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Vinzenz Greiner

Reportage-Reihe „Berliner Käseglocke“ (Teil I): Ankommen mit Armin Laschet - Wie ein Provinzfürst den Berliner Machtmorgen genießt

Viele deutsche Politiker bewegen sich in zwei Welten, die bisweilen aufeinanderprallen. Hier ist die Heimat, der Wahlkreis, die Landesparteizentrale. Dort die Bundespolitik in der Hauptstadt. Ankommen im politischen Berlin mit einem CDU-Landeschef

Autoreninfo

Vinzenz Greiner hat Slawistik und Politikwissenschaften in Passau und Bratislava studiert und danach bei Cicero volontiert. 2013 ist sein Buch „Politische Kultur: Tschechien und Slowakei im Vergleich“ im Münchener AVM-Verlag erschienen.

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„Haben wir noch zwei Minuten?“, fragt Armin Laschet. Sicher. Er nimmt einen Zigarillo aus der weißen Schachtel, steckt ihn an, zieht langsam ein. Er ist wieder da in Berlin, wo er nicht Opposition ist wie daheim. Sondern CDU-Bundesvize und damit einer der Vizes von Angela Merkel. In Berlin ist er ein kleiner Teil der Macht. Er entlässt den dicken Rauch wieder in den milden Morgen.

Um sechs Uhr hat Laschet die Maschine am Flughafen Düsseldorf bestiegen, wo „viel los“ sei – Ferienbeginn in Nordrhein-Westfalen. Der Flughafen Tegel wacht um kurz nach halb acht gerade erst auf, ein paar Taxen tuckern vorbei. Die Ferienzeit beginnt im Land Berlin erst Mitte Juli, im politischen Berlin heute die letzte Sitzungswoche des Bundestages vor der Sommerpause.

An diesem Montag ist auch Sitzung des CDU-Präsidiums - in diesem Machtzirkel sitzen die 19 wichtigsten Leute der Partei. Das Gremium setzt Parteitagsbeschlüsse um, steuert die Partei, hat „das große Ganze“ im Blick, wie Laschet sagt. Seit 2012 darf er als stellvertretender Bundesvorsitzender mit dabei sein.

Laschet ist zugleich Chef der CDU Nordrhein-Westfalen und ihr Fraktionsvorsitzender im Landtag. Die Fraktion brachte an der letzten Plenarsitzung am Freitag in Düsseldorf einen Antrag ein, durch den Schwangere besser über die Risiken des Alkoholkonsums aufgeklärt werden sollen. Heute, in Berlin, wird Laschet mit den Schwergewichten sprechen: der Verteidigungsministerin, dem Chef der Unionsfraktion im Bundestag, mit der Kanzlerin. Es geht um die eskalierende Griechenland-Krise, um die Weltbühne.  

Ortswechsel, Themenwechsel, Personalwechsel. Anstrengend?

Ein Satz aus der Käseglocke, einer von draußen


Laschet ist entspannt. Das dunkle Jackett ist offen, die schwarze Aktentasche – eine Terminmappe, und ein paar Autogrammkarten sind darin – lehnt am Bein, die Augen mit den Lachfältchen drumherum gehen dem Zigarillo-Rauch nach. Der Flug, sagt Laschet, sei oft die ruhigste Stunde am Tag. „Alle Handys sind aus, Twitter ruht. Man kann nichts beschleunigen. Man fliegt einfach, ist eine Stunde lang ganz dem Piloten anvertraut.“

Laschet sitzt ständig im Flugzeug – derzeit ist er mindestens zwei Mal pro Monat in Berlin. Als Abgeordneter im Europaparlament war er früher eine Art Verbindungsoffizier, flog in die deutsche Hauptstadt, um die Kollegen in der CDU/CSU-Fraktion auf dem Laufenden zu halten über das, was die Konservativen in Brüssel und Straßburg planten – und anders herum. Zwischen 2005 und 2010 war Laschet Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen. Wenn er damals nach Berlin reiste, holte ihn eine gepanzerte Limousine der Landesvertretung vom Flughafen ab. Heute, da er Oppositionsführer ist, ist ihm so etwas nicht mehr vergönnt.

Laschet lässt sich auf die lederne Rückbank eines Taxis sinken. „Bitte zum Konrad-Adenauer-Haus.“ Kurze Pause. „Also zum CDU-Haus in der Klingelhöfer-Straße.“ Den ersten Satz spricht jemand, der ständig mit anderen Politikern oder politisch Interessierten über Politik spricht. Den zweiten sagt einer, der nichts voraussetzt, sondern erklärt. Der erste stammt aus der Käseglocke, der andere von außerhalb.

„Für mich ist Paris gefühlt näher als Berlin“


Die Käseglocke. So nennen viele diese unsichtbare Kugel, die sich über das politische Berlin zu wölben scheint. Drinnen sprechen Politiker mit Polit-Journalisten mit Lobbyisten. Investitionsstau? Klar! Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB? Haarscharf vorbei an der Verletzung europäischer Verträge. Ausländer-Maut? Sicher nicht europarechtskonform! Wem außerhalb sind diese Begriffe schon derart vertraut?

Die Politik sei abgehoben – finden viele Menschen. Die Politiker verlören in dieser ganz eigenen Hauptstadt-Welt den Bezug zum Alltag vom Ottonormalbürger – das ist der Vorwurf. „Eines der Hauptargumente damals bei der Verlegung der Hauptstadt war, man müsse aus dem beschaulichen Bonn nach Berlin, um die Probleme des Ostens zu verstehen. Diese Wirkung kann ich heute allerdings nicht feststellen“, sagt Laschet. Wenn man sich zwischen den Polit-Treffpunkten Café Einstein und Restaurant Borchardt aufhalte oder sich zwischen dem Bundestag und der eigenen Wohnung bewege, komme man wenig mit dem Berliner Alltag außerhalb des politischen Betriebes in Kontakt. Im kleinen Bonn sei das anders gewesen.

Dort war Laschet vier Jahre lang Bundestagsabgeordneter. 1994 kam er das erste Mal in einer politischen Funktion nach Berlin, als die CDU/CSU-Fraktion bisweilen in der künftigen Hauptstadt tagte. Er sagt, er habe beobachtet, wie die Stadt sich verändert habe. Aber kann jemand das wirklich beurteilen, der meist eine Nacht oder wie heute nur ein paar Stunden in der Stadt bleibt?

Das Taxi rauscht vorbei an den Bäumen und Häusern des Westberliner Stadtteils Moabit. Laschet sagt mit einem Lächeln, er kenne die Strecke mittlerweile. „Für mich ist Paris gefühlt näher als Berlin.“ Bremse. Hupen. Laschet bleibt gelassen, die Hand auf der Rückenlehne des Beifahrersitzes. „Nach Paris sind es etwa 400 Kilometer, nach Berlin gute 600 Kilometer.“ Auch kulturell? „Ja. Wir sind wirklich im Westen verankert – gerade in Aachen. Das ist das alte Karolingische, das Kerneuropa. Der Katholizismus zum Beispiel ist sehr prägend, auch wenn das heute etwas verblasst.“

Blasen in Brüssel, Berlin, Düsseldorf


Der gebürtige Aachener war als Gymnasiast in der katholischen Jugendarbeit engagiert. Trat der CDU bei, begann seine Parteikarriere. Stadtrat Aachen, Landtag NRW, Europaparlament, parlamentarischer Versammlung der Nato, Bundestag. Er gehört zur Welt der Berufspolitik. Er reflektiert sogar ein wenig darüber. Obwohl das ein wenig so klingt, wie wenn ein Raucher sagt, er müsse die Zahl der Zigaretten schon einmal reduzieren oder am besten ganz aufhören. Die Bundestagsabgeordneten hätten zwar noch die Verankerung im Wahlkreis, aber gerade in den arbeitsintensiven Sitzungswochen bleibe nicht viel Zeit, das Leben in der Stadt zu erfahren.

„Das mit der Käseglocke sagt sich so leicht. Die gibt es ja an jedem Ort irgendwie. Zum Beispiel in Brüssel, aber auch in Düsseldorf in geringerem Ausmaß“, sagt Laschet. Wichtige Landespolitiker wie er haben Zugang zur Blase, sind aber nur auf Zeit dort. 

„Die Region, aus der man kommt, ist prägend und sie kann den eigenen Politikstil beeinflussen“, findet Laschet. Im Rheinland sei man prinzipiell eher offen und optimistisch, und versuche irgendwie noch eine Lösung hinzukriegen. Ein Rheinländer genießt aber auch. Der Wagen hält. Die CDU-Zentrale wirkt wie eine riesige gläserne Galeone am Landwehrkanal, die darauf zu warten scheint, irgendwann einmal zu Wasser gelassen zu werden. Laschet steuert das Café des benachbarten Sheraton-Hotels an, bevor dieser schöne Machtmorgen so richtig losgeht. Noch ein Cappuccino. Und ein Zigarillo.

Gestern Abend das Fastenbrechen mit muslimischen Oberhausenern. Gleich die Präsidiumssitzung, danach die 70-Jahr-Feier der CDU, dann mit dem Flugzeug zurück, in den Landtag, abends noch ein Termin in Aachen. Vielleicht entsteht bei den Politikern auch ein Wahrnehmungsproblem, weil sie so hin- und herhetzen zwischen Orten und Aufgaben.

NRW und die Hauptstadt – sie funktionieren nach jeweils eigenen Regeln


Laschet setzt sich an den Tisch des Café. Er spricht mit den Händen, liest nebenbei mit einem Finger den Krümel des Kaffee-Kekses auf. Ohne Hektik, ohne Stress, ohne Zurückhaltung.

Heute Vormittag ist er Vize-Chef einer Partei, die sich schwer tat mit einer Verkürzung des Arbeitsverbotes für Asylbewerber, deren Schwesterpartei die PKW-Maut durchgesetzt hat und die Deutschland gemeinsam mit den Sozialdemokraten regiert, die eine Klima-Abgabe für CO2-intensive Unternehmen durchgesetzt haben. Später, wenn er um 16 Uhr in Düsseldorf landen wird, ist er wieder Chef der nordrhein-westfälischen CDU, der im Landtag als Oppositionsführer gegen die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft wettert, der schon lange einen früheren Arbeitsmarkt-Zugang für Asylbewerber forderte, der sauer ist, dass die Klima-Abgabe durchgesetzt wurde, weil sie im Industrie-Land NRW Arbeitsplätze kostet. Der die Maut schon lange für nicht europarechtskonform hielt.

Düsseldorf und Berlin, NRW und die Hauptstadt. Sie funktionieren nach jeweils eigenen Regeln. „Es gibt Themen, die für unser Bundesland besonders wichtig sind, wo wir parteiübergreifend zusammenarbeiten“, sagt er. So war Armin Laschet mit Hannelore Kraft in der energiepolitischen Arbeitsgruppe bei den Koalitionsverhandlungen bei manchen Themen eher einig als mit manchen Parteifreunden aus anderen Regionen. „Da geht es ja vor allem um regionale Interessen: Es macht einen Unterschied, ob man aus dem Norden kommt und Windenergie noch stärker fördern möchte oder im Süden mehr Subventionen für Photovoltaik will oder eben aus einem Industrieland wie Nordrhein-Westfalen stammt“, sagt Laschet.

„Stärker fokussieren und Ehrenämter reduzieren“


Die Landes- und die Bundesverantwortung in der CDU reichten Laschet lange nicht. Er ist in diversen Organisationen ehrenamtlich tätig, gab auch an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen ein Seminar zur Europapolitik. Verschlampte die Prüfungen, benotete dann 35 Studenten aufgrund von Notizen, doch nur 28 hatten die Prüfung mitgeschrieben. „Die letzten Wochen haben mich zu der Erkenntnis gebracht, dass ich mich stärker fokussieren und meine zahlreichen Ehrenämter reduzieren muss“, sagt er.

Hat sich Laschet mit all seinen Ämtern überladen? Oder ist er ein „rheinländischer Wurstler“, wie ihn die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung wegen der Noten-Affäre taufte? Wie er sich fühlt, wenn man ihn so nennt? Er lacht. Er habe schon heftigere Sachen zu hören bekommen. Er wisse auch nicht, ob ein Rheinländer dies als Beleidigung auffassen würde, sagt er und das wirkt gemessen an dem ganzen Ärger, den er hat, sogar locker. Vielleicht ist er ja noch ein wenig im Flugmodus.

Er schreitet jetzt auf den Eingang des Konrad-Adenauer-Hauses zu. Ein Journalist erkennt ihn, und sofort hat Laschet fünf Mikrophone unter der Nase. Schalter um, ab in die Käseglocke, Berlinmodus. „Wir müssen alles dafür tun, Griechenland im Euro zu halten“, sagt er.

Lesen Sie auch die weiteren Teile der Reportage-Reihe „Berliner Käseglocke“:

Teil I: Ankommen mit Armin Laschet - Wie ein Provinzfürst den Berliner Machtmorgen genießt

Teil II: Das Café Einstein - So wichtig frühstücken

Teil III: Polit-WG – Parlament und Pumpernickel

Teil IV: Sommerfest der Digitalwirtschaft – Das Lobby-Kompott

Teil V: Expansion der Demokratie – Sie bauen, bauen und bauen

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