Der Mittelstand ist besorgt: Zum Handwerker- und Fachkräftemangel gesellen sich Inflation und Energiekrise / dpa

Familienunternehmen in der Krise - Exklusiv für Xing-Leser: „Wenn keine Reformen kommen, wird unsere Industrie ausbluten“

Der Rechtsanwalt Rainer Kirchdörfer ist Vorstand der Stiftung Familienunternehmen. Im Interview spricht er über die Existenzsorgen des Mittelstandes, das notdürftige Krisenmanagement der Ampel-Koalition und der ungewissen Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Droht eine Deindustrialisierung?

Autoreninfo

Clemens Traub ist Buchautor und Cicero-Volontär. Zuletzt erschien sein Buch „Future for Fridays?“ im Quadriga-Verlag.

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Rainer Kirchdörfer ist Honorarprofessor an der Universität Witten-Herdecke und Vorstand der Stiftung Familienunternehmen und Politik. Als Rechtsanwalt liegen seine Schwerpunkte bei der rechtlichen und strategischen Beratung von Familienunternehmen. 

Herr Kirchdörfer, Sie haben für eine Studie als „Stiftung Familienunternehmen“ Betriebe befragen lassen, wie hoch ihre Belastungen durch die Energie- und Stromkrise sind. Zu welchen Ergebnissen ist das Ifo-Institut gekommen?

Die Resultate der Umfrage geben großen Anlass zur Sorge. Denn fast alle Unternehmen rechnen mit massiven Preiserhöhungen und mehr als die Hälfte möchten bereits geplante Investitionen verschieben. Knapp 25 Prozent der Betriebe halten einen Arbeitsplatzabbau für sehr wahrscheinlich. Außerdem rechnen viele der befragten Unternehmen mit der Aufgabe energieintensiver Geschäftsfelder und der Verlagerung ganzer Betriebsstätten ins Ausland. Die Ergebnisse sind alarmierend, da wir dieselbe Umfrage schon einmal vor sechs Monaten erhoben haben und damals deutlich bessere Zahlen vermelden konnten.

Welche Familienunternehmen sind besonders von den Folgen der Energiekrise betroffen?

Wir wissen natürlich, dass die energieintensiven Industrien stark gefährdet sind. Das ist der industrielle Kern, der Deutschland in den vergangen beiden Jahrzehnten so erfolgreich gemacht hat. Das umfasst vor allem die chemische Industrie, die Automobilindustrie, das metallverarbeitende Gewerbe, die Glasindustrie und die Papierindustrie. In diesen industriellen Sektoren sind die Energiepreise bis heute allerdings oftmals noch gar nicht durchgeschlagen, da viele Unternehmen langfristige Energieverträge haben, die jetzt nach und nach auslaufen. Wenn die neue Preisrealität in den nächsten Jahren jedoch auch bei diesen Betrieben ankommen wird, braut sich für die Schlüsselindustrien der deutschen Wirtschaft eine existenzgefährdende Situation zusammen.

Werden kleine Unternehmen im Einzelhandel wie Bäckereien oder Metzgereien durch den Winter kommen?

Viele kleine Unternehmen müssen in den nächsten Monaten um ihr Überleben kämpfen, da sie nicht einfach über Nacht auf andere Energieträger umstellen können. Diese Betriebe können die gravierenden Strom- und Gaspreise nicht umgehen. Der Bäckerei oder Metzgerei um die Ecke bleibt somit keine andere Möglichkeit, als die Produktpreise in ihrem Sortiment deutlich zu erhöhen. Das hat die Folge, dass Kunden zukünftig zu kostengünstigeren Discountern gehen werden. Denn auch die Kaufkraft der Endverbraucher wird in diesem Winter zurückgehen, was insbesondere Kleinunternehmen vor Probleme stellen wird.

 

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Was bedeutet die Energiekrise für die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland?

Ich glaube, wenn wir rechtzeitig die Weichen stellen, dann wird Deutschland auch in zehn Jahren noch wettbewerbsfähig sein. Das setzt voraus, dass wir jetzt alles dafür tun, damit Deutschland wieder aufholt. Wir haben nicht nur die höchsten Energiepreise, sondern auch die höchsten Steuern und ersticken in Bürokratie. Diese Themen müssen wir angehen. Wenn wir die Zeichen der Zeit allerdings nicht erkennen, wird der industrielle Sektor und das verarbeitende Gewerbe in Deutschland schleichend ausbluten. Eine mögliche Deindustrialisierung wird dabei nicht über Nacht geschehen, sondern vollzieht sich langsam. Große Investitionen werden nämlich über Jahre und sogar Jahrzehnte hinweg geplant. Die Zukunft des Standortes Deutschland hängt jetzt entscheidend von der Weitsicht der politischen Entscheidungen ab.

Wie zufrieden sind die Familienunternehmen mit dem bisherigen politischen Krisenmanagement der Bundesregierung?

Tatsächlich sind viele Familienunternehmen mit dem Krisenmanagement der Ampel-Koalition sehr unzufrieden. In der Umfrage haben wir die politischen Entscheidungen der Bundesregierung durch die befragten Familienunternehmen benoten lassen und waren sehr gespannt auf die Bewertungen. Die Durchschnittsnote 4- wirft leider kein gutes Licht auf die Arbeit der verantwortlichen Politiker.

Was sind die Gründe für die enorme Unzufriedenheit der Familienunternehmen?

In Gesprächen mit Unternehmern und in Aufsichtsräten geht es in diesen Monaten immer wieder um die Energiepolitik der Ampel-Koalition. Viele Familienunternehmen können schlichtweg nicht verstehen, warum nicht alle Möglichkeiten der Energiegewinnung offen diskutiert werden. Bis sich die Energiepreise in Deutschland normalisiert haben, fordern viele Familienunternehmen eine Reaktivierung der Kernenergie und die Förderung des Frackings. Einer der großen Widersprüche der deutschen Energiepolitik ist es, dass wir zwar einerseits auf die klimaschädliche Kohlekraft setzen, aber andererseits Atomkraft als Brückenenergie aus ideologischen Motiven ablehnen. Ferner denken wir in Klimafragen noch immer viel zu national. Wie soll das ein finanziell angeschlagenes Familienunternehmen nachvollziehen, das wegen horrender Energiepreise mit dem Rücken zur Wand steht? 

Wie bewerten die Familienunternehmen die Arbeit des Wirtschaftsministers Robert Habeck?

Robert Habeck bemüht sich redlich und versucht die Krisensituation bestmöglich zu bewältigen. Doch begegnet mir in Gesprächen mit Familienunternehmern regelmäßig die Kritik an handwerklichen Fehlern. Beispiel dafür ist die Gasumlage, die zum Glück vom Tisch ist. Wir müssen auch aufpassen, dass die bürokratischen Hürden in den Hilfsprogrammen nicht überhandnehmen. Das hat zu einem gewissen Vertrauensverlust in die Arbeit des Wirtschaftsministeriums geführt.

 

 

Welche akuten politischen Maßnahmen wünschen sich die Familienunternehmen von der Bundesregierung in der Bewältigung der Energiekrise?

In diesen Tagen der Wirtschaftskrise geht es prioritär darum, die Substanz unserer Unternehmenslandschaft zu erhalten. Dafür braucht es gezielte und kluge Unterstützungsleistungen für bedrohte Unternehmen. Aber selbstverständlich können diese Hilfen nur von vorübergehender Natur sein. Essenziell für die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland ist allerdings, dass wir langfristige Reformen im Angesicht der alltäglichen Krisenbewältigung nicht verschlafen dürfen. Denn nur so wird die deutsche Wirtschaft im internationalen Vergleich auch zukünftig wettbewerbsfähig sein können.

Mit welchen langfristigen Reformen kann die deutsche Wirtschaft auch über die Krise hinaus international konkurrenzfähig bleiben?

Zu glauben, dass der Staat die Energiepreise auf Jahre hinweg subventionieren kann, ist natürlich eine Illusion. Das überlastet uns alle. Die Maßnahmen, die wir jetzt treffen müssen, erschöpfen sich daher nicht in kurzfristigen Subventionierungen, sondern müssen den Fokus auf eine langfristige Verbesserung der Rahmenbedingungen legen. Großen Nachholbedarf hat der Wirtschaftsstandort Deutschland in den Themen Digitalisierung, Infrastruktur und Bürokratieabbau. Auch müssen wir Steuersenkungen in den Blick nehmen, da Deutschland immer noch einer der teuersten Wirtschaftsstandorte unter allen OECD-Staaten ist. Gezielte Migration kann unseren eklatanten Fachkräfte- und Personalmangel abfedern, weshalb wir ein umfassendes Einwanderungsgesetz benötigen. Aber vor allem müssen wir endlich ohne Tabus und Ideologie über die Zukunft unserer Energieversorgung sprechen. Denn nur ein bezahlbares, zuverlässiges und ausreichendes Energieangebot kann unsere industrieorientierte Wirtschaft auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten am Leben halten. 

 

Cicero Wirtschaft Podcast mit Anna Veronika Wendland:
„Bei der Energiestrategie ist Stimmungspolitik Gift“

 

All diese Maßnahmen werden in der Öffentlichkeit bereits seit Jahren diskutiert. Warum wurden diese von ihnen geforderten Reformen nicht bereits angestoßen?

Es herrscht in Deutschland die falsche Annahme, dass gute Wirtschaftspolitik darin bestehe, von Krise zu Krise zu denken und lediglich mit kurzsichtigen Subventionierungen Löcher zu stopfen. Doch das Problem liegt noch tiefer: Wir erleben derzeit einen großen Paradigmenwechsel, der für Familienunternehmen eine nicht zu unterschätzende Bedrohung darstellt. Das Modell der sozialen Marktwirtschaft, welches Deutschland über Jahrzehnte hinweg einen historisch einmaligen Wohlstand bereitet hat, erlebt heftigen Gegenwind und wird sogar als vermeintlicher Laissez-faire-Kapitalismus zum Feindbild erklärt. Der Ruf nach staatlichen Subventionen und staatlichen Eingriffen wird immer lauter und der altbewährte Grundsatz „zuerst muss das Geld verdient werden, bevor es ausgegeben wird“ hat in der politischen Landschaft keine Gültigkeit mehr. Tiefgreifende wirtschaftspolitische Reformen haben es in diesem Klima sehr schwer. 

Aber ist es nicht auch der Wesenskern einer gut funktionierenden Demokratie, dass sich politische Konzepte über die Jahrzehnte verändern können?

Ja absolut, gerade linken Parteien fehlt allerdings das Verständnis dafür, dass Menschenrechte nur verteidigt und das Klima nur geschützt werden können, wenn unser Wohlstand langfristig gesichert ist. Sonst verliert die Politik die Bürger auf dem Weg zum Ziel. Dieses Bewusstsein ist übrigens nicht nur in Deutschland Mangelware, sondern vor allem auch in der Europäischen Union. Statt Wohlstand zu erzeugen, setzt die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor allem auf Sozial- und Umweltthemen. Die Kernfragen der Wirtschafts- und Handelspolitik kommen eindeutig zu kurz. 

Vor allem die Grünen haben in der Ampel-Koalition die Laufzeitverlängerung der drei noch betriebenen Kernkraftwerke gebremst. Verstehen die Grünen die Notlage der Familienunternehmen?

Viele Grüne haben ein romantisches Bild von den Familienunternehmen in Deutschland. Sie sehen das Café oder die Bäckerei um die Ecke als ehrenwertes Unternehmen, das in dieser Krise auch zurecht geschützt werden muss. Doch Betrieben ab einer bestimmten Größe begegnen sie mit Vorbehalten, da große Familienunternehmen im grünen Milieu schnell unter den Verdacht des kapitalistischen Bösewichts geraten. Aber es ist genau jene Diversität aus lokalen Kleinunternehmen und international ausgerichteten Mittelständlern, die das wirtschaftliche Erfolgsmodell Deutschlands ausmachen. Familienunternehmen vertreten zudem häufig einen Wertekanon, der zu einem Gewinn für die ganze Belegschaft werden kann und den einmaligen Charakter der deutschen Unternehmenslandschaft prägt. In angloamerikanischen Ländern beispielsweise werden als Gegenmodell fast alle großen Unternehmen durch den Kapitalmarkt finanziert.

Das Gespräch führte Clemens Traub.

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