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Parteitag in Bremen - Wird die AfD von rechtsaußen gekapert?

Die Alternative für Deutschland trifft sich am Wochenende in Bremen. Auf dem Bundesparteitag könnte sie ihre Zukunft verspielen, bevor sie so richtig begonnen hat. Versinkt die AfD im Chaos?

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Es wird ein politisches Spektakel, dessen Ausgang sich seriös kaum vorhersagen lässt. In Bremen trifft sich die Alternative für Deutschland (AfD) am Wochenende zu ihrem Parteitag. Nach den Wahlerfolgen des vergangenen Jahres, nach dem Einzug ins Europaparlament und in drei ostdeutsche Landtage will die AfD jetzt die Weichen für einen erfolgreichen Bundestagswahlkampf 2017 stellen. Doch der AfD drohen drei Tage politisches Chaos.

Schon das Wort Parteitag beschreibt den Kern des bevorstehenden AfD-Spektakels eigentlich völlig falsch. Denn in einem Bremer Hotel treffen sich nicht die von der Basis gewählten Delegierten. Es findet dort eine bundesweite Mitgliederversammlung statt. 3.150 der rund 22.000 AfD-Mitglieder haben sich angemeldet. Also knapp jedes siebte Mitglied. Die AfD jubelt, spricht von einem „Rekordparteitag“, der in der Geschichte der Bundesrepublik ohne Vorbild sei.

Organisiertes Durcheinander und politischer Dilettantismus


Dabei gibt es viele Unwägbarkeiten. Wie viele Mitglieder tatsächlich kommen werden, weiß niemand. Vorsorglich haben die Organisatoren einen zweiten Saal angemietet, in dem die Mitglieder per Video dabei sind. Schwerer noch wiegt: Niemand in der AfD weiß, wie sich die Mitgliederversammlung zusammengesetzt, ob diese die Mitgliederschaft tatsächlich repräsentiert oder ob bestimmte Parteiflügel besonders gut mobilisiert haben.

Die Abstimmungen auf dem Mitgliederparteitag werden somit unkalkulierbar. Mit Basisdemokratie, auf die sich die AfD beruft, hat das wenig zu tun. Auch nicht mit Transparenz oder Bürgernähe. Eher mit organisiertem Durcheinander und politischem Dilettantismus, bei dem sich diejenigen durchsetzen, die das lauteste Organ und das beste Sitzfleisch haben. Abzustimmen gibt es jede Menge. Das Antragsbuch zum Parteitag umfasst 458 Seiten, allein zur Tagesordnung liegen dem Parteitag bereits 45 Geschäftsordnungsanträge vor.

Die AfD steht am Scheideweg. An diesem Wochenende könnte sich entscheiden, ob die AfD eine politische Zukunft hat oder ob sich die Sektierer, Nörgler und Verschwörungstheoretiker durchsetzen. Die Frage ist auch, wie viele Rechtsextremisten sich dort Gehör verschaffen können. Niemand weiß, wie weit die Mitglieder das Koordinatensystem der Partei nach rechtsaußen verschieben werden. Bereits an diesem Wochenende also könnte die AfD ihre guten Chancen, sich im Parteiensystem zu etablieren und 2017 in den Bundestag einzuziehen, verspielen.

Bernd Lucke will allein regieren


Formal soll der Parteitag vor allem eine neue Satzung verabschieden. Aber wie so häufig verbergen sich hinter Satzungsfragen vor allem Machtfragen. Also wird der Parteitag auch über die Zukunft des Parteigründers und Parteichefs Bernd Lucke abstimmen. Offiziell finden die nächsten Vorstandswahlen erst im April statt.

Lucke hat seine Partei erpresst. Der Professor der Volkswirtschaft und Europaabgeordnete hat seine persönliche politische Zukunft in der AfD daran geknüpft, dass er alleiniger Parteivorsitzender wird und ihm ein Generalsekretär zu Seite gestellt wird. Derzeit gibt es drei Sprecher an der Parteispitze, neben Lucke sind dies Frauke Petry aus Sachsen und Konrad Adam aus Hessen. In den Augen von Lucke lässt sich die Partei mit einer Dreierspitze nicht führen. Die Meinungsverschiedenheiten einer Mehrfachspitze würden die Partei „lähmen“, sagte Lucke im Dezember dem Magazin Cicero. Deshalb dürfe es in der AfD nur einen geben, der an der Spitze steht, „so wie jede Fußballmannschaft nur einen Trainer habe und jedes Schiff nur einen Kapitän.“

Zumindest in den Führungsgremien der Partei hat er sich durchgesetzt. Zwar rebellierten seine Mitstreiter, luden ihn zu einem Krisentreffen, über Wochen wurde die Schlammschlacht in aller Öffentlichkeit ausgetragen. Aber am Ende mussten sie einsehen: Ohne Lucke geht es nicht. Nur für eine Übergangszeit bis zum Jahresende soll die AfD nun zwei Vorsitzende bekommen, bis dahin soll das Parteiprogramm erarbeitet werden. Ab dem kommenden Jahr hat die Partei dann nur noch einen Chef. Zumindest in den Führungsstrukturen würde sich die AfD damit jenen „Altparteien“ annähern, von denen sich auch Bernd Lucke gerne wortreich abgrenzt.

Lucke gilt als autoritär und „Kontrollfreak“


Aber, ob die Mitglieder diesem Votum folgen, ob sie sich Luckes Machtspielchen gefallen lassen, ist völlig offen. Für jede Satzungsänderung muss es auf dem Parteitag eine Zweidrittelmehrheit geben. Und es gibt längst Stimmen in der Partei, die meinen, auf Lucke verzichten zu können, zumal er kein einfacher Parteivorsitzender ist. Er gilt als abgehoben, autoritär und besserwisserisch. Der Brandenburger Landes- und Fraktionschef Alexander Gauland nannte ihn einen „Kontrollfreak“.

Bislang hat Bernd Lucke aus Sicht der Partei vieles richtig gemacht. Der Erfolg der AfD ist vor allem sein Erfolg. Lucke ist das Gesicht der Partei und er ist ihr bürgerlich-intellektuelles Aushängeschild. Vor allem im Westen bindet Lucke Mitglieder und Wähler, die eine nationalkonservative und rechtsliberale Partei wollen, die sich aber nach rechtsaußen abgrenzt. Auch wenn Lucke von Zeit zu Zeit mit Ressentiments spielt und den Rechten in seiner Partei Zugeständnisse machen muss, ist ihm dies bislang mehr recht als schlecht gelungen.

Aber nun droht Lucke seine Partei zu entgleiten, er wird Getriebener seines eigenen Erfolges. Nach den Wahlerfolgen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen trumpfen vor allem ostdeutsche AfD-Politiker auf. Ob Lucke seinen Kurs gegen das ostdeutsche Selbstbewusstsein und den Rechtsdrall an der Basis auch in Bremen durchsetzen kann, ist völlig offen.

Einigen AfD-Politiker sind zudem die Wahlsiege des vergangenen Jahres zu Kopf gestiegen. Sie wollen die AfD nach rechts öffnen und zu einer rechtspopulistischen und islamkritischen Sammlungsbewegung umbauen. Statt Eurokritik wollen sie Fragen wie Islamismus, Asylmissbrauch oder Innere Sicherheit in den Vordergrund der programmatischen Profilierung rücken. Alexander Gauland flirtet zudem unverhohlen mit Putin-Verstehern und Verschwörungstheoretikern. Der Thüringer Landesvorsitzende Björn Höcke versucht, völkische Ideen populär zu machen. Auch der Pegida-Versuchung können manche AfD-Politker nicht widerstehen. Dabei zeigt gerade Pegida, wie schnell eine rechte Basisbewegung in rechtsextremes und neonazistisches Fahrwasser geraten kann. Es ist schwer, sich davon abzugrenzen. In vielen Städten haben Neonazis das Etikett „-gida“ gekapert.

Spagat um Pegida


Bernd Lucke hingegen nannte die Wortführer von Pegida frühzeitig „zwielichtig“, erklärte zugleich die Sorgen der Demonstrationsteilnehmer „über die Ausbreitung von radikalem islamistischen Gedankengut“ für „legitim“. Wie zuletzt oft übte sich der AfD-Chef dabei im Spagat und warb zugleich für Religionsfreiheit und Toleranz, schließlich seien dies abendländische Werte.

Lucke bleibt für die AfD unverzichtbar. Zwar ist Frauke Petry neben ihm die starke Frau in der AfD. Die sächsische Landesvorsitzende wird vermutlich bis zum Jahresende zweite Parteivorsitzende werden. Sie ist Luckes innerparteiliche Gegenspielerin, kann ihn aber nicht ersetzen. Vor allem im Westen nicht, wo etwa vier Mal so viele AfD-Wähler leben. Bei der Europawahl etwa machten 1,6 Millionen Westdeutsche ihr Kreuz bei der AfD, im Osten lediglich 441.359. Petry weiß dies. Sie hat deshalb anders als Konrad Adam oder Alexander Gauland bislang die offene Konfrontation mit Lucke vermieden und nach einer Verständigung mit diesem gesucht.

Islam, Asyl, Pegida, Putin: Der AfD-Parteitag findet also zu einem für die Partei denkbar ungünstigen Zeitpunkt statt. Es ist völlig offen, ob und wieweit die vielen Teilnehmer des Parteitags bereit sind, Bernd Lucke und Frauke Petry zu folgen. Viele Themen werden in Bremen neben der Satzung und der innerparteilichen Machtfrage diskutiert werden.

Eurokritik interessiert die AfD kaum noch


Nur von der Eurokrise, einem möglichen Austritt Griechenlands und den Folgen eines Grexits wird dort wenig die Rede sein – von jenem Thema also, das die Partei starkgemacht hat und das die meisten Wähler neben dem Protest mit der AfD verbinden, vor allem im Westen. Dabei ist die Euro-Frage nach der Griechenland-Wahl hochaktuell.

In Bremen könnten also 3.000 AfD-Mitglieder zwei Wochen vor der Landtagswahl in Hamburg die Zukunft ihrer Partei verspielen, bevor sie so richtig begonnen hat. Als rechtspopulistische Chaospartei mit einer beschädigten Führung wird die AfD kaum Chancen haben, in den Bundestag einzuziehen.

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