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Türkei schießt russischen Kampfjet ab - Falsches Spiel im Antiterrorkampf

Nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch die türkische Armee ist das türkisch-russische Verhältnis endgültig beschädigt. Dahinter steht das Bemühen Erdogans, die NATO-Partner davon abzubringen, Putins Syrien-Strategie mitzugehen

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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Zwei Monate ist es her, da eröffneten Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan in Moskau gemeinsam Europas größte Moschee. Man sah zwei autoritäre, selbstverliebte Führer, die auch sonst viel gemeinsam hatten: ein gestörtes Verhältnis zu den westlichen Partnern, den Anspruch, eine politisch-militärische Großmacht zu sein, und nicht zuletzt gemeinsame wirtschaftliche Interessen. Nur ein Beispiel: Mit „Turkish Stream‟ will Russland eine Gaspipeline bauen, die die Türkei zum wichtigsten Energiehub in Südosteuropa machen sollte.

Gemacht hätte, muss es wohl heißen, denn nun liegen selbst Großprojekte wie dieses auf Eis. Zwei Monate nach dem noch relativ harmonischen Get-together in Moskau stehen die beiden Länder mit dem Abschuss des russischen Bombers im syrisch-türkischen Grenzgebiet vor dem Trümmerhaufen ihrer gemeinsamen Pläne.

Denn die strategischen Ziele der beiden Länder in Syrien sind unvereinbar.

Erdogans Strategie
 

Was will der türkische Präsident? Erdogan sieht sich selbst seit Jahren als Schutzherr der sunnitischen Muslime, ob in Palästina, im Irak oder in Syrien. Seine größten Hindernisse auf dem Weg zur Großmacht sind Länder wie der Iran, Erdogans einst enger Freund Assad und natürlich die Kurden. Lange schien es gut zu laufen: Assad stand militärisch mit dem Rücken zur Wand, der Islamische Staat hielt die Kurden in Schach, und Erdogan bereitete sich darauf vor, nach einem Zusammenbruch des Landes als Ordnungsmacht einzugreifen. Doch seit Monaten sah der türkische Präsident alle Felle davonschwimmen.

Eine Woche nach Erdogans Besuch griffen Moskaus Kampfflugzeuge auf Seiten von Assad in Syrien ein. Nicht nur die Regierungstruppen rücken seitdem in Syrien vor, sondern auch die Kurden. Die von der Türkei unterstützten syrischen Turkmenen und der IS dagegen sind auf dem Rückzug. Der nächste Schlag für Erdogan kam mit dem Terror in Paris: Das Hauptziel des Westens ist seitdem ohne Zweifel die Zerstörung des Islamischen Staates, und Russland plötzlich wieder – in begrenztem Ausmaß – ein Verbündeter. Selbst die Entmachtung Assads steht nicht mehr auf der unmittelbaren Tagesordnung.

Wer würde jetzt noch Erdogans Behauptung folgen, die syrischen Kurden seien eine „ebenso große Gefahr für die Menschheit‟ wie der Islamische Staat?

Russlands Rückkehr auf die große Bühne
 

Russland dagegen ist dabei, über Syrien wieder an den Tisch der Mächtigen zurückzukehren. Frankreich vermittelt derzeit zwischen Washington und Moskau, um einen gemeinsamen Kampf gegen den IS zu ermöglichen. Seit dem Attentat von Paris hat sogar die russische Propaganda ihre antiwestliche Rhetorik deutlich zurückgefahren. Mit den Franzosen müsse man „wie mit Alliierten‟ kooperieren, wies Putin jüngst den Kommandeur seiner Flottille im Mittelmeer an.

Dass die aktuelle Verletzung des türkischen Luftraumes der Grund für den Abschuss war, ist sehr zu bezweifeln: Sie dauerte nur wenige Sekunden, und der Abschuss fand schon über syrischem Gebiet statt.

Der Abschuss des russischen Bombers ist vielmehr eine Verzweiflungstat Erdogans. Er will seine Position als NATO-Mitglied nutzen und seine westlichen Partner davon abbringen, Putins (gegen türkische Interessen gerichtetes) Spiel in Syrien zu akzeptieren.

Eskalation vorhersehbar
 

Überraschend kommt das Ereignis nicht. Über Wochen hatte sich die Situation im Grenzgebiet hochgeschaukelt. Russland sah sich offenbar angesichts der internationalen Front gegen den Islamischen Staat als unangreifbar an und tat auf syrischem Gebiet, was es wollte, um Assads Truppen zu militärischen Erfolgen zu verhelfen. Insbesondere geht es darum, die beiden von Assad kontrollierten Gebiete um Latakia und Aleppo wieder miteinander zu verbinden. Seine Kampfflugzeuge bombardieren deshalb nicht nur den Islamischen Staat, sondern im Gebiet zwischen Latakia und Aleppo all jene Gruppen, die gegen Assad kämpfen, ob Al-Nusra-Front, die Freie Syrische Armee oder die Turkmenen. Insbesondere letztere standen gerade in den letzten Tagen militärisch derart mit dem Rücken zur Wand, dass die Türkei deshalb den russischen Botschafter einbestellte und vor „ernsthaften Konsequenzen‟ warnte.

Politisch und wirtschaftlich wird Russland sich an der Türkei rächen – Putins emotionale Reaktion am Montag lässt keine Fragen offen. Das wird den russischen Massentourismus in die Türkei betreffen (2014 immerhin 4,5 Millionen), das Großprojekt „Turkish Stream‟, möglicherweise sogar den Bau des russischen Atomkraftwerkes der Türkei. Den größten Trumpf – die russischen Gaslieferungen, von denen die Türkei zu 60 Prozent abhängig ist, wird Moskau jedoch nicht ziehen, denn als Antwort könnte Istanbul den Bosporus für russische Schiffe sperren und damit die Versorgung der russischen Basen in Syrien kappen. Militärisch wird Russland dagegen nur vorsichtig auf die Provokation reagieren, insbesondere mit einer Verstärkung ihres Engagements in Syrien. An einer offenen Konfrontation mit dem NATO-Mitglied Türkei hat Moskau momentan keinerlei Interesse. Denn Putin weiß: Die Zeit spielt für ihn.

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