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Bernhard Vogel - „Das Konservative muss beweisen, dass es für die Zukunft taugt“

Im Interview mit Cicero Online spricht der frühere Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Thüringen über Konservatismus, die CDU und Europa. Seine Erwartungen an die Große Koalition sind nicht übertrieben hoch

Nils Heisterhagen

Autoreninfo

Nils Heisterhagen ist Sozialdemokrat und Publizist. Zuletzt sind von ihm im Dietz-Verlag erschienen: „Das Streben nach Freiheit“ und  „Die liberale Illusion“.

So erreichen Sie Nils Heisterhagen:

Cicero Online: Herr Vogel, nach Ihrem akademischen Lehrer Dolf Sternberger soll der Bürger ein Staatsfreund sein. Dieser ist zwar ein Freund der Institutionen des Staates, soll aber auch selbst politisch agieren und sich nicht allein auf die Institutionen verlassen. Ist das nicht eine republikanische Auffassung?

Bernhard Vogel: Ob es republikanisch ist, vermag ich weniger zu sagen, als dass es eine grundsätzliche und prinzipielle Aussage ist, die wie alle solchen Aussagen nicht immer vollständig in der Praxis zutreffen. Sternberger, so kann man vielleicht sagen, ist durch seine Lebensgeschichte, die er durchlebt hat, die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus, dazu bekehrt worden, sich politisch zu engagieren.

Das heißt, man muss sich in die politische Debatte einschalten, man muss aktiv sein im Dialog mit seinen Mitbürgern?

Man muss sich engagieren, man muss Kenntnisse haben und man muss in der Tat mitwirken. Wenn man ein guter Bürger sein will, dann muss man sich um das, was um einen herum passiert, kümmern.

Würden Sie sagen, dass Angela Merkel gerade dieser republikanische Geist fehlt, weil sie sich aus allen politischen Diskussionen heraus hält und im Wahlkampf lieber mit ihrer Person geworben hat?

Warum soll man nicht mit einer überzeugenden Persönlichkeit werben, die für den Durchschnittsbürger mehr Anschauungsunterricht als ein theoretisches Buch vermittelt? Frau Merkel steht dafür, dass viele Bürger in Deutschland Sympathien zu unserem Staat und unserer gegenwärtigen demokratischen Ordnung entwickelt haben.

Aber Sternberger, Hannah Arendt und andere Personen wollten nach 1945 doch gerade den Personenkult beenden.

Ich bin gegen jede Form von Personenkult, auch gegen Personenkult mit Frau Merkel. Aber Personenkult und Sympathie zu einer Person sind ja zweierlei.

Was halten Sie generell von der Performance Ihrer CDU?

Bei der letzten Bundestagswahl steht Angela Merkel für unser hervorragendes Abschneiden. In erster Linie steht Angela Merkel selbst für diesen Erfolg und nicht die CDU.

Und was bedeutet das für das Profil der CDU?

Das bedeutet, dass die CDU sich freuen sollte über ihre gegenwärtige Parteivorsitzende, aber auch bedenken sollte, dass nicht immer eine so überzeugende Persönlichkeit an der Spitze der Partei stehen wird.

In einem Vortrag haben Sie den Konservatismus einmal folgendermaßen zusammengefasst: „ ‚Konservativ‘ sein heißt, darauf zu achten, dass Bewährtes erhalten bleibt und verteidigt wird und dass Neues sich beweisen muss.“ Meint das Neue dann auch ein Öffnen nach links?

Das hat mit links und rechts zunächst einmal gar nichts zu tun. Konservativ heißt im Gegensatz zu reaktionär, dass das, was sich in der Vergangenheit bewährt hat, sich beweisen muss, dass es auch für die Zukunft taugt und dass das Neue, was sich anbietet und manchmal schnell populär wird, beweisen muss, dass es besser als das Alte ist.

Sie sind als Politikwissenschaftler in die politische Praxis gewechselt. Handelt der Theoretiker in der praktischen Politik anders als der durch die Ochsentour getriebene Provinzpolitiker?

Ich habe nie beschlossen, Politiker zu werden, sondern bin anfangs von Freunden und von meiner Umgebung gedrängt worden, politische Aufgaben zu übernehmen. Ich habe es dabei als nützlich empfunden, neben Geschichte auch Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre studiert zu haben. Manche Theorie kann den einen oder anderen aber auch am entschlossenen Handeln hindern. Denn er könnte Grundsatzdiskussionen vom Zaune brechen, wo Entscheidungen notwendig sind.

Würden Sie sagen, dass Ihr theoretischer Hintergrund Sie mehr zum Idealisten gemacht hat?

Ich habe mich immer bemüht ein Realist zu sein und kein Idealist. Und für diesen realistischen Blick hat mir meine wissenschaftliche Erfahrung sicher einiges Nützliches mitgegeben.

Sie sprachen in einem Vortrag einmal davon, das „europäische Haus zu vollenden“. Das ist doch schon ein idealistisches Ziel?

Das weiß ich nicht. Das war 1957, als die Römischen Verträge beschlossen wurden, ein idealistisches Ziel. Und heute liegen wir erheblich über dem, was 1957 angefangen hat, gerade durch Realismus sind wir mit Europa weit gekommen. Wir haben es nicht überspannt.

Und wie weit sollten wir mit Europa noch gehen?

Ich glaube nicht, dass in den nächsten Jahrzehnten so etwas wie die Vereinigten Staaten von Europa entstehen. Ich glaube, dass zunächst Europa ein Staatenverbund bleiben wird und sich als dieser bewähren sollte. Mit wichtigen Zuständigkeiten in der Verteidigungs- und Außenpolitik und in der Finanz- und Wirtschaftspolitik in Brüssel, aber ohne Aufgabe der Souveränität der einzelnen Mitgliedsstaaten. Alles andere ist momentan nicht realistisch.

Sie sprechen da jetzt aber schon als Realist. Was wäre, wenn Sie es entscheiden könnten. Sind dann die Vereinigten Staaten von Europa ihr Ideal?

Als Endstation eventuell ja. Aber nicht für heute, weil es für heute völlig unrealistisch ist, dass Länder wie Portugal und Spanien, die Niederlande oder Frankreich bereit wären, ihre nationale Souveränität aufzugeben. Und darauf ist Rücksicht zu nehmen. Deutsche Europapolitik muss nachbarschaftlich sein und nicht bevormundend. Vielleicht sieht es mit einem europäischen Bundestaat in einer Generation anders aus, aber für heute ist es nicht realistisch.

Behindert die Vaterlandsliebe der Deutschen, der Spanier, der Portugiesen, die europäische Integration?

Nein, die ist kein Problem. Sie darf nur nicht überzogen werden. Sie muss mit Thomas Mann gesprochen dazu führen, dass wir deutsche Europäer sind und nicht europäische Deutsche.

Brauchen wir dann so eine Art Europatriotismus?

Wir brauchen diesen Europatriotismus ja. Aber das dauert eben. Es braucht eine lange Zeit der Verständigung und der Annäherung. Wir brauchen Nüchternheit, viel Geduld und die Bereitschaft, immer wieder eintretende Krisen bewältigen zu wollen und die Überzeugung, es auch zu können. Das muss der Weg in der Zukunft sein. Die Vereinigten Staaten von Europa kommen nicht über Nacht. Europa braucht Zeit.

In Europa wie in Deutschland im Besonderen orientiert man sich an der Idee der sozialen Marktwirtschaft. Eine Studie des deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung spricht aber davon, dass 40-50 % der Ungleichheit in Deutschland auf den Familienhintergrund zurückzuführen ist. Müssen wir die Bildungsrepublik ausrufen, um mehr Chancengleichheit möglich zu machen?

An die Verfasser dieser Studie sage ich zunächst einmal: Wie war es vor 20 Jahren, wie war es vor 40 Jahren? Ich glaube, wir haben da schon viel erreicht. Aber in der Tat kann man sich da noch weiterentwickeln. Aber mit dem Begriff der Bildungsrepublik habe ich dann doch so meine Probleme. Das ist doch eher eine Floskel.

Die Große Koalition hätte die Möglichkeit länderübergreifend zu einer guten Lösung zu kommen. Eine große Bildungsreform könnte für die Große Koalition ein zentrales Projekt sein.

Ich bin momentan eher zurückhaltend die Große Koalition mit zuviel Vorschusslorbeeren zu versehen. Da muss man erst mal abwarten, was sie zu Stande bringt. Meine Erwartungen an die Große Koalition sind nicht übertrieben groß. Sie muss unter den gegebenen Umständen sein. Aber eine starke Opposition ist für die Demokratie grundsätzlich besser als eine Große Koalition. Demokratie braucht auch den Widerspruch und den Ideenwettbewerb. Und Bildung im Besonderen ist Ländersache. Das würde auch für die Große Koalition nicht einfacher werden als für eine normale Mehrheitsregierung. Ob die Große Koalition Veränderungsenergie beweist, muss man sehen. Man sollte aber keine falschen Erwartungen haben.

Das Wirtschaftswachstum rangiert heute bei unter 2 % und die Unterschicht hat immer weniger Anteil am Wohlstandswachstum. Muss man nicht was an der Steuerpolitik tun, um die Marktwirtschaft wieder sozialer zu machen?

Wir sollten uns zunächst um die Lebensverhältnisse in anderen Teilen der Welt sorgen, weil die globalen sozio-ökonomischen Ungleichgewichte in der Tat stark gestiegen sind. In Deutschland haben wir ein vergleichsweise hohes Niveau an Wohlstand. Man sollte aber in der Tat nicht davon ausgehen, dass es uns hier in Deutschland immer besser gehen muss. Auch wenn eine gewisse Dynamik für unsere Wirtschaft wichtig ist.

Aber das heißt doch auch, wenn es zu einer Angleichung der Lebensverhältnisse in Deutschland und in der Welt kommen soll, dass es dann zu einer Umverteilung von oben nach unten kommen muss?

Wir haben nach der Wiedervereinigung in Deutschland eine Umverteilung erreicht, die kaum einer für möglich gehalten hat. Die jungen Länder auf dem Gebiet der früheren DDR sind heute, was ihre Lebensverhältnisse betrifft, vergleichbar zu denen im Westen. Deutschland hat da eine unglaubliche Leistung erbracht und dies verdanken wir primär der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland.

Man soll bei der Steuerpolitik momentan erstmal nichts machen?

Doch, einen Bereich gibt es. Man muss etwas gegen die sogenannte Kalte Progression tun. Da ist eine Veränderung alsbald notwendig.

Das klingt nach einer Forderung nach einem vereinfachten Steuersystem.

Das wäre natürlich schön. Aber ich weiß auch, dass wir in Deutschland ebenso gerne über Steuerreformen reden, wie wir sie nicht machen.

Ich danke Ihnen für das Interview.                          

 

 

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