
- „Demokratie besteht nicht aus Denkschriften“
Die Kritik an der sogenannten Erklärung 2018 bricht nicht ab. Dabei kommt die Bewegung aus allen Schichten der Bevölkerung. Genau deshalb ist sie ein Erfolg, schreibt Alexander Grau in seiner Replik auf Ernst Elitz
Es sind nur 33 Wörter. Unspektakuläre noch dazu: die „Erklärung 2018“. Sie lauten: „Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird. Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird.“
Nur 33 Wörter, gesetzt in fünf Zeilen. Und doch erhitzen sie seit drei Wochen die Gemüter in Deutschland. Allein das sagt viel aus über die Stimmungslage hierzulande. Man ist gereizt.
Die Reaktionen waren also vorhersehbar. Und dennoch habe auch ich unterschrieben. Oder besser vielleicht: Gerade deshalb. Denn im Kern – und das ist auch der Grund, weshalb die Debatte so hochkocht – geht es um mehr als um den Appell, die Masseneinwanderung nach Deutschland und Europa endlich wirkungsvoll zu unterbinden und das moralische Recht, für dieses Anliegen friedlich zu demonstrieren.
Es sind nicht nur Abgehängte
Es geht auch darum, die Diffamierungsstrategien zu hinterfragen, mit denen versucht wird, die politischen Anliegen großer Bevölkerungsgruppen zu delegitimieren und zu pathologisieren. Dafür aber muss der Protest durch Bürger artikuliert werden, die nicht ohne weiteres als „Abgehängte“ zu verunglimpfen sind, also von Ärzten, Anwälten, Richtern, Unternehmern, Ingenieuren, Naturwissenschaftlern und Unternehmensberaten.
Und er muss aus dem Herzen jener Milieus kommen, die die Kulturlinke reflexartige als „die ihren“ ansieht: also von Schriftstellern, Publizisten, Grafikern, Theologen, Lehrern, Historikern, Soziologen und Psychologen. Nur dieser Protest trifft wirklich.
So gesehen war die Erklärung ein voller Erfolg. Und die Angesprochenen reagierten wie erwartet und demaskierten sich damit selbst. Die Zeit diagnostizierte, die Unterzeichner der Erklärung „wollten in Wahrheit nichts anderes als Abschottung“ und sah mal wieder „Angst“ am Werk (wird der Vorwurf nicht langsam langweilig?), der NDR warnte vor einem „Schulterschluss zwischen konservativen und rechten Denkern“, ein bekannter Kolumnist von Spiegel Online wusste zu berichten, die Unterzeichner der Erklärung wollten das „muslimreine Deutschland“, und die taz formulierte gewohnt deutlich, Initiatorin „Vera Lengsfeld und ihren Kumpanen vom rechten Rand“ ging es weniger um Fakten als um Stimmungsmache. So reagiert man, wenn man in Panik gerät.
Elitz' wohlfeiler Vorwurf
Und dann kam Ernst Elitz, ein hochverdienter Journalist, ehemaliger Intendant des Deutschlandradios und früherer Spiegel-Redakteur, und bemühte sich auf Cicero Online um eine differenzierte Sicht der Dinge. Was als Wortmeldung konservativer Intellektueller für eine überfällige Debatte jenseits lähmender politischer Korrektheit hätte gedeutet werden können, sei jedoch, so Elitz’ Fazit, „im Getümmel wutschnaubender Mitbürger gelandet“.
Was ein wohlfeiler Vorwurf! Wirklich ernst genommen, würde er jede politische Artikulation unterbinden. Doch Demokratie besteht nicht allein im Austausch ausformulierter Denkschriften. Deshalb hatte die politische Linke – zu Recht – auch nie Skrupel, Protest lautstark auf die Straße zu tragen. Mit Elitz’ Argument könnte man jede trillerpfeifende Gewerkschaftsdemo diskreditieren. Was aber der Linken legitimes Mittel, darf der Rechten nicht vorgehalten werden.
Das weiß im Grunde natürlich auch Elitz. Und so verstrickt er sich in offenem Spott gegenüber den „Doktores, Erfindern, Schriftstellern und Ganz- oder Halbakademikern“ und nasenrümpfender Missbilligung der Wutbürger. „Ja was denn nun?“, ist man geneigt zu fragen. Wenn die einen zu abgehoben sind und die anderen zu dumpf, wer darf sich dann überhaupt noch artikulieren?
Zahlen sind Zahlen
Da soziale Stigmatisierungen allein nicht weit tragen, greift Elitz zudem zu einer wohlbekannten Strategie. Er versucht, der Erklärung sachliche Unangemessenheit zu unterstellen. Es seien, so Elitz, „nun wirklich keine Massen mehr, die über die deutsche Grenze tröpfeln.“
Was eine Masse ist und was nicht, darüber lässt sich trefflich streiten. Denn „Masse“ ist kein wohldefinierter Begriff. Doch Zahlen sind Zahlen. Und die sprechen ihre eigene Sprache. Im Jahr 2017 kamen laut BAMF 186.644 Asylsuchende nach Deutschland, also eine Gruppe in der Größe einer durchschnittlichen Großstadt. Man kann das Masse nennen oder nicht, viele sind es allemal, zu viele – mehr als Darmstadt, Leverkusen oder Heidelberg Einwohner haben.
Doch was an Elitz’ Text wirklich irritiert, ist nicht die Unterstellung falscher Behauptungen oder sein wankelmütiger Begriff von Demokratie, sondern seine Attacke auf Vera Lengsfeld, die Initiatorin der Erklärung. Denn wie immer eine politische Diskussion verläuft und was immer ihr Thema sein mag, eines sollte sich immer verbieten: direkte Attacken ad personam. Zu suggerieren, Frau Lengsfeld Leben sei so schlimm, dass keiner „mit ihr teilen“ möchte, dass sie eine politisch Gescheiterte sei, die nun „nur noch bitter“ wirres Zeug verbreite, ist nicht nur unsachlich, sondern schlechter Stil. Schade eigentlich, denn mit seiner Analyse, dass die „Erklärung 2018“ eine große Chance berge, hat Elitz recht.