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() Kurt Tucholsky
„Germania, mir graut vor dir“ - vom Hass der Deutschen auf sich selbst

Heinrich Heine, Kurt Tucholsky, Johann Wolfgang von Goethe: Deutsche Dichter und Denker beschimpfen ihre Landsleute in ihren Texten variantenreich und mit viel Eifer. Und sie scheinen diese Selbstkasteiungen zu genießen. Was hat es auf sich mit dem verachteten Volk und seinen schimpfenden Dichtern?

Theodor Lessing prägte 1930 den komplexen Ausdruck „jüdischer Selbsthass“. Mit größerem Recht hätte er vom deutschen Selbsthass schreiben können. Drastische Belege dafür finden sich massenhaft in den Werken deutscher Autoren. Das Hassen liegt uns schließlich im Blut, wie Heinrich Heine glaubt: „Wir Deutschen hassen gründlich, dauernd; da wir zu ehrlich, auch zu unbeholfen sind, um uns mit schneller Perfidie zu rächen, so hassen wir bis zu unserem letzten Atemzug.“ Unerschütterliche Konsequenz gehört offenbar zu unseren Nationalstereotypen, ebenso die ehrliche Unbeholfenheit der Deutschen. Jahrzehnte vor Heines ironischer Feststellung raufte sich der politisch wache Johann Gottfried Seume die Haare über unsere „Schwerfälligkeit bis zur Dummheit“. Offenbar kann der Deutsche nicht wider seine plumpe Natur, wie Christoph D. Brumme (geboren 1962) noch fast 200 Jahre später beobachtet: „Deutschland ist ein unglaublich verschnarchtes Land. Selbst wenn Revolution ist, muss man den Deutschen sagen: ‚Es darf getanzt werden!‘“ Dieses Warten auf Erlaubnis erklärt Kurt Tucholsky damit, dass wir einfach „ein Bedientenvolk“ sind. Der kundigste unter den Deutschland-Verächtern schreibt: „Das deutsche Schicksal: vor einem Schalter zu stehen. Das deutsche Ideal: hinter einem Schalter zu sitzen.“ Eigenständige Autorenpersönlichkeiten empfinden ihre Landsleute durchweg als Charakterschwächlinge. Diese können, wie Oswald Spengler betont, auf „unser unbegrenztes Bedürfnis“ bauen, „zu dienen, zu folgen, irgend jemand oder irgend etwas zu verehren, treu wie ein Hund, blind daran zu glauben, allen Einwänden zum Trotz“. Es fehlt uns, mit Erich Kästner zu sprechen, schlicht an der Freiheit des Gedankens, ja an der bloßen Wahrnehmungsfähigkeit: „Die Deutschen glauben nicht an das, was sie sehen, sondern an den Fahrplan. Und sie gehorchen ihm noch, wenn sie nicht mehr an ihn glauben. Ihr Gehorsam ist schwachsinnig. Er ist verbrecherisch.“ Im 19. Jahrhundert hörte man schon Ähnliches. Deutscher Jubelnationalismus ist Gegenstand von Georg Herweghs Gedicht „Hurra Germania“: „Schwarz, weiß und rot! Um ein Panier / Vereinigt stehen Süd und Norden; / Du bist im ruhmgekrönten Morden / Das erste Land der Welt geworden: / Germania, mir graut vor dir!“ Nur sehr schwer lässt sich offenbar für manche deutsche Dichter leben unter „Barbaren von Alters her, durch Fleiß und Wissenschaft und selbst durch Religion barbarischer geworden, tiefunfähig jedes göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark“ (Hölderlin)! Direkt körperlich leiden die empfindsamen Autoren: „Das Wort Deutschland kommt mir schwer über die Lippen, es verursacht ein pelziges Gefühl im Mund.“ Helga Schütz (geboren 1937) hat es damit noch gut getroffen, vergleicht man sie mit Friedrich Nietzsche: „So wie ich bin, in meinen tiefsten Instinkten allem, was deutsch ist, fremd, so dass schon die Nähe eines Deutschen meine Verdauung verzögert, war die erste Berührung mit Wagner auch das erste Aufatmen in meinem Leben: ich empfand, ich verehrte ihn als Ausland, als Gegensatz, als leibhaften Protest gegen alle ‚deutschen Tugenden‘.“ Der Protest hilft freilich keinem Poeten gegen den Fluch der deutschen Herkunft, selbst wenn man sich wie Christoph Meckel (geboren 1935) hierzulande „nicht begraben“ lassen möchte. Die Distanzierung durch Vaterlandskritik funktioniert nicht immer, denn in ihrer Mäkelei bleiben die Autoren ihrem Volk treu, in dem Missgunst von Kindesbeinen an gelehrt werde, wie Georg Christoph Lichtenberg feststellte: „Sagt, ist noch ein Land außer Deutschland, wo man die Nase eher rümpfen lernt als putzen?“ Das verachtete Volk und der schimpfende Dichter, sie finden in Einigkeit zusammen wie im Falle Johann Wolfgang von Goethes, der ungewohnt lakonisch und simpel über die Deutschen äußerte: „Sie mögen mich nicht! Das matte Wort! Ich mag sie auch nicht!“ Und wo bleibt das Positive? Gibt es keinen Verteidiger unserer hochschimpfierten Nation? Doch, der ironische Matthias Politycki: „Der Deutsche ist schüchtern und schön, seine Haut hat jenen geheimnisvollen Bronzeschimmer, den bereits die antiken Chronisten an ihm rühmten. Vom tiefen Wunsche beseelt, ein Weltbürger zu werden, kauft er sich gern Calvin-Klein-Unterhosen oder Chicago-Bulls-Kappen und bemüht sich tapfer, alles cool zu finden. Wenn er singt, dann lassen sich sogar die Vöglein des Waldes zu ihm nieder und haben ihn lieb. Gefällt ihm aber eine Charakteristik des eignen Wesens so gut wie diese hier, dann pfeift er ganz leise durch die Zähne und sagt ‚wow‘.“ Ein versöhnlicher Schluss, dem nur noch die Bestätigung durch einen Klassiker der Moderne angefügt werden soll: Gottfried Benn. Er schreibt an seinen Freund Friedrich Wilhelm Oelze: „ … ich sage also, die Deutschen sind ein großartiges Volk, bloß man muss ihnen immerzu eins rechts und links in die Fresse hauen –, und sie nehmen das auch ruhig hin und finden es natürlich.“ Lesen Sie das vollständige Titelthema „Vorbild Deutschland“ in der Januar-Ausgabe des Cicero. Jetzt am Kiosk!

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