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„Rechtsextremistisch infiziertes Ostdeutschland“: Todesurteil über die DDR-Aufarbeitung (picture alliance/dpa)

DDR-Historikerstreit - Aufarbeitung gescheitert, Kritik unerwünscht

Angesichts von Pegida-Märschen und Rechtsextremismus im Osten übte der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk heftige Kritik an der staatlichen DDR-Forschung. Das war offenbar zu viel: Die Zeitschrift „Humanities“ hat seinen Beitrag kurzerhand aus dem Blatt gekippt

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Christian Füller arbeitet als Fachjournalist für Bildung und Lernen im digitalen Zeitalter. Zuletzt erschien sein Buch "Die Revolution missbraucht ihre Kinder: Sexuelle Gewalt in deutschen Protestbewegungen". Er bloggt unter pisa-versteher.com. Foto: Michael Gabel

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Der Vorgang hat ein Geschmäckle. Ein Historiker reicht bei einer Zeitschrift ein so flammendes wie freches Plädoyer für ein Befreien der historischen Forschung über DDR, SED, Stasi und Nischengesellschaft ein. Der Beitrag wird angenommen, zur Veröffentlichung frei gegeben – und plötzlich erhebt die Redaktionsleitung Bedenken. Der Beitrag kann nicht, wie geplant, in dem wichtigen historischen Forum, den „Humanities – Sozial- und Kulturgeschichte“ erscheinen. Ein Unding für den Autoren, Ilko-Sascha Kowalczuk, einen der produktivsten und provozierendsten DDR-Historiker, und eine Blamage für den Redakteur.

Kowalczuks Text ist sehr aktuell. Gerade wird über die Zukunft der Stasi-Unterlagenbehörde debattiert. Kürzlich übergaben Wolfgang Böhmer und Richard Schröder ihr Gutachten über die Zukunft des Bundesbeauftragten für die Stasi-Akten der Behörde und ihrer Forschungsabteilung. Da hätte es der Zeitschrift Humanities, die mit 23.000 Abonnenten und einer Million monatlicher Nutzer zu den größten in Europa zählt, gut zu Gesicht gestanden, sich über die Zukunft der DDR-Forschung den Kopf zu zerbrechen. Kowalczuk wurde in der DDR nicht zum Studium zugelassen und studierte erst nach der Wende Geschichte.

Aufarbeitung verstaatlicht

„Die Stiftung Aufarbeitung“, schreibt Kowalczuk über die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, „will nun offenbar die wissenschaftliche Beschäftigung mit der DDR und dem Kommunismus majorisieren“. Obwohl das nicht ihre Aufgabe sei. Kowalczuk belegt dies, indem er sich den Band „Die DDR als Chance“ vorknöpft. Er kritisiert das Buch, das aus dem Dunstkreis der Stiftung heraus organisiert wurde, als wissenschaftlich dürftig und zweckgerichtet. Kowalczuk moniert, dass der wissenschaftliche Blick auf die DDR durch die Stiftung Aufarbeitung monopolisiert und verstaatlicht werde. Es werde Geschichtspolitik betrieben, aber nicht unabhängige historische Forschung.

Die Herausgeber der Zeitschrift Humanities weisen von sich, Kowalczuks Beitrag inhaltlich korrigieren zu wollen. Sie ziehen sich auf formale Gründe zurück. Der Beitrag des Historikers Kowalczuk, der in der Forschungsabteilung der Stasi-Unterlagenbehörde arbeitet, sei keine Rezension im eigentlichen Sinne. Außerdem zu lang und zu scharf formuliert. Daher bat Humanities um ein Umschreiben des Textes, was Kowalczuk ablehnte. Das Problem der 40-köpfigen Redaktion um den Historiker Rüdiger Hohls von der Humboldt-Universität Berlin freilich ist: Kowalczuks Beitrag war von ihr angenommen, überarbeitet und dann mit Imprimatur versehen worden. Hohls besteht dennoch darauf, dass keine Zensur stattgefunden habe. „Wir sind ein Forum für Autoren, die dabei das Schreiben lernen, und eine Ausbildungsstätte für Redakteure“, sagte er Cicero Online. Also müsse man auf Qualität und Standards achten.

Infiziertes Ostdeutschland

Liest man die entscheidenden Passagen von Ilko-Sascha Kowalczuk aus der im letzten Moment verhinderten Rezension, dann versteht man vielleicht besser, dass es wohl nicht um Formalia, sondern um den Inhalt geht – nämlich den Zusammenhang zwischen dem aufklärerischen Auftrag der mit viel Geld aufgerüsteten DDR-Forschung und ihrem gesellschaftlichen Effekt. Kowalczuk schreibt: „Wenn man sich heute das extremistisch, vorwiegend rechtsextremistisch infizierte Ostdeutschland anschaut – NSU und Pegida sind nur die Leuchttürme der auf lange Zeit verstrahlten Regionen, die im gesamten ehemaligen Ostblock nationalistische und rechtsextreme Pendants und Bewegungen kennen –, dann kann man ja gar nicht anders, als zu konstatieren, dass der geschichtspolitische Auftrag der staatlich geförderten Aufarbeitung gescheitert ist.“

Das tut weh. Und es gibt viele, die Kowalczuks Todesurteil über die Geschichtspolitik der älteren Herren aus dem Westen nicht gerne lesen werden. Die lieber nicht darüber sprechen wollen, welche Mentalitäten der Unrechtsstaat DDR und die nachfolgende hastige – und nur wirtschaftlich betriebene – Transformation hervorgebracht haben. 

Den Beitrag von Ilko-Sascha Kowalczuk können Sie bei taz.de nachlesen.

Dieser Text wurde am 22.04.2016 aktualisiert.

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