie. So wie gerade eben unter dem Innenminister, der sich hinter einem behördlichen Gestus verschanzt, statt der Öffentlichkeit Aufklärung zuzugestehen. Er versucht, die politische Verantwortung zu verbeamten. 

Da ist er nicht der einzige. Jemand anderes handelt ganz ähnlich: Angela Merkel. Als bekannt wurde, dass sich der Bundesnachrichtendienst abermals vom US-Spionagedienst NSA hat hineinlegen lassen, ließ sie ihren Regierungssprecher eine Pressemitteilung aufsetzen. „Im Rahmen der Dienst- und Fachaufsicht hat das Bundeskanzleramt technische und organisatorische Defizite beim BND identifiziert“, hieß es im Text. Er war zwar in Apparatedeutsch geschrieben, damit niemand auf die Idee käme, es handele sich um politisches Versagen der Kanzlerin. Übersetzt richtete sich die Mitteilung aber sehr scharf gegen den Präsidenten des BND und dessen Beamten. Seit Tagen wird nun in Berlin darüber geredet, wer zu welchem Zeitpunkt im Apparat was gewusst hat. Referatsleiter, Abteilungsleiter, beamteter Staatssekretär, Behördenpräsident. Zeitungen drucken Organigramme und Bilder, auf denen bisher recht unbekannte Männer abgebildet sind, die keiner je gewählt hat. 

In Merkels Pressemitteilung wurde im letzten Satz noch eine Frage aufgeworfen. Ob Antworten auf parlamentarische Anfragen zur Spionage möglicherweise revidiert werden müssten. Der Blick von Opposition und Öffentlichkeit wurde durch diesen Satz auf den Mann gelenkt, der diese Antworten unterschrieben hatte: Thomas de Maizière. 

Es wäre nicht das erste Mal, dass Merkel Missstände und Fehlschläge an einen Minister in ihrer Regierung delegiert. Sie ist sehr gut darin. De Maizière verbeamtet politische Verantwortung. Merkel kann mehr: Sie verministert sie sogar. 

Das ist nicht nur feige, sondern auch falsch. Denn eine Stimme für CDU und CSU war zuallererst eine Merkelstimme. Auf Wahlplakaten waren nie Referatsleiter und Behördenpräsidenten abgebildet. Sondern Merkel. Im Fernsehduell stand Peer Steinbrück nicht Thomas de Maizière gegenüber. Sondern Merkel. Die Fehler der Merkelregierung sind deshalb Merkelfehler, vor allem dann, wenn sie sich ausdrücklich einem Thema zuwendet wie dem der NSA, jenen Freunden, die einen gern mal abhören. 

Merkel und ihr Prügelknabe
 

Wie gut Merkel das Verministern von Verantwortung gelingt, lässt sich gerade auch in einer anderen politischen Frage sehen: den Flüchtlingen. Der Prügelknabe dabei heißt zufällig wieder: de Maizière.  

Um Missverständnissen vorzubeugen: Alleine de Maizières Aussage, die italienische Rettungsoperation Mare Nostrum, die mehr als 140.000 Menschen das Leben gerettet hat, sei „Beihilfe zum Schlepperwesen“, ist derart abstoßend, dass man sich fragt, ob der Mann mit einem Rücktritt nicht sich selbst den größten Gefallen täte. 

Nur übersieht man dabei leicht: Die eigentliche Zynikerin ist Angela Merkel. Sie kämpft nun hörbar dafür, die Flüchtlinge in Europa nach einem Quotenmodell zu verteilen, das Finanzkraft und Einwohnerzahl berücksichtigt. Auch wenn das abermals eine kaum von den Flüchtlingen her gedachte Idee ist, die beispielsweise dort am besten untergebracht wären, wo er oder sie Verwandte hat. Dennoch wäre das Quotenmodell eine Verbesserung im Vergleich zu den Dublin-Regeln, nach denen das Land profitiert, das sich am erfolgreichsten abschottet. Immerhin.

Allein Merkel räumt dieser Frage erst jetzt eine gewisse Priorität ein. Warum bloß? Schon in den vergangenen Jahren ertranken tausende Flüchtlinge im Mittelmeer. Bei wie vielen Gelegenheiten hat Merkel Kollegen aus der EU zum Quotenmodell gedrängt? Gab es nicht die eine oder andere Situation, in der ein europäischer Regierungschef etwas von der deutschen Bundeskanzlerin haben wollte? Und sie die Gegenforderung hätte aufmachen können: Dann nehmen Sie bitteschön mehr Flüchtlinge. 

Sie hat die Zeit verplempert. Sie hat ihrem Minister zugeschaut. Doch der Prügelknabe ist jetzt er, ein Gestriger, in einer Rolle, die sie einst, nach Fukushima, auch ihrem Atomknappen Stefan Mappus zugedacht hatte.

Das Sterben der Flüchtlinge, die Blamage des BND – es sind nur zwei Fälle in denen die politische Verantwortung zugewiesen werden muss: der politisch Verantwortlichen. Von der Öffentlichkeit, von der Opposition, von der SPD in der Bundesregierung. Eine öffentliche Befragung der Kanzlerin  wäre ein Anfang. Ein bisschen weniger Apparateland. 

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