Neuwahl zum CDU-Parteivorsitz - Die Methode Merkel hat ausgedient

Unter Angela Merkel ist die CDU endgültig eine Partei opportunistischer Berufspolitiker geworden. Die politische Leidenschaft ist ihnen abhanden gekommen ist. Für eine echte Erneuerung muss nicht nur Merkel abtreten, sondern auch der Merkelismus überwunden werden. Ein Buchauszug

„Die Methode Angela Merkels passt nicht mehr in unsere Zeit“ / picture alliance
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Autoreninfo

Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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In der CDU überlagerten auch vor Merkel schon starke Führungspolitiker streitträchtige Programmfragen. Das war das Glück der CDU und auch das von Deutschland, solange CDU-Kanzler und -Minister geleitet von tief verankerten Überzeugungen und Verantwortungsgefühl für das Gemeinwesen zum Wohl des Landes regierten. Mit Angela Merkel kam aber erstmals eine CDU-Politikerin an die Spitze ihrer Partei und Deutschlands, die beides – politische Positionen der CDU und deutsche Interessen – nicht als Gut betrachtet, das sie zu bewahren hat, sondern als Ballast, dessen Abwurf den Aufstieg zur Macht erleichtert. Wer ein guter Merkelianer sein wollte, musste vor allem in der Lage sein, eigene Positionen aufzugeben und sich zu Absurditäten zu bekennen.

An Merkel geht kein Weg vorbei

Unter den Mandatsträgern der CDU fehlt Mut zum persönlichen Risiko. Dieses Risiko, zu früh aus der Deckung zu kommen, ohne eine neue Mehrheit auf seiner Seite zu haben; also vielleicht die Gunst der Mächtigen und die Aussicht auf einen Ministerposten oder einen aussichtsreichen Listenplatz bei den nächsten Wahlen zu verlieren und vielleicht demnächst außerhalb der Berufspolitik arbeiten zu müssen oder gar nicht in sie hineinzukommen, reicht offenbar in der merkelschen Kader-CDU als abschreckendes Disziplinierungsinstrument schon aus.

Man muss sich nur einmal vorzustellen versuchen, welche Wirkung es gehabt hätte, wenn nicht nur ein paar Abgeordnete der zweiten Reihe, sondern der Bundesinnenminister Thomas de Maizière im Herbst 2015 angesichts des staatlichen Kontrollverlusts seinen Rücktritt erklärt und laut in die Fernsehkameras gesagt hätte: Diesen kompletten Irrsinn mache ich nicht mit! Außergewöhnlichen Heldenmut hätte das gar nicht erfordert. Nur ein klein wenig Zivilcourage angesichts der gewissen Abneigung der Merkelianer und der Häme der Kommentatoren – und eine Existenz als finanziell gut abgesicherter Minister außer Dienst.

Bedingungslose Loyalität

Wer weiß, vielleicht hätte sich Merkels Position in der CDU dann ohnehin schnell deutlich geschwächt. Vielleicht säße ein solcher Ex-Minister heute selbst im Kanzleramt. Zumindest könnte ein solcher Ex-Minister ohne Gesichtsverlust die innere Opposition in der Union anführen. Diese Chance wurde verpasst. 

In der bedingungslosen Loyalität gegenüber der Chefin (statt Loyalität zu politischen Positionen und nationalen Interessen) zeigen sich vermutlich nicht nur Opportunismus und schiere Feigheit, sondern wohl nicht zuletzt auch ein letzter habitueller Rest von Konservatismus bei vielen CDU-Politikern. Ein CDU-Minister, erst recht der Sohn eines deutschen Generals, meutert eben nicht. Auch nicht, wenn ihm seine Beamten, darunter der Präsident der Bundespolizei und der Verfassungsschutzpräsident, klar machen, dass die Entscheidung seiner Chefin fatale Folgen für das Land haben werde. 

Merkel nutzt die Schwäche der Partei 

Merkel, wohlgemerkt, war im entscheidenden Moment ihrer Politikerinnenkarriere im Dezember 1999 ganz und gar nicht feige. Als Seiteneinsteigerin bremste sie sich auch nicht durch CDU-typische Nibelungentreue oder sonstige Rücksichtnahmen selbst aus. Merkel, die zwar keinen klaren politischen Gedanken formulieren kann oder will, aber die Bedingungen des Machtgewinns besser erfasste als jeder andere Zeitgenosse, hat die innere Schwäche der CDU gnadenlos ausgebeutet: ihre Anbetungsbereitschaft gegenüber jedem, der sie regierungsfähig machte.

Merkel hat das getan, was sich ihre Kritiker heute nicht zutrauen. Sie hat Helmut Kohl, dem sie bis dahin fast alles verdankte, in einem berühmt gewordenen Gastbeitrag 1999 in der FAZ die Gefolgschaft aufgekündigt, als der durch die Spendenaffäre verwundbar geworden war. Der Text, den sie nur mit sehr wenigen parteiinternen Kohl-Gegnern besprach, war Merkels entscheidender Schritt auf dem Weg zum Parteivorsitz. Es hätte auch schiefgehen können. Nun müsste die CDU als Kollektiv den Mut aufbringen, den Angela Merkel damals als Einzelne bewies.

Das beschämend unterwürfige Auftreten der Unionsabgeordneten und vor allem der Minister seit 2015 macht klar: Wenn es eine Hoffnung für eine vitale, langfristig überlebensfähige CDU nach Merkel gibt, dann kann sie sich nicht auf deren aktuelle Führungszirkel stützen. Die Erneuerung wird der CDU nur dann nachhaltig gelingen, wenn sie auf politischer Leidenschaft und nicht auf taktischem Kalkül und Postenjägerei aufbaut. Die Partei wird sich deswegen aus der Tiefe der Parteibasis heraus erneuern müssen, getrieben von (noch) nicht von der Politik lebenden, allein aus ideellen Gründen aktiven Mitgliedern.

„Die Partei muss laufen lernen“

Die CDU als Ganze steht heute in der Verantwortung. Was sie als Kollektiv tun müsste zu ihrem eigenen langfristigen Wohl, aber vor allem zum Wohl des Landes: Angela Merkel beim Worte nehmen, die 1999 in ihrem FAZ-Artikel schrieb: „Die Partei muss laufen lernen.“ Damals tat die CDU das gerade nicht. Sie warf sich der neuen Chefin noch untertäniger zu Füßen als zuvor Kohl und opferte ihr alles, wofür sie jahrzehntelang stand.

Das Ergebnis 18 Jahre später ist eine programmatisch völlig entleerte Partei, deren Führung nichts will als die Macht – und sei es mit dem schlechtesten Bundestagswahlergebnis seit 1949 und einem von der SPD dominierten Koalitionsvertrag. Die Folgen für Deutschland sind noch schlimmer: eine destabilisierte, gespaltene Gesellschaft in einem geschwächten Staat, der in Europa weitgehend isoliert und für die Zukunft nicht gerüstet ist.

Wenn die CDU sich nicht zur Rückgewinnung ihrer politischen Lebensgeister aufraffen kann, dann steht ihr mittelfristig der Untergang bevor. Sie könnte dann das Schicksal der Mitte-Rechts-Parteien in Frankreich und der ehemaligen Democrazia Cristiana in Italien erleiden: fortschreitender Wählerschwund, schließlich Aufsplitterung in Kleinparteien. Das wäre ein großes Unglück für Deutschland. Denn große Parteien bedeuten Stabilität.

Rückkehr zu den eigenen Wurzeln 

Wenn die CDU an ihre Geschichte als Volkspartei und Stabilitätsanker Deutschlands wieder anknüpfen will, dann liegt vor ihr nicht nur die akute Aufgabe, ihre langjährige Vorsitzende zu ersetzen. Es geht um viel mehr: Das, was ich als Merkelismus bezeichne und zu entlarven versuche, muss personell und vor allem programmatisch überwunden werden. Die CDU muss sich erneuern, indem sie wieder die alte wird, nämlich die Deutschland-Partei, die Partei der marktwirtschaftlichen Ordnung und die Partei der inneren Sicherheit.

Zu schaffen ist das, indem sie Kraft schöpft aus den eigenen christlichen, konservativen, ordoliberalen Quellen. Eine solche Partei, die das zu Bewahrende bewahrt und das zu Schützende schützt, wäre die erste Wahl für bürgerliche Wähler in den unsicheren Zeiten, die kommen. Statt sich an SPD, Grüne und sogar Linke anzubiedern und deren unerfüllbare Zukunftsversprechen zu kopieren, würde sie ihre Aufgabe darin sehen, deren verschleppten intellektuellen und politischen Bankrott vorzuführen. Es geht um nicht weniger als: die unbedingt notwendige Wiederbelebung der politischen Kultur in der CDU und damit auch in Deutschland.

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Dies ist ein Buchauszug aus „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ von Ferdinand Knauß.

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