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() Wolfgang Schäuble
„Migranten müssen Deutsch lernen“

Für den Bundesinnenminister ist die Integration ausländischer Mitbürger die größte Herausforderung für 2009. Im Gespräch mit Cicero setzt er sich für den Ausbau der Ganztagsschulen ein und plädiert für weniger Berührungsängste gegenüber den Grünen.

Wie wichtig ist es, dass Deutschland die Integration der hier lebenden Migranten gelingt? Das ist eine der größten gesellschaftspolitischen Herausforderung der kommenden Jahre. In Zeiten der Globalisierung leben wir zunehmend mit Menschen aus anderen Ländern und Kulturen zusammen. Das müssen wir stärker als bisher als Chance begreifen, als ein Angebot, dem wir mit größerer Offenheit begegnen sollten. Integration muss gelingen. Bislang haben wir in Deutschland wie überall in Europa noch einen Nachholbedarf bei der Integration. Wo sehen Sie die? Ein großer Nachholbedarf besteht immer noch beim Erlernen der deutschen Sprache. Fehlende Sprachkenntnisse führen zu Benachteiligung in der Schule und auf dem Arbeitsmarkt. Nach wie vor ist die Zahl derjenigen, die ohne Abschluss die Schule verlassen, bei Migrantenkindern doppelt so hoch wie bei Kindern ohne Migrationshintergrund. Damit ist auch die Zahl derjenigen, die hinterher arbeitslos sind, doppelt so hoch. Die damit einhergehende Perspektivlosigkeit für die Betroffenen und die Ressourcenvergeudung für die Gesellschaft werden auch nicht dadurch aufgewogen, dass viele Kinder und Enkel von Migranten gut integriert sind… Was muss also getan werden? Die größte Integrationsmaßnahme des Bundes ist der Integrationskurs. Die Mittel hierfür haben wir gerade auf rund 174 Millionen Euro erhöht. Aber wir müssen auch unbedingt die Förderung im vorschulischen Bereich ausbauen, das betrifft vor allem das Erlernen der deutschen Sprache. Daneben müssen Ganztagsschulen zunehmend zum Regelfall werden. Bei der Akzeptanz von Ganztagsschulen muss auch die CDU umdenken. Wir dürfen allerdings nicht den Fehler machen, mit Blick auf die Integration alle Verantwortung nur auf den Staat zu schieben. Wir werden auch die Eltern stärker in die Pflicht nehmen müssen. Auch sie müssen Deutsch lernen. Es ist überaus wichtig, dass die Frauen die Sprachkurse besuchen. Es kann nicht hingenommen werden, dass jemand 30 oder 40 Jahre in Deutschland lebt und die Sprache nicht spricht. Glauben Sie ernsthaft, die Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte lassen sich aufholen? Das geht nicht von heute auf morgen, doch es muss uns gelingen. Denn angesichts unserer schwierigen demographischen Entwicklung brauchen wir in Zukunft mehr Zuwanderung. Wenn es uns nicht gelingt, die bereits jetzt hier lebenden Menschen zu integrieren, birgt das eine Menge Gefahren… Welche? Die Bildung von Parallelgesellschaften ist für den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedenklich. Deshalb dürfen wir nicht zulassen, dass sie entstehen oder dass sie sich verfestigen. Integration heißt, dass wir zusammenleben wollen und nicht nebeneinander her. Das müssen die Menschen begreifen, die zu uns gekommen sind. Darüber hinaus ist es aber auch Aufgabe der Politik, den Menschen zu vermitteln, dass in einer Öffnung für Neues auch immer gewaltige Chancen und innovatorische Potentiale stecken. Das werden Menschen, die sich fremd im eigenen Land fühlen, nicht so sehen. Deswegen müssen wir ja auch gegen die Segregation arbeiten. Es ist nachvollziehbar, dass Migranten gern dort leben, wo ihre eigenen Landsleute sind. Doch ist unerlässlich, dass sie Deutsch lernen, dass Deutsch überall die Verkehrssprache ist. Aber wenn beispielsweise Deutsche wie zum Teil auch aufgeschlossene Türken aus Vierteln mit hohem Migrationsanteil wegziehen, sobald ihre Kinder eingeschult werden, weil sie dort keine Chancen für ihren Nachwuchs sehen, dann hat die Integration hier versagt. Eine solche Entwicklung dürfen wir nicht hinnehmen. Am 8. Dezember wurde eine neue Webseite zur deutschen Islam-Konferenz geschaltet. Warum haben Sie dieses Datum gewählt und was wollen Sie mit der neuen Webseite erreichen? Das ist das Datum des Opferfestes. Das ist der wichtigste Feiertag für die Muslime. Wir wollten den Feiertag zum Startpunkt nehmen für ein neues Instrument der Deutschen Islam Konferenz. Die Webseite soll ein Dialog-Forum und eine Informationsquelle sein, sodass alle sich noch besser einbringen und diskutieren können. Eine der großen positiven Wirkungen, die die Islam-Konferenz ausgelöst hat, ist die viel intensivere Debatte zwischen Muslimen und anderen. Das Opferfest verbunden mit dem Opferritual ist nicht unumstritten. Muslime sollen ihre religiösen Gewohnheiten im Rahmen unserer Rechtsordnung durchaus leben können. Sie können sie nur nicht allgemein verbindlich machen. Auch zeigen praktische Beispiele, dass die Belange des Tierschutzes ausreichend berücksichtigt werden können. Wäre es im Sinn der Integration, wenn die Imame hierher kämen, um dauerhaft hier zu leben und nicht, wie es die Praxis ist, nur eine gewisse Zeit in Deutschland leben und die Sprache nicht lernen? Richtig. Zunächst einmal arbeiten wir mit der türkischen Regierung daran, dass Imame, die von der Türkei entsandt werden, deutsche Sprachkenntnisse vermittelt bekommen, auch Kenntnisse über unser Land. Denn Imame müssen sich natürlich für die Integration einsetzen und nicht für das Gegenteil. Da ist schon einiges in Bewegung gekommen. Aber Ziel bleibt es, Imame in Deutschland auszubilden. Dazu brauchen wir die Kapazitäten, weshalb wir in der Partnerschaft von Staat und Muslimen Ausbildungsmöglichkeiten an Hochschulen schaffen müssen. Wie hoch schätzen Sie die Bereitschaft in der breiten muslimischen Gesellschaft ein, das Grundgesetz als Grundlage für das Zusammenleben zu betrachten und nicht den Koran? Die meisten Muslime erkennen sehr wohl die Vorzüge unserer säkularen offenen Toleranzordnung. Auch für alle Vertreter in der Islamkonferenz ist es übrigens selbstverständlich, dass die hier lebenden Migranten die Regeln dieses Landes anerkennen. Zugleich gilt, dass die überwältigende Mehrheit der Muslime in Deutschland aus der Türkei stammt. Und dort ist auch nicht der Koran, sondern eine laizistische Rechtsordnung Grundlage der zivilen Ordnung. Was heißt das? Soll der Einfluss des Islam wachsen? Religiöse Überzeugungen und weltliche Ordnung bleiben voneinander getrennt. Das ist nicht verhandelbar. Daneben gibt es gewisse Erwartungen, denen man entgegenkommen muss und es auch tut. Die Tatsache, dass in Deutschland repräsentative Moscheen entstehen, ist ein Beleg dafür. Klar muss aber auch eines sein: Es gibt nicht nur Rechte von Minderheiten. Auch die Mehrheit hat Rechte und berechtigte Ansprüche. Das lässt sich nur durch Rücksichtnahme zur Geltung bringen. Wir sind ein vom Christentum geprägtes Land. Das wird auch so bleiben. Mit Cem Özdemir ist erstmals ein Politiker mit Migrationshintergrund zum Vorsitzenden einer Partei gewählt worden ist. Verdient das eine besondere Würdigung? Ach ja, das ist natürlich in Ordnung. Eigentlich haben wir die Integration dann erreicht, wenn das keine besondere Würdigung mehr verdient, sondern selbstverständlich ist. Steigen mit Özdemir die Chancen auf Schwarz-Grün im Bund? Wenn die Union es bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr nicht allein schafft, ist die erste Präferenz ein Bündnis mit der FDP. Wenn das Wahlergebnis dafür nicht reicht, werden alle demokratischen Parteien miteinander reden müssen. 2005 wollten die Grünen mit Union und FDP keine Regierung bilden. Nun müsste man Herrn Özdemir fragen, ob er sich zutraut, diese Position bei den Grünen zu ändern. Sie standen den Grünen als einer der ersten in der Union aufgeschlossen gegenüber. Hat sich das geändert? CDU und Grüne haben unterschiedliche Meinungen, sind politische Gegner, wir kämpfen gegeneinander. Demokratie beruht nun einmal auf Wettbewerb, auf Auseinandersetzung. Doch wir haben eine gemeinsame Verantwortung und sind keinesfalls Feinde. Deshalb muss niemand Berührungsängste haben. Wäre Hessen ein gutes Feld, eine Jamaika-Koalition zu wagen? Auch für Hessen gilt, dass eine Koalition aus CDU und FDP Vorrang hat – und ja auch durchaus realistisch ist. Für Hessen gilt ebenfalls, dass die Grünen sich hier einer Regierungsbildung mit der CDU verweigert haben, was bedauerlich ist, weil das Frau Ypsilanti und vor allem der SPD viel erspart hätte. Die Schwäche der SPD kann der Union doch nur recht sein. Hessen zeigt deutlich, dass mit der SPD derzeit kein Staat zu machen ist. Immer wieder desavouiert die Partei ihre eigene Führung, wie wir es beim BKA-Gesetz gesehen haben oder bei der vorgesehenen Grundgesetzänderung zur Verankerung der Amtshilfe für die Polizei durch die Bundeswehr. Das war übrigens ein Projekt, das auf Drängen von Herrn Steinmeier, dem Kanzlerkandidaten, zustande gekommen ist. Ich kommentiere die Lage nicht mit Häme. Auch die Union hat ein Interesse daran, dass die SPD Volkspartei bleibt. Erholen von ihren Schwierigkeiten kann die SPD sich aber nur in der Opposition. Regieren kann sie äußerstenfalls noch bis zur Bundestagswahl unter der Führung der Union. Alleine lassen kann man sie im Moment nicht. Stichwort BKA-Gesetz: Können Sie verstehen, dass viele Menschen – darunter zahlreiche Journalisten - Vorbehalte haben, wenn der Staat Online-Durchsuchungen vornehmen könnte? Wir haben das Zeugnisverweigerungsrecht streng analog der Strafprozessordnung ausgestaltet. Die meisten Journalisten werden bislang wohl nicht das Gefühl gehabt haben, dass sie im Rahmen der Strafprozessordnung nicht ihrem Berufsstand entsprechend behandelt wurden. Ich habe immer betont, dass ich nichts davon halte, wenn versucht wird, das Zeugnisverweigerungsrecht durch die Durchsuchung von Redaktionsräumen zu unterlaufen, wie ja im Falle von Cicero geschehen. Die Regelungen, die im BKA-Gesetz vorgesehen sind, entsprechen allen rechtsstaatlichen Anforderungen. Es steht immer die Fehleinschätzung im Raum, der Staat bedrohe die Freiheit. Das Gegenteil ist der Fall, er schützt sie. Da wir beim Integrationsthema begonnen haben: Es geht ja darum, diese Freiheitsordnung nachhaltig stabil zu halten und so die Voraussetzung für Toleranz zu schaffen. Es geht darum, gegen Extremisten, gegen Ausländerfeindlichkeit, gegen Neonazis und alle anderen vorzugehen, die die freiheitliche Grundordnung nicht respektieren. Wie sieht die Gefahrenlage aktuell aus? Wir müssen diejenigen ernst nehmen, die kundtun, Anschläge gegen Deutschland zu planen. Wir erhalten alle paar Wochen entsprechende Botschaften im Internet, an deren Authentizität kein Zweifel besteht. Ich bleibe dabei: Wir sind ein sicheres Land. Doch dürfen wir die Gefahr nicht unterschätzen. Sie sind Opfer eines Attentäters geworden. Sie sind Christ. Zum Christentum gehört das Verzeihen. Konnten Sie Ihrem Attentäter verzeihen? Dass zum Christentum das Verzeihen gehört, steht ausdrücklich im „Vater Unser“. Bei dem Attentäter hatte ich allerdings nie das Gefühl, ich müsste ihm verzeihen, weil mir gesagt wurde, dass er krank war. Er ist nicht verurteilt worden, weil er schuldunfähig war. Deswegen bin ich ihm nicht in dem Sinne böse, dass ich ihm verzeihen müsste. Worauf oder woran knüpfen Sie ihre christliche Zuversicht? Das Leben ist uns geschenkt, es ist uns die Erlösung verheißen. Wenn wir nicht eine Hoffnung auf die Zukunft haben, sind wir arme Menschen. Deswegen hat Martin Luther gesagt: Und wenn ich wüsste, die Welt geht morgen unter, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen. Glaube, Liebe, Hoffnung, wie im 1. Korintherbrief geschrieben, sind schon wichtig für das menschliche Leben. Was ist für Sie die größte Herausforderung? Meine Gelassenheit, meine Lebensfreude, meine Zuversicht zu bewahren. Es gibt kein Amt, das Sie noch besonders reizen würde? Mich reizt das ganze des Innenministers, jeden Tag. Eine Zeit lang hatte ich den Wunsch, Fraktionsvorsitzender zu werden, das ist ein Amt, das ich einmal angestrengt habe. Aber das ist lange her. Seitdem bin ich meistens in meine Ämter berufen worden. Bundestagsabgeordneter bin ich gern, kandidiere wieder bei der Bundestagswahl. Ansonsten strebe ich kein Amt an. Das Gespräch führten Martina Fietz und Alexander Görlach Foto: Picture Alliance

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