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Anisschnaps in Griechenland - Ouzo und die große Freiheit

Der Ouzo hat kein Vermächtnis. Ihm zu Ehren gibt es keine Gourmetliteratur und selbst im hellenischen TV sucht man vergebens die erbitterten Feinschmecker-Diskussionen im Stil der blumig-poetischen Adjektivkaskaden typischer Sommeliers. Der heilige Geist des Ouzo lebt außerhalb von Text und Sprache. Ein Versuch, das zu ändern

Autoreninfo

Wolf Reiser (64) lebt und arbeitet in München als Buchautor, Reporter und Essayist. Mehr hier

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Jeder Weltbürger kennt Mikis Theodorakis sirtakische Hymne aus dem Jahre 1964. Tatam Tatam. Und man darf nicht vergessen, dass es auch diese Musik war, die am Ende die Junta pulverisierte.  Sie passte damals wie maßgeschneidert in die Folk&Rock -Internationale aus Dylan, Baez, Stevens, Cohen, Moustaki und den Costas Gavras Politthrillern – Freiheit, Liebe, Kampf und das ganz große Herz. Und als ein Attribut jener rebellischen Ära erschien ein milchtrübes Getränk auf dem kontinental-europäischen Radar; bei uns quasi ein Antagonist zum postfaschistoid besetzten Jägermeister. Jener Ouzo wurde zum Statement von Jugend und Revolte – und zudem reimte er sich auf Juso. Speziell die griechischen Gastwirte, die meisten vor der Junta geflohen, konfrontierten im, von der Groko I paralysierten Deutschland ihre Gäste mit dem Likör, aufs Haus versteht sich, nix zahlen, eine bis dato bei uns unerhörte wie unbekannte Geste der Großzügigkeit.

Sieg des freien Menschen über das calvinistische Joch
 

Ein paar Dekaden zuvor hatten Anisliköre wie Sambuca, Arak oder Pastis in den Künstlerkreisen reichlich Chaos verursacht; Van Gogh zum Beispiel schnitt sich im Absinthwahn ein Ohr ab und Verlaine feuerte auf Poetenfreund Rimbaud. So ein Anisschnaps - das ist nun mal ein Frühstück für harte Männer. Im Jahre 2013 wurden in Deutschland immerhin 13 Mio Flaschen unters Volk gebracht. Kulinarisch eher zweitklassig nimmt sich der Ouzo auf eine tückische Art der deutschen Oberlehrerpose an. In seinen Kräuterwelten verbirgt sich eine Message. Ouzo steht für den Triumph der Leichtigkeit über Fleiß und Fließband und für den sorbasischen Sieg des freien Menschen über das calvinistische Joch. Apropos Frühstück: Wer die Lektion nicht beim ersten Mal begreift, wird ein zweites Mal geschult. Jeder, der schon einmal in die Anisspirale geriet, weiß, wie das rettende Glas Leitungswasser am Morgen danach in Sekundenschnelle die Euphorie wieder rückwärts spult und dies sehr selten zur Freude des vom Wecker maltraitierten Kopfs.

Das etwa 60 cm hochwachsende weißblühende Aniskraut beginnt Ende Juli auf dem Feld zu trocknen. Nirgendwo sonst auf der Welt gedeiht es aromatischer und ergiebiger als auf der Insel Lesbos, auch als Mitilini bekannt, die sich in etwa 10 km Entfernung von der türkischen Grenze befindet. Dieser Anis ist ein mittelmäßig hübscher Doldenblütler mit einer herben Nähe zu Dill und Fenchel. Im Mittelmeerraum kennt man ihn seit Jahrtausenden als Gewürz- und Heilmittel. Er soll Magen und Darm gut tun, mortale Koliken beseitigen und, natürlich, wie fast alles dem mediterranen Boden Entwachsende, auch als Aphrodisiakum dienen. In diesem Sinne widmen sich kunstgeübte  Frauenhände in der Gluthitze des Sommers den Krautbüscheln, trennen samenhaltige Blüten vom Gestänge und bündeln den Rest, der später luftgetrocknet, kühl gelagert und im Lauf der Zeit seinen diversen Verwendungszweigen zugeführt wird. Ein echter Ouzo entfaltet, wie auch alle guten Weine, seinen wahren Charakter im Schutz einer bestimmten Zone, eben seiner Heimat. Das ist eine Sache von Magie und Magie sollte man nicht mit langen Worten daherkommen.

„Ich habe die Sonne, das Meer, den Ouzo und Sie haben den Markt“
 

Auf dem Flug von Athen nach Lesbos fiel mir eine Begegnung, ein, die so eigentlich nur in Griechenland stattfinden kann. Ich traf also eines Abends an der Bar des Athener Grande Bretagne Hotels Theo Skotinos, einen etwa 45-jährigen  Unternehmer aus Zypern, Import, Export, clever, redselig, ein Mann der Levante eben. Nach kurzem Small-Talk, Wetter, Fussball, Frauen, beorderte er beim Barkeeper zwei Gläser „Ouzo 12“. Während ich die süßliche Pampe geschickt an der Zunge vorbei wegkippte, schaute er mich mit großen Augen an. „Und?“ fragte er. „Was meinen Sie? Schrecklich, nicht wahr? Hustensaft. Oder noch schlimmer?“ Gleichzeitig zog er ein kleines 4 cl-Fläschchen aus seiner Anzugtasche und schüttete den Inhalt  in ein frisches Glas. „Probieren Sie jetzt das! Mein Produkt! 13! Ouzo 13! Wie finden Sie das? 13!“  Das Etikett war in Farbgebung und Schrifttyp nahezu identisch mit jenem des berühmten Ouzo 12, nur dass da eben eine 13 stand.  Voller Erregung über diesen genialen Coup wischte er sich die Freudentränen aus den Augen, kicherte hysterisch und breitete danach eine Unmenge an Unterlagen aus, Zahlen über Zahlen, Investitionen, Umsätze, Prozente, Renditen und Profite. Als Deutscher und Journalist war ich natürlich prädestiniert für eine Rolle als neuer Partner. „Ich habe die Sonne, das Meer, den Ouzo und Sie haben die Technologie und den Markt. Wenn wir zwei diese Dinge zusammenbringen, werden wir reich, sehr reich.“  

Andernmorgens rasten wir in seinem schwarzen Jeep die Syngrou-Avenue hinunter, vorbei an der Galopprennbahn von Faliron und bogen dann in den Yachthafen von Kalamaki ein. Dort erwartete uns Nick, grauhaarig, braungebrannt, glückselig bekifft und in Begleitung eines spindeldürren Schimpansen. Nicks Yacht war ein prächtiges Segelboot, ein Zweimaster, gut 20 Meter lang aus edlem Tropenholz gezimmert und  im historischen Piratenlook gehalten. Theo schüttete uns an der Bordbar einige Wassergläser voll mit seinem Ouzo 13 und bald hatten wir alle einen Ordentlichen sitzen. Mit alle meine ich auch den kastanienbraunen Schimpansen, der kräftig mitschluckte und mir meine frisch angezündete Zigarette aus dem Mund riss. Theo legte meine Provisionsprozente fest, nahm mich dann am Arm und öffnete auf dem Vorderdeck eine unscheinbare Holzklappe. In dem Lagerraum stapelten sich Tausende von Literflaschen. Während ich die fehlenden Steuerbanderolen bestaunte,  reichte ihm Nick eine Art Poesie-album mit sehr vielen eingeklebten Polaroids. Das Werk trug den Titel „Summer 1988“ und auf den Fotos waren blonde und sehr nackte Mädchen zu sehen; alle in einer mächtig bedröhnten Stimmung. „Ouzo 13! Schau, was der Anis aus euren Frauen macht,“ meinte Theo. Nick schenkte nach und der torkelnde Affe schnappte sich wieder meine Karelia.  „Ouzo, das ist Griechenland, das ist Eros, das ist Wahn, Freiheit,  Weisheit“, jubilierte Theo aus Zypern.

Kurz danach waren panische Schreie von den Nachbarbooten zu hören. Aus dem Schiffsbauch stiegen dicke, schwarze und anishaltige Rauchwolken empor. Offenbar war dem pyromanischen Affen die Zigarette entglitten. Wir retteten uns auf das Hafenkai und schütteten eimerweise Meerwasser in Richtung des feierlich knisternden Brandherds. Wir konnten so das Schlimmste verhindern, bevor unzählige Feuerwehrautos eintrafen. Ich habe nie wieder etwas von dem infernalen Trio gehört.

Ökonomische Unvernunft als Zukunftsbasis
 

Zurück in die nüchterne Gegenwart, konkreter in das etwa 7000 Einwohner aufweisende Städtchen Plomari, welches sich als Weltmetropole des Ouzo bezeichnet. Auf der gesamten Insel gibt es aktuell etwa 40 Destillerien, die den „Mitilini-Ouzo“ herstellen dürfen, was so ein Markenprädikat ist wie Scotch oder Cognac. Dort stößt man in der Regel auf smarte Manager, die im besten Business-Englisch über ihre Produkte und deren unvermeidliche Philosophie referieren. Entgegen romantischer Brennstuben-Vorstellungen steht man in öden Hallen mit Stechuhren, Neonlicht, Leitungen, Metallkästen, Rohren, Laufbändern, Stahltanks, Abfüllanlagen, Dampfkesseln, Chemielaboren, Lagerkellern. Die Produktionsweise gehorcht im Prinzip überall demselben Ablauf: 96%iges Staats-Äthanol wird zusammen mit frischem Quellwasser in einen kupfernen 1000-Liter-Brenntopf  geleitet. Langsames Erhitzen produziert Dampf und der vermischt sich mit einem feuchten Brei aus allerlei Zutaten, lesbischer Anissamen natürlich, dann Fenchel, Zwiebel, Meersalz, Mastixharz. Zum allgemeinen Standard gehören dann noch Orangenblüten, Minze, Koriander, Wacholder, Melisse, Süßholz, Angelika, Kreuzkümmel und Walnussblätter. Im ersten Destillierungsschritt entsteht ein Brandy mit 80 % Alkoholgehalt, der gut 45 Tage lang in einem Stahltank aufbewahrt wird, danach wieder in Berührung mit den Kräutern kommt und dann in insgesamt drei Schritten auf einen Alkoholanteil von etwa 43% reduziert wird. Alles in allem ist so ein Firmenrundgang für einen Außenstehenden so spannend wie einem Schriftsteller beim Bleistiftspitzen zuzuschauen.

Rund um Plomari befinden sich endlose Olivenhaine, sattgrüne Berge mit Schafherden, Mohnfelder, Pinienwälder und ewig leuchtet das Meerblau. Die Altstadt ist geprägt von engen Gässchen, antiquierten Geschäften und osmanischen Holzbalustraden. Vor den taubenblauen Tavernen sitzen Männer unter dem Weinlaub auf wackligen Baststühlen, rauchen, witzeln über die Troika oder klopfen Karten auf den wackligen Blechtisch. Vor jedem steht ein milchigtrübes Gläschen; immerhin ist es ja auch schon 9.30 Uhr in der Früh.

Am etwas außerhalb liegenden Strand von Agios Isidoros befindet sich die Destillerie Barbayannis, von rotschwarzen Ziegelsteinruinen, zerfallenden Ölmühlen und ausgedienten Gerbereien umgeben. Auch ragen einige brüchige Molen ins Meer. Viel attraktiver kann man das Ambiente des Ouzo-Handwerks nicht inszenieren. Barbayannis, das ist für Kenner das, was die Callas für die Oper ist oder Cartier für die Uhren. Man brennt nun schon in der sechsten Generation, die Firmengeschichte führt von Odessa über Konstantinopol nach Plomari, ist gezeichnet von einer permanenten Achterbahnfahrt mit Kriegen, Rezessionen, Krisen, wieder Kriegen und ständigen Scharmützeln mit dem türkischen Nachbarn. Und seit Griechenlands EU-Beitritt 1981 wurde man überschwemmt von ausländischen Spirituosen und deren massiven PR-Kampagnen – so dass die Griechen etwa bis heute einen höheren Whisky-Pro-Kopf-Verbrauch haben als Schotten und Iren. Im Zuge der Überfremdung gerieten die herrlich geschlamperten Ouzerias mit ihren verwaschenen Marmorbecken aus der Mode und machten Illy-Lounges und wenig erregenden Cocktailbars Platz.

Keine Gourmetliteratur, nirgends
 

Ouzo, das Symbol des freien Hellas war so um 1990 reputationsmäßig zu einem Gesöff für halb blinde Dynamitfischer verkommen oder einem Billigabfüllprogramm zu Ehren britischer Chartertouristen. Es gab, so erzählt mir der aktuelle Chef, Stathis Barbayannis, in jenen Jahren verlockende Angebote  großer Likörgiganten, die sich den Zwerg aus Plomari ins Portfolio holen wollten. Doch man entschied sich für ökonomische Unvernunft als Zukunftsbasis. Stathis holt homerisch aus: „Was wir hier machen, kann kein Außenstehender nachvollziehen. Wenn man diese Arbeit nicht mit dem ganzen Herzen, Liebe und Seele angeht,  muss man sie sofort beenden. Das ist unsere Mission, wir haben den Anis seit 150 Jahren im Blut, wir können nicht leben ohne das Pluppern der Brennöfen. Wissen Sie: Vereinfachung mag in der Mathematik funktionieren, aber nicht bei einem Barbayannis-Ouzo. Man kann weder am Anis sparen noch am Quellwasser,  auch nicht am Salz aus unseren Salinen und eben dem Wissen, der Tradition. Ich rede nicht von sturem Konservatismus. Im Gegenteil: Weil wir das Risiko, die Ethik und die Konsequenz der vergangenen Generationen fortsetzen, definieren wir uns als Avantgarde.“ Und offenbar hat sich die Zähigkeit gelohnt, denn weltweit zeigen die Umsatzzahlen inzwischen wieder steil nach oben.

In Sachen Anisschnaps gibt es nun kein enzyklopädisches Vermächtnis, keine Gourmetliteratur und selbst im hellenischen TV sucht man vergebens die erbitterten Feinschmecker-Diskussionen im Stil der blumig-poetischen Adjektivkaskaden typischer Sommeliers. Der heilige Geist des Ouzo lebt außerhalb von Text und Sprache. Eventuell ist seine libertinistische Botschaft auch nur eine Sache des Glaubens. Und Glaubem sollte man nicht mit langen Worten kommen. Dem „Mythos“ kann man – selbst in seiner Heimat - nicht so wirklich gerecht werden. Auch die seriösen Produzenten verzetteln sich dabei, den Esprit ihrer Marken mit allerlei Äußerlichkeiten zu definieren. Das betrifft abenteuerlichste Flaschenformen,  halbmutige Namensgebungen wie Sorbas, Zeus, Venus, 12 oder 13 sowie eine mit Gewalt verführerische Etikettengestaltung, also das singende Meer, die schneeweiße Möwe, ein fröhliches Oktopuspärchen, ein einsames Segelboot mit Kurs auf eine tomatenrot untergehende Sonne. Vielleicht sollten sie es einfach einmal mit einem kettenrauchenden Affen vor einem brennenden Piratenschiff probieren.
 

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