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AfD nach Lucke - Jetzt geht die rechtspopulistische Party richtig los

Alle Nachrufe kommen zu früh, erst nach dem Abgang von Parteigründer Bernd Lucke tritt der Parteiaufbau bei der Alternative für Deutschland in seine entscheidende Phase

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Das Drama hat jetzt auch seinen Epilog gehabt. Bernd Lucke ist, wie nach der verlorenen Schlacht von Essen vorherzusehen, aus der AfD ausgetreten. Die Partei, dessen Gründungsmitglied der Professor der Volkswirtschaft war und für die er ein Jahr lang im Europaparlament saß, sieht er auf Abwegen. Er wolle nicht als „bürgerliches Aushängeschild“ für Vorstellungen missbraucht werden, die er grundsätzlich ablehne, teilte er mit. Ob der gefallene Held und seine Mitstreiter eine neue Partei gründen, ist noch nicht entschieden.

Das ging ja schnell. Eben noch wehrte sich Bernd Lucke bei jeder Gelegenheit gegen den Vorwurf, die AfD fische auch in trüben rechten Gewässern nach Wählerstimmen. Schon klagt er über „islamfeindliche und ausländerfeindliche Ansichten, die sich in der Partei teils offen, teils latent, immer stärker ausbreiten und die ursprüngliche liberale und weltoffene Ausrichtung der AfD in ihr Gegenteil verkehren“.

Eben noch war die AfD in den Augen Luckes eine „kleine Volkspartei“, eine Partei des gesunden Menschenverstandes, die das "Altparteienkartell" herausfordern werde. Schon ist sie eine „Protest- und Wutbürgerpartei“. Bis gestern nannte Lucke antisemitische oder ausländerfeindliche Entgleisung in der AfD „Einzelfälle“. Seit heute dienen sich Lucke und seine Mitstreiter allen politischen Gegnern und Kritikern der AfD als Kronzeugen an. Nun ist die AfD „rechtspopulistisch“, „völkisch“, eine „NPD im Schafspelz“.

Offizielle Interpretation: Die AfD ist nach rechts gerückt
 

Dabei hat auf dem AfD-Parteitag in Essen zunächst einmal nur ein für die Parteiendemokratie völlig normaler Vorgang stattgefunden. Bei einer Vorstandswahl ist der Amtsinhaber seiner Herausforderin unterlegen. Nach einem harten und nicht immer fair geführten Wahlkampf musste der Parteichef abtreten. Tränen, Zwischenrufe und Pöbeleien sind Emotionen, die dazugehören, wenn eine Partei ein solches Drama auf offener Bühne aufführt. All das hat es auch schon bei anderen Parteien gegeben. Bei den Grünen gehörten einst auch Bühnenbesetzungen, Wasserpistolen und Farbbeutel zum Repertoire innerparteilicher Machtkämpfe. Als Oskar Lafontaine auf dem Mannheimer Parteitag 1995 gegen den damaligen Parteichef Rudolf Scharping putschte, interessierte ihn die Parteisatzung wenig. Insofern lässt sich von dem AfD-Parteitag in Essen kaum auf die Zukunftsaussichten der AfD schließen.

Die meisten professionellen Beobachter sind sich dennoch einig, die AfD sei erstens mit dem Sturz Luckes und der Wahl von Frauke Petry zur neuen Vorsitzenden nach rechts gerückt. Zweitens habe auf dem Parteitag der Pöbel die Regie in der Partei übernommen. Petry stütze ihre Macht somit auf Geister, die auch ihr schon bald das Leben schwer machen könnten. Die Chancen der AfD, im Herbst 2017 in den Bundestag einzuziehen, seien drittens gesunken. Ohne die seriöse Fassade, mir der Bernd Lucke und seine Professorenriege die Partei umgaben, sei die AfD für enttäuschte Wähler von CDU und FDP nicht mehr wählbar. Kurzum: Die AfD ist gescheitert.

Vielleicht ist Bernd Lucke erstens nicht an den Mitgliedern der neuen Partei gescheitert, sondern an sich selbst. An seinem Unvermögen, Menschen politisch mitzunehmen und in Parteistrukturen einzubinden. An seiner professoralen Attitüde und seinem autoritären Führungsstil. Vielleicht war die AfD zweitens von Anfang an viel rechter und viel populistischer als es der Parteigründer wahrhaben wollte. Der Pöbel, den Lucke nun so tränenreich beklagt, war bei der AfD jedenfalls von Anfang an dabei. Man musste schon blind oder politisch völlig naiv sein, um nicht zu erkennen, dass sich der Erfolg dieser Partei seit ihrer Gründung auch auf Ressentiments, Islamfeindlichkeit und Deutschtümelei stützte. Lucke bot in der AfD von Anfang an auch jenen Leuten eine politische Plattform, die ihn nun in Essen vom Sockel gestürzt haben.

„Wir sind nicht das Weltsozialamt“, plakatierte die AfD zum Beispiel bereits im Bundestagswahlkampf 2013, als Lucke die Partei noch unangefochten führte, weltoffen ist diese Parole nicht. „Griechen leiden, Banken kassieren, Deutsche zahlen“, auch dieses Plakat aus dem Europawahlkampf zeugt nicht von politischer Liberalität, sondern von nationalistischer Engstirnigkeit. Die Euro-Kritik ist für die meisten AfDler eben keine Ableitung aus theoretischen volkswirtschaftlichen Erkenntnissen, sondern der Ausdruck des Misstrauens gegen Europa und die europäische Integration. Dass die Mehrheit der AfDler eher Putin versteht als die transatlantischen Beziehungen verteidigt, auch das war auf vielen Parteiversammlungen nicht zu überhören. Vielleicht also hat die AfD in Essen erst zu sich selbst gefunden.

Das Wählerpotenzial ist da
 

Bleibt die Frage, ist die AfD nach dem Abgang von Bernd Lucke gescheitert? Wie steht es nun um die Wahlaussichten der Partei bei der Bundestagswahl 2017? Sie sind genauso gut oder schlecht wie vor diesem Parteitag. Zwar hat die Partei ein profiliertes und talkshow-taugliches Gesicht verloren, aber anders als die Schill-Partei oder die Republikaner war die AfD nie eine One-Man-Show. Auch Frauke Petry, ihr neuer Stellvertreter Alexander Gauland, die Europa-Abgeordnete Beatrix von Storch oder der Thüringer Landesvorsitzende Björn Höcke können diese Partei in den Medien verkaufen. Das Wählerpotenzial ist da, dies belegen alle Umfragen. Die Zahl der Unzufriedenen, die sich von den etablierten Parteien insgesamt abgewendet haben und grundsätzlich bereit sind eine rechtskonservative und rechtspopulistische Protestpartei zu wählen, ist mittlerweile größer als fünf Prozent. Die CDU, die in die Mitte gerückt ist, hat am rechten Rand eine große Vertretungslücke hinterlassen.

Mit dem Parteitag in Essen ist der Aufbau der AfD in eine neue Phase getreten. Auf die Euphorie der Gründungsphase folgten die ersten Wahlerfolge. Anschließend begannen in der Partei die politischen Klärungsprozesse, die zwangsläufig zu heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen führten. Gleichzeitig nahm der Druck von außen zu, denn natürlich guckt die etablierte politische Konkurrenz nicht tatenlos zu, wenn eine neue Partei entsteht. In Essen hat sich der politische Druck, der sich in den vergangenen beiden Jahren in der AfD und von außen gegen die AfD aufgebaut hat, eruptiv entladen. Jetzt wird es für die AfD darum gehen, zunächst die politischen und programmatischen Trümmer, die der Parteitag hinterlassen hat, aufzulesen und dann die Partei um den übrig gebliebenen Kern organisatorisch und programmatisch neu aufzustellen.

Jetzt beginnt die Gratwanderung
 

Der Grat, auf dem die AfD erfolgreich sein kann, bleibt gleichzeitig schmal. Auch die meisten Protestwähler schrecken vor offener Ausländerfeindlichkeit und jeder Nähe zur NPD zurück. Vor allem im Westen. Auch das Etikett „Pegida-Partei“ wäre für die AfD außerhalb von Sachsen eine Belastung. Auf diesem schmalen Grat muss Petry ihre Partei also nun konsolidieren. Gelingt dies, bleiben der AfD mit Blick auf 2017 alle Chancen.

Die Identitätskrise Europas, die absehbare Pleite Griechenlands, die vielen Flüchtlinge, die in Europa Schutz suchen, die Angst vor dem Islam, all das sind Themen mit denen sich ein rechtspopulistischer Wahlkampf führen ließe. Auch in der Familienpolitik fühlen sich viele Konservative politisch heimatlos. Hinzu kommt: Der eingeführte Markenname „Alternative für Deutschland“ bleibt, selbst wenn Parteigründer Bernd Lucke jetzt geht und eine neue Partei gründet. Zudem bekommt die AfD allein in diesem Jahr mehr als fünf Millionen Euro aus der staatlichen Parteienfinanzierung. Sie hat damit genug Geld, um Wahlkämpfe zu finanzieren. Es kann also sein, dass die rechtspopulistische Party jetzt erst richtig losgeht.

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