
- Warum ist das „Alexa“ eine gute Bausünde, Frau Fröbe?
Wenn sie Gebäude wie das Alexa sieht, bekommt Turit Fröbe Gänsehaut. Die Architektur-Historikerin hat sich auf Bausünden spezialisiert, und die Shopping Mall in Berlin zählt sie zu den „guten Bausünden“. Ihre Kritik ist aber kein Selbstzweck. Sie will Euphorie für eine schönere Stadt erzeugen.
Die Architekturhistorikerin Turit Fröbe hat gelernt, Bausünden zu schätzen. Sie arbeitet als Baukulturvermittlerin mit Ihrer „Stadtdenkerei“ und zeigt Bürgern, was sie im Alltag in ihrer Stadt übersehen, was sie für nicht betrachtenswert halten. Sie hat zwei Bildbände zu Bausünden veröffentlicht: „Die Kunst der Bausünde“, 2020 wieder aufgelegt, und gerade erscheint „Eigenwillige Eigenheime. Die Bausünden der anderen“. Und es gibt ihre „Abrisskalender“ mit den „Bausünden zum Abreißen“.
Frau Fröbe, was ist eine Bausünde?
Eine Bausünde tanzt aus der Reihe, was allerdings auch auf gute Architektur, insbesondere die sogenannte Spektakelarchitektur der Stararchitekten, zutrifft. Die tanzt auch aus der Reihe. Eine Bausünde hebt sich in Farbe, Form, Kubatur, Material von ihrem Kontext ab. Und sie macht wütend.
Ach, doch?
Nein, nicht mich! Ich unterscheide ganz sorgfältig zwischen guten und schlechten Bausünden. Die guten Bausünden, das sind die, die wütend machen, die auf den allerersten Blick die Frage aufwerfen: Wie konnte das passieren? Wer hat das genehmigt? In welchem Gefängnis sitzt der Architekt? Gute Bausünden sind eindeutig, auf sie können sich die meisten einigen.
Einigen in der Erregung über sie?
Im Innenstadtbereich ja, da funktioniert das so ziemlich überall gleich. Alle denken von gutgemachten Bausünden, dass sie austauschbar seien, dass sich nicht dahin gehören. Aber das stimmt nicht. Die haben vielmehr alle eine Originalität und sind untrennbar mit ihrer Stadt verbunden. Und deshalb können sie auch schon wieder einen Wert für die Stadt haben, weil sie etwas über die Stadt erzählen. Auch da sieht man wieder: Gut gemachte Bausünden ähneln guter Architektur. Genauso wie für die gute Architektur braucht es für die guten Bausünden Ambition, Phantasie und Mut! Das sind fließende Grenzen. Sehr viele heute als gute Bausünden wahrgenommene Architekturen haben ihre Karriere als gute Architektur gestartet, wurden gefeiert und sind dann im Laufe der Zeit aus der Mode gekommen.
Können Sie Beispiele nennen?
Das ist ein ganz häufiger Prozess. Ein Beispiel in Berlin ist der futuristische „Bierpinsel“ in Steglitz. Eigentlich ist es die ganze autogerechte Stadt der Nachkriegszeit, alles, was damit zusammenhängt. Unser Architekturgeschmack ist launisch. Nach 15 bis 25 Jahren kann man meist nicht mehr sehen, dass etwas einmal modern und beliebt war. Das betrifft ganz besonders die Architekturen, die etwas wagen, die etwas riskieren, die sich aus dem Einheitsbrei herausheben und eine eigene Message in den Raum tragen. Eben gut gemachte Bausünden. Die entstehen nur mit einer gewissen Ambition, zeugen von Phantasie und haben eine Bild-Qualität, eine Wiedererkennbarkeit.
Haben Sie noch ein Beispiel?
Ich nehme immer gern das „Alexa“ am Alexanderplatz, diese rosarote Shoppingmall. Wer das einmal gesehen hat, wird nie vergessen, dass das Ding am Alexanderplatz steht. Man kann nicht darüber hinwegsehen, das ist so extrem.
Ich muss immer wegschauen, wenn ich vorbeifahre.