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Bernd Fabritius als Vertriebenen-Präsident - Der Versöhner

Bisher führte Erika Steinbach den Bund der Vertriebenen, eine Frau vom rechten Rand der CDU. Ihr Nachfolger Bernd Fabritius ist liberal, proeuropäisch – und schwul

Autoreninfo

Philipp Daum ist Schüler an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München. Vorher hat er Politik, Geschichte und Jura in München und Santiago de Compostela studiert. Er schreibt für Cicero Online.

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Niemand beachtet den Mann mit der blausilbernen Krawatte, als die Wintersonne müde in den Bundestag scheint und Erika Steinbach aus der Haut fährt. Ihr Oberkörper schwingt vor und zurück, ihre Hände unterstreichen jedes Wort. Sprechen! Sie! Anderen! Nicht! Den! Anstand! Ab! Steinbachs Augen schießen Blitze in Richtung der Grünen-Fraktion.

Ein Redner der Grünen hat der Union kurz zuvor vorgeworfen, das Thema Menschenrechte ihrem rechten Rand zu überlassen: Denn Steinbach ist in der CDU/CSU-Fraktion für Menschenrechte zuständig. „Kampfgruppe Steinbach“ hat der Grüne sie und ihre Kollegen genannt. Steinbach warf ihm Handküsse zu. Ein Sitz neben ihr legte der Mann mit der blausilbernen Krawatte, wie immer, wenn er angespannt ist, Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand auf die hintere Wange, direkt unters Ohr. Als nähme er seinen Puls.

Auch er sitzt im Menschenrechtsausschuss und gehört zur Unionsfraktion. Er ist sogar Steinbachs Nachfolger als Präsident des Bundes der Vertriebenen. Aber er ist kein Teil der Kampfgruppe Steinbach. In gewisser Weise ist Bernd Fabritius sogar das Gegenteil von ihr.

Natürlich wird er ihr deswegen nicht im Bundestag in den Rücken fallen. Als Fabritius um 15.25 Uhr ans Rednerpult tritt, versucht er eine milde Variation der Steinbach-Rede, das ist eine bodenlose Frechheit, Herr Kollege. Seine Beine sind am Boden festgenagelt, die Hände ans Pult getackert. Keine Gesten. Sein Kopf bewegt sich, aber sein Körper schweigt. Er trägt eine Lesebrille.

16 Jahre Steinbach-Ära gehen zu Ende
 

Steinbach, 71, zählt zu den letzten großen Reizfiguren im Parlament. 1991 stimmte sie gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze, vor kurzem meinte sie, homosexuelle Paare mit Kindern hätten so viel Nutzen für die Gesellschaft wie Hobbygärtner. 16 Jahre lang führte sie den BdV mit eiserner Hand. Ihr Nachfolger Fabritius ist 49, CSU, Siebenbürger Sachse, konsensorientiert. Und schwul.

Eine Woche nach der Rede im Bundestag sitzt er in seinem Berliner Büro, auf dem Tisch ein Blatt Papier. Er nimmt einen Kugelschreiber und malt einen Halbkreis: die Unionsfraktion. „Hier ist Erika Steinbach“, sagt er und macht ein Kreuz über das rechte Ende des Kreises. „Und da bin ich.“ Punkt. Und da. Punkt. Und da. Punkt, Punkt, Punkt. Das Blatt sieht aus wie ein Verbinde-die-Punkte-Spiel für Kinder. Was sagt das über Fabritius’ Haltung? Er verortet sich „im wertegebunden-liberal-modernen Flügel“. Er passe „schlecht in Schubladen“. Phrasen?

Vielleicht hilft ein Blick auf sein Leben: Geboren in Agnetheln, Rumänien. 1984 vor Ceausescu geflohen. Seit er als Jugendlicher mit einem 20-Kilo-Koffer nach Deutschland kam, ging es bergauf. Jurastudium, Rechtsreferendar im Verband der Siebenbürger Sachsen, mit 38 in die CSU. 2013 wurde er Bundestagsabgeordneter, 2014 Präsident des BdV.

Fabritius mag keine Schubladen, weil er zu oft in welche gesteckt wurde. Als Siebenbürger Sachse war er in Rumänien der Deutsche und in Deutschland der mit dem schweren Akzent. Im BdV war er der aus dem kleinen siebenbürgischen Verein, kein „echter“ Vertriebener, kein Sudetendeutscher oder Schlesier, einer ohne Hausmacht. In die CSU trat er erst mit 38 Jahren ein. Im Bundestag ist er der, der gerade noch über die Landesliste hereinrutschte. Und im BdV der homosexuelle Präsident.

Anbandeln mit Tschechien und Polen
 

Einer, der von der Gesellschaft so oft etikettiert wurde, will zur Mitte gehören. Er sagt: „Dort ist Siebenbürgen. Hier ist Deutschland. Solche Denkmodelle beenden wir – Denkmodelle nach dem Hier und Dort.“ Die unterschiedlichen Welten will er miteinander versöhnen. Das ist nicht nur sein Programm für einen neuen Vertriebenenbund, es ist die Geschichte seines Lebens.

Geht es nach ihm, soll sich der BdV proeuropäisch, offen, liberal aufstellen. Er hat den Bürgerrechtler Milan Horácek ins BdV-Präsidium geholt, der 1983 mit den Grünen in den Bundestag einzog. Und Fabritius sucht den Kontakt nach Tschechien und Polen – besonders dort war Steinbach zuletzt verhasst. Er sagt, er wolle das „Verbindende ausleben“.

Trotz seines Reformkurses ist er für viele vor allem der erste schwule BdV-Präsident – der Kontrast zu Steinbach ist einfach zu groß. Fabritius will davon nichts wissen. Das betreffe den Privatmann, nicht den Politiker. Er kann seine Rollen erstaunlich schnell wechseln. Es braucht dazu nur zwei Fotos.

Rumänische Botschaft in Berlin. Der rumänische Präsident ist auf Besuch. Er und Fabritius sind seit der Schulzeit Freunde. Fabritius hat an diesem Abend seinen Lebenspartner mitgebracht, einen Berchtesgadener Pensionswirt. Die beiden waren schon mit dem rumänischen Präsidenten und seiner Frau im Urlaub.

Zwei Fotos entstehen: Eines für den Privatmann Fabritius und eines für den Politiker. Fürs Familienalbum steht er mit dem alten Freund und dem Lebensgefährten zusammen. Für die Homepage mit dem kleinen CSU-Logo unten rechts verschwindet der Mann an seiner Seite.
 

Foto: Armin Akhtar

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