Angespannte Stimmung vor dem Wahllokal - Die Masken-Wahl

Eine kleine Begebenheit macht deutlich, wie schnell die Stimmung kippen kann: Es ging um die Maskenpflicht im Wahllokal, und wie aus heiterem Himmel kam es zu lautem Streit zwischen einem älteren Mann und dem „Staat“ in Person eines Wahlhelfers. Szenen wie diese dürften typisch sein für die gesellschaftliche Spannung im Land.

Alexander Marguier

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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Was den Wahlakt selbst angeht, bin ich eher konservativ. Will sagen: Wenn es sich irgendwie einrichten lässt, verzichte ich auf die Briefwahl und begebe mich selbst ins Wahllokal. Dieses liegt auch nur wenige Schritte von unserer Wohnung entfernt – ein Gymnasium mit großem Schulhof, dessen Räume für mehrere Fachbereiche „den modernen Bedürfnissen“ entsprechend „neu gestaltet“ wurden, wie es auf der Homepage heißt. Allein schon dafür lohnt der Gang dorthin: Um einmal nachschauen zu können, was man im Berliner Schulwesen unter „modern“ versteht.

Tatsächlich war meine Überraschung groß, als ich gegen Mittag dort ankam: Eine lange Schlange hatte sich bis weit vor das Eingangsportal gebildet, die Menschen blinzelten in die Sonne; Nachbarn winkten einander zu oder unterhielten sich über alles Mögliche. Nur nicht über Politik, soweit ich das mitbekam. Warum dieser Andrang? Warum die Warterei? Ich war davon ausgegangen, diesmal hätten alle längst ihre Stimme per Brief abgegeben, und nur die wirklich hartgesottenen Urnengänger würden persönlich erscheinen.

Ich selbst durfte eine dreiviertel Stunde anstehen, bis es schließlich so weit war. Je näher man dem Klassenzimmer mit den Wahlurnen kam, desto deutlicher wurde der Grund für den zähen Verlauf: Die Leute verbringen einfach mehr Zeit in den Wahlkabinen als sonst. Zumindest hier und heute in Berlin, wo nicht nur der Bundestag gewählt wird, sondern auch das Berliner Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlungen. Außerdem steht noch der Volksentscheid „über einen Beschluss zur Erarbeitung eines Gesetzentwurfs durch den Senat zur Vergesellschaftung der Wohnungsbestände großer Wohnungsunternehmen“ an, wie das Immobilienenteignungsprojekt offiziell heißt. Da braucht es natürlich ein bisschen Zeit, um sich durch die ganze Zettelwirtschaft zu arbeiten.

Auf Krawall gebürstet

Das ältere Ehepaar vor mir war auf Krawall gebürstet – genauer gesagt, dessen männlicher Teil: ein elegant gekleideter Herr um die Siebzig, der es partout nicht einsehen wollte, dass von Betreten des Schulgebäudes an Maskenpflicht herrscht. Nach knapp zwei Minuten kam denn auch prompt ein etwas untersetzter Aufseher mit vielen bunten Tattoos auf beiden Armen angetrabt und stellte den Maskenverweigerer zur Rede. Es folgten gegenseitige Beschimpfungen; die zuvor angenehm entspannte Atmosphäre war schlagartig ruiniert. Erst recht, als sich noch andere Wartende in den Streit einmischen zu müssen glaubten.

Erst, als der Aufseher schließlich drohte, die Polizei zu holen, beruhigte sich die Lage wieder. Oder besser gesagt: Der ältere Herr zog sich mit abschätzigem Gesichtsausdruck sein FFP3-Teil über – und zwar so, dass möglichst schlecht saß und Mund und Nase kaum bedeckte. Ein Ausdruck des Protests gegenüber dem „Staat“ in Person eines tätowierten Wahlhelfers, der auch nur seinen Job tat. Danach peinliches Schweigen bei allen Umstehenden. Ob solche Szenen noch Einfluss auf das Wahlverhalten haben können? Und wenn ja: Welcher Partei sollte es nutzen?

Ich fürchte, dass der Ausgang der heutigen Wahl die gesellschaftliche Spaltung eher noch weiter vorantreiben wird. Es herrscht Unfrieden im Land – nicht nur wegen Maskenpflicht in Wahllokalen. Der Kulturkampf, um den es heute auch geht, hat wahrscheinlich erst begonnen. Und wie schnell die Stimmung kippen kann, das habe ich heute erlebt, als ich 45 Minuten lang anstand, um meine Kreuze an den hoffentlich richtigen Stellen zu machen. Nennen Sie mich naiv – aber ich denke immer noch, dass Wählengehen einen Unterschied macht. Bald wissen wir mehr.

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Bernd Muhlack | So., 26. September 2021 - 16:17

Vor etlichen Jahren hätte ein Siebziger vielleicht noch gesagt:
"Von solchen Bübchen mit bemalten Armen lasse ich mir gar nichts sagen!
Ich war an der Westfront und in Kursk!
Beim Iwan in Gefangenschaft!
Also, hau ab, verpiss Dich!"

Ich habe per Brief gewählt - das Wahllokal ist nicht barrierefrei.
Und auf solche Eskapaden kann ich verzichten.
Ich war weder im Krieg noch bin ich bemalt.

"Wieso gibt es hier zwei Wahlurnen?"
"Eine für die demokratischen Wähler und eine für AfD-Wähler!"
... is ja eigentlich klar ...

"Und was ist mit den Briefwählern?"
"Welche Briefwähler?"

18:00 GONG!
Hoffentlich stürzt hier das Internet/ der Strom nicht ab!
Ich hatte mir ein Notstromaggregat besorgt -
per Lasten-Fahrrad!

Ich schließe mit Foristin Enka Hein und ihrem TIPP: THE DOORS --- THIS IS THE END .......

In der Tat:
Internet funzt!
Es hätte schlimmer werden können - jedoch: abwarten

Prognosen und die ersten Hochrechnungen - mehr muss ich nicht wissen.
Danach sollen sich die Damen Will und Illner lächelnd die Klinke inne Hand drücken...
... man wird sich nichtsnutzig des Abends die Köpfe heiß reden, schwadronieren ...

Möge es noch einen goldenen Oktober geben ...
,,, und morgen hat Tochtern GEB!

=> nach der Wahl ist vor der Wahl ---
um es mit dem ollen Sepp Herberger zu sagen:
"Der nächste Gegner ist immer der schwerste!"

ES IST VOLLBRACHT!

... macht was Positives daraus!

Markus Michaelis | So., 26. September 2021 - 17:51

Das sehe ich ähnlich. Viele Menschen vertreten entspannt ganz vernünftige Positionen. Solange bis ernsthafter über Themen diskutiert wird, die gesellschaftlich auch eine Bedeutung haben, d.h. über die es verschiedene Vorlieben oder Denkweisen gibt. Dann gibt es die Gruppe der eher Unpolitischen, die nicht tiefer einsteigen wollen. Bei den anderen überwiegt das Entsetzen wie andere nur so falsch denken können (in verschiedenste Richtungen).

Ein gemeinsames Feststellen, dass in D heute recht bunt gedacht wird und eine Bereitschaft, das mit mehr Einsatz auch zu diskutieren, ist selten vorhanden. Vielleicht funktionieren Gesellschaften so auch wirklich nicht und setzen einfach mehr Konsens schon voraus? Man weiß es nicht.

Kai Hügle | Mo., 27. September 2021 - 04:46

...dass Ihnen dieser Zwischenfall mit dem älteren Herrn (bei dem es sich Ihrer Beschreibung zufolge um einen Ihrer Leser/Foristen gehandelt haben könnte) erwähnenswert schien, während das Magazin für politische Kultur, dessen Chefredakteur Sie sind, noch immer nicht über Idar-Oberstein berichtet hat, wo ein Maskenverweigerer einen Tankstellenkassierer ERSCHOSSEN hat.

Ernst-Günther Konrad | Mo., 27. September 2021 - 12:53

Die Frage ist berechtigt Herr Marguier. Schon klar, es dauerte ein wenig länger, BT-Wahl, LT-Wahl und Volksabstimmung, das braucht einen Moment. Nur, warum nicht mehr Wahllokale? Haben da wieder praxisferne Verwaltungsmenschen nicht nachgedacht? So etwas ist doch absehbar. Wenigstens scheinen Sie noch alle Wahlzettel bekommen zu haben, das war wohl nicht überall der Fall. Egal. Wählen ist Bürgerpflicht und sie kennen Ihre Pflichten. Ich auch, habe aber Briefwahl gemacht. Der Maskenvorfall ist bezeichnend für fast zwei Jahre schon andauernde Bevormundung und zum Teil aberwitzige Maßnahmen. Natürlich war der Ort der Richtige, um sich aufzuregen, aber eben nicht zu diesem Zeitpunkt unter diesen Umständen. Was der Mann und seine Frau gewählt haben, kann man nur erahnen. Jedenfalls hat der Mann die Nase vom Maskentragen voll, nur sind die Wahlhelfer und der Tätowierte eben die falschen Ansprechpartner. Schade das Sie ihn nicht interviewt haben. Seine Beweggründe wären interessant gewesen.

Heidemarie Heim | Mo., 27. September 2021 - 17:06

Antwort auf von Ernst-Günther Konrad

Und draußen eine Schlange wie ansonsten vor dem Damen-Klo! Kein Wunder meine Herren;). Was denken Sie wie lange es dauert aus der "Zettelwirtschaft" ein Origami-Kunstwerk zu falten wie es unser vielleicht künftiger Bundeskanzler gestern fertigte? Und zwar so, das der eigentlich geheime Inhalt nach außen gefaltet beim Urneneinwurf fotogen zur Geltung gelangt;)! Mangelndes Verständnis auch bei dem älteren Herrn, der nach fast 2 Jahren Corona und einer möglichen Impfung seinerseits darauf beharrt, dass es sich bei dem Teil nach wie vor um die sinnlose "Virenschleuder" handelt, als die sie unsere Kanzlerin in ihrer unnachahmlichen Art der Kommunikation benannte in Zeiten des Mangels. Man weiß doch das das Langzeitgedächtnis von uns Alten besser funktioniert als das kurze. Und nein, ich mache den furchtbaren Vorfall von Idar Oberstein, wuchs nah davon auf, keineswegs lächerlich, sondern verweise damit auf die völlig verkorkste "Bürger- Ansprache" der Politik während der Pandemie hin! LG

Nicola Chauvin | Mo., 27. September 2021 - 13:16

Liebe Mitbürger! Ihr werdet staunen: In der Demokratie kommt es nicht nur darauf an, wie gewählt wird, sondern: wie gezählt wird und wie die Zahlen gedäutet werden.
Ein Hoch auf die Demokratie!