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(picture alliance) Deutschland segelt beim Atomausstieg voran, koste es, was es wolle.

Atomausstieg - Am deutschen Wesen soll die Welt genesen

Ein Reaktorunglück in Japan, 9000 Kilometer entfernt, führte zur sofortigen Wende in der Energiepolitik. Deutschland hat damit wieder eine Mission. Endlich!

Am deutschen Wesen soll die Welt genesen – aber diesmal sind wir die Guten. Versprochen! Und wenn der Rest der Welt sich derzeit noch ein bisschen schwer damit tut zu begreifen, warum ein Reaktorunglück in Japan ausgerechnet in einer 9000 Kilometer entfernten Industrienation, die bisher vor Tsunamis einigermaßen sicher schien, zur sofortigen Wende in der Energiepolitik führt, dann kann das nur einen Grund haben. Nämlich den, dass wir Deutschen schon immer ein bisschen besser wussten, was der Menschheit dient.

Sobald die Japaner erst einmal ihre zerstörte Küstengegend aufgeräumt haben, werden sie uns auf dem leuchtenden Pfad in eine strahlungsarme Zukunft folgen. Folgen müssen. Das wäre ja wohl das mindeste. Das sind sie uns jetzt irgendwie schuldig. Und unserer Kanzlerin erst recht, die ja wegen Fukushima über Nacht nicht weniger als ihr Weltbild ändern musste (mit gewissen Kollateralschäden an der Basis ihrer Partei). Kurzum: Deutschland hat wieder eine Mission. Endlich!

Und wer eine Mission hat, der lässt sich auch nicht so schnell davon abbringen. Wie mit Häretikern umzuspringen sei, das hat unlängst der Abraham a Sancta Clara des Neo-Ökologismus, Umweltminister Norbert Röttgen, in aller gebotenen Schärfe und Deutlichkeit ausformuliert. Bei einer Konferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung verkündigte er: Diejenigen, die gegen den Atomausstieg klagen wollten, sollten sich mit der Sorge beschäftigen, „ob sie sich nicht langsam aber sicher an den Rand der Gesellschaft bewegen".

Norbert Röttgen, WG-Mitbewohner von Hans-Christian Ströbele?

Mit anderen Worten: Wer nicht mitmacht, wird zum Paria. Wohlgemerkt: Der Mann teilt sich keine WG mit Hans-Christian Ströbele, sondern ist Mitglied der CDU und muss damit dem sogenannten bürgerlichen Lager zugerechnet werden. Röttgen ist auch kein Diplom-Sozialwirt wie Jürgen Trittin. Sondern promovierter Jurist. Wenn aus solchem Munde zu vernehmen ist, durch das Beschreiten des Rechtsweges würden Kläger zu gesellschaftlichen Outcasts, dann ist das keine harmlose politische Wortklingelei. Es ist vielmehr das Anzeichen eines Dammbruchs. Norbert Röttgen, potentieller Kanzlerkandidat der Union, stellt den demokratischen Rechtsstaat in Frage. Eigentlich ein Fall für den Verfassungsschutz. [gallery:Frau Merkel, bitte wenden!]

Stattdessen jedoch erhält der Umweltminister intellektuelle Schützenhilfe aus den Reihen der staatlich alimentierten Wissenschaft. Kein geringerer als Ulrich Beck, größter Soziologe aller Zeiten (zumindest in der Eigenwahrnehmung), verstieg sich soeben zu der Behauptung, angesichts der Atomkatastrophe von Fukushima würden „Staaten und zivilgesellschaftliche Bewegungen ermächtigt, da sie neue Legitimationsquellen und Handlungsoptionen zum Vorschien kommen lassen. Entmächtigt wird gleichzeitig die Atomindustrie.“ Ob er sich mit solchen Sätzen zum Carl Schmitt des Öko-Faschismus emporschwurbeln will, möge Beck mit sich selbst ausmachen. Wesentlich beunruhigender ist jedoch, dass sein opakes Gedankengut und krudes Ermächtigungsgefasel auf fruchtbaren Boden zu fallen scheint.

Nicht nur Röttgens Ausgrenzungs-Phantasien sind ein Beispiel dafür, sondern auch der Schweinsgalopp, in dem das Parlament zum Atomausstieg getrieben wird. Um es in aller Deutlichkeit festzuhalten: Fukushima ist keine Legitimationsquelle, weder eine neue noch eine alte. Diese Funktion übernehmen in einer parlamentarischen Demokratie immer noch die vom Volk gewählten Abgeordneten. Und sie haben ihre Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen zu fällen. Um dem gerecht zu werden, braucht es Zeit – insbesondere bei einer so komplexen, weitreichenden und volkswirtschaftlich eminent bedeutsamen Materie wie dem Atomausstieg. Die Art und Weise, wie diese zu einer amorphen Masse verklumpten Bundesregierung unter der Führung einer desorientierten Kanzlerin über die ökonomische Zukunft abstimmen lassen, untergräbt letztlich die Demokratie. Dass die Grünen der schwarz-gelben Koalition ausnahmsweise düpiert hinterhereiern müssen, ist ein sehr hoher Preis dafür.

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