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Gabriels Vorschlag - Ausgebremst beim Tempolimit

SPD-Chef Gabriel hat sich für ein Tempolimit auf Autobahnen ausgesprochen. Ist das ein sinnvoller Vorschlag?

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Robert Birnbaum ist Redakteur im Ressort Politik beim Tagesspiegel

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Dass das Thema neu wäre, kann man nun wirklich nicht behaupten. Seit Mitte der 80er Jahre Ölpreisschock und Waldsterben die Autonation Deutschland beunruhigten, schallt der Ruf nach einem Tempolimit regelmäßig durch die Republik. Genau so regelmäßig verhallt er folgenlos. Der jüngste Vorstoß von Sigmar Gabriel für Tempo 120 auf der Autobahn überlebte politisch kaum einen Tag, dann zog der SPD-Chef per „Bild“ die Notbremse: „Sicherheit braucht Vorfahrt, mehr wollte ich nicht sagen.“

Was hat Gabriel zu seiner Forderung getrieben?

Darüber kann man nur spekulieren. Doch liegt die Vermutung nicht fern, dass der SPD-Chef den träge anlaufenden Wahlkampf gern ein wenig aufpeppen würde.

Gabriel hat damit vor vier Jahren Triumphe gefeiert, als er – damals noch aus der zweiten Reihe heraus – eine Anti- Atom-Kampagne entfesselte, die der Kanzlerin Angela Merkel (CDU) arg zusetzte. Offenbar nicht bedacht hat Gabriel dreierlei: Erstens entsteht schnell der Eindruck der Bevormundung, wenn nicht der Kanzlerkandidat, sondern der Parteivorsitzende im Wahlkampf vor Ideen sprudelt. Zweitens wird aus dem Eindruck Gewissheit, wenn der offenbar zuvor nicht konsultierte Kandidat die unerbetene Hilfe brüsk zurückweist: Die Debatte zu führen sei „nicht sinnvoll“, schimpfte Peer Steinbrück. Und drittens ist auch sonst in der SPD kaum einer davon überzeugt, dass ausgerechnet dieses Thema Wähler anlockt.

Wie kommt Gabriels Forderung an?

Freunde gemacht hat sich der SPD- Chef nur bei Umweltverbänden und bei den Grünen, deren Wahlprogramm er mit dem Ruf nach Tempo 120 unterstützt. Grünen-Verkehrsexperte Toni Hofreiter breitet genüsslich aus, dass es die rot-grünen Koalitionsverhandlungen gewiss sehr erleichtern werde, wenn der SPD-Vorsitzende schon auf Grünen-Position einschwenke. Nicht öffentlich schütteln sie aber selbst in der Öko-Partei den Kopf. Erstens sei die SPD seit jeher in der Frage gespalten, weshalb das Thema für sie nicht viel tauge, und zweitens sei der offene Dissens zwischen Parteichef und Kandidat natürlich fatal.

Aus den eigenen Reihen wurde Gabriel denn auch offen ausgebremst. Florian Pronold, Verkehrsexperte und als SPD- Chef in Bayern doppelter Wahlkämpfer, spricht von einer „Debatte zur Unzeit"; SPD-Landespolitiker von Kiel bis Stuttgart verweisen vergrätzt darauf, ihr Hauptproblem mit dem Verkehr bestehe darin, dass er wegen miesen Straßenzustands vielerorts mehr steht als rast.

Die Auto-Lobby und die schwarz-gelbe Koalition summt derweil das alte Lied von der „freien Fahrt für freie Bürger“ vor sich hin. Lange vorbei sind die Zeiten, in denen ihr Widerstand gegen Tempo 100 eine Regierung Helmut Kohl bedrängen konnte. Damals galt das als weiterer Beleg dafür galt, dass der Union der Umweltschutz egal war. Doch von solcher grundsätzlicher Symbolwirkung ist das Thema heute längst nicht mehr.

Was bringt ein Tempolimit für die Verkehrssicherheit?

Tempolimits machen den Verkehr sicherer. Das haben zahlreiche Untersuchungen in Deutschland aber auch in anderen Ländern ergeben. Schon 1984 hat das Bundesamt für Straßenwesen (Bast) errechnet, dass eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 130 Stundenkilometer auf Autobahnen die Zahl der Getöteten um 20 Prozent vermindern könnte, eine Beschränkung auf 100 Kilometer pro Stunde würde sie sogar um 37 Prozent mindern. „Da sowohl das Verkehrsaufkommen als auch das Geschwindigkeitsniveau seitdem deutlich zugenommen haben, dürfen die relativen Minderungseffekte heute noch höher sein. Neuere Untersuchungen hierzu liegen jedoch nicht vor“, schrieb das Umweltbundesamt (UBA) 2003 über diese Untersuchung. Für den Verkehrsclub Deutschland (VCD) ist es „völlig inakzeptabel“, dass seit 1993 nicht einmal mehr die Geschwindigkeiten auf den Autobahnen erfasst werden. Bis dahin hatte das Bast diese Daten noch ermittelt. Lediglich aus Unfallstatistiken des Statistischen Bundesamtes lassen sich einige wesentliche Informationen herauslesen. 42 Prozent aller schweren Unfälle auf Autobahnen sind demnach Geschwindigkeitsunfälle. Zwar gelten Autobahnen im Vergleich mit Landstraßen als sicherer. Von 645 Verkehrstoten im Jahr 2006 starben 331 nach Unfällen wegen überhöhter Geschwindigkeit und 222 davon auf Autobahnabschnitten ohne Geschwindigkeitsbegrenzung.

Dass ein Tempolimit auf Autobahnen die Zahl der Unfälle beträchtlich senken kann, zeigt aus Sicht des VCD das Beispiel der Bundesautobahn A24 zwischen Berlin und Hamburg. Seit Dezember 2002 gilt zwischen den Autobahndreiecken Havelland und Wittstock auf 62 Kilometern ein Tempolimit von 130 Stundenkilometern. Das Ergebnis war eindrucksvoll. Starben 2002 acht Menschen bei Unfällen auf dem Streckenabschnitt, waren es zwischen 2003 und 2006 noch sechs. Die Zahl der Verletzten sank um fast die Hälfte.

Der ADAC argumentiert umgekehrt: Die Zahl der Getöteten auf Autobahnen liege pro eine Milliarde Kraftfahrzeugkilometer in Deutschland bei rund 1,8 – seit Jahren mit fallender Tendenz. In Österreich, wo ein Tempolimit von 130 gilt, sei die Getötetenrate auf Autobahnen 1,5-mal höher als in der Bundesrepublik.

Übrigens führt ein Tempolimit auch zu flüssigerem Verkehr und weniger „Staus aus dem Nichts“, die vor allem wegen hoher Geschwindigkeitsunterschiede entstehen. Die höchste Leistungsfähigkeit einer Autobahnspur wird nach VCD-Informationen mit 2600 Fahrzeugen pro Stunde bei einer Geschwindigkeit von 85 Stundenkilometern erreicht.

Tempo 120 auf Autobahnen würde den Kohlendioxid-Ausstoß von Fahrzeugen auf der Autobahn um neun Prozent senken, hochgerechnet auf den gesamten Verkehr wären es immer noch drei Prozent weniger CO2. Das hat das UBA schon vor Jahren ermittelt. Das entspricht in etwa 3,4 Millionen Tonnen CO2. Der VCD weist darauf hin, dass der gesamte Schienenverkehr in Deutschland nur auf einen Kohlendioxidausstoß von 2,4 Millionen Tonnen im Jahr kommt. Die gesamte deutsche Busflotte ist für 3,3 Millionen Tonnen im Jahr verantwortlich. Oder noch eindrucksvoller: Ein Tempolimit auf Autobahnen könnte für Null Euro zusätzlich so viel Kohlendioxid einsparen, wie die aufwändige energetische Sanierung von Altbauten in einem Jahr einsparen kann. Und dafür zahlen die Steuerzahler im Durchschnitt 1,5 Milliarden Euro Subventionen, dazu kommen die Investitionskosten der Eigentümer. Der Straßenverkehr hat 2010 nach Angaben des Umweltbundesamtes 145,4 Millionen Tonnen CO2 verursacht, das waren 17,4 Prozent der gesamten CO2-Emissionen.

Übrigens bringen langsamere Geschwindigkeiten nicht nur Vorteile für das Klima sondern mindern auch die Schadstoff- und Lärmbelastung. Bei Tempo 120 auf Autobahnen würde die Lärmbelastung an Werktagen nach UBA-Angaben um ein halbes Dezibel sinken, am Sonntag sogar um ein Dezibel, bei Tempo 100 wäre der Effekt noch größer, unter der Woche müssten die Anwohner ein einhalb Dezibel weniger Lärm ertragen, am Sonntag gar drei Dezibel. Die Luftschadstoffe ließen sich durch Tempo 120 auf Autobahnen teilweise beträchtlich senken, bei den Stickstoffoxiden um immerhin zwei Prozent. Die NOx sind wesentlich für die Bildung von bodennahem Ozon mit verantwortlich. Kohlenmonoxid, der akut giftige Bruder von Kohlendioxid, ließe sich auf Autobahnen um 28 Prozent und bezogen auf den ganzen Straßenverkehr immer noch um neun Prozent senken, würde auf Autobahnen nur noch 120 gefahren.

Welche Folgen hätte ein Tempolimit für die Autoindustrie?

Das Institut für Kraftfahrwesen der Universität Aachen hat im Auftrag des Umweltbundesamtes an einem VW Golf mit einer Motorleistung von 125 Kilowatt ermittelt, um wie viel sich der Kohlendioxidausstoß mindern ließe, wenn die Leistung um 50 Kilowatt reduziert würde. Das Ergebnis war, dass die CO2-Emissionen um 28 Prozent sanken. Daraus haben die Forscher hochgerechnet, was eine Fahrzeugauslegung auf eine Höchstgeschwindigkeit auf 160 Stundenkilometer statt 200 oder 250 bedeuten würde: 33 Prozent weniger CO2 aus dem Autoverkehr.

Allerdings hat der Chef des Verbands der Allerdings hat der Chef des Verbands der Automobilindustrie, Matthias Wissmann, ein Tempolimit auf 120 Kilometer pro Stunde auf der Autobahn sofort abgelehnt. Stattdessen sollte intensiv an der Beseitigung von Staus gearbeitet werden, sagte der dem „Handelsblatt“. Dadurch könnten 30 Millionen Tonnen CO2 im Jahr eingespart werden. Er will die Staus nicht über ein Tempolimit mindern, sondern durch mehr und breitere Straßen.

 

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