Olaf Scholz, Christian Lindner und Robert Habeck / dpa

Das wird nichts mehr mit diesem Kanzler - Exklusiv für Xing-Leser: Ins Scheitern verliebt, Folge 17: Scholz produziert erneut nur Verlierer

Anstatt vorsorglich neue Brennstäbe zu bestellen und die drei zuletzt abgeschalteten Atomkraftwerke wieder betriebsbereit zu machen, wollen nach den Grünen nun auch SPD und FDP den endgültigen Atomausstieg zementieren. Das ist keine vernünftige, vorsorgliche, vorausschauende Politik, sondern ein Paradebeispiel gefühlsgesteuerter Selbstverstümmelung einer neulich noch stolzen Industrienation.

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Jens Peter Paul war Zeitungsredakteur, Politischer Korrespondent für den Hessischen Rundfunk in Bonn und Berlin, und ist seit 2004 TV-Produzent in Berlin. Er promovierte zur Entstehungsgeschichte des Euro: Bilanz einer gescheiterten Kommunikation.

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Es ist zum Verzweifeln mit dieser sogenannten Bundesregierung. Drei Männern, die anscheinend nie erwachsen geworden sind, geht es am Ende nur noch um irgend eine Art von Gesichtswahrung. Was die Folgen ihrer Entscheidungen für das Land, für die Volkswirtschaft, für seine Bevölkerung, für das Verhältnis zu seinen europäischen Nachbarn und nicht zuletzt auch für das Klima bedeuten, spielt keine Rolle. Mit seinem großartigen „Machtwort“ mag Olaf Scholz seinen Laden ein weiteres Mal notdürftig für ein paar Wochen zusammenhalten, aber in der nun wirklich existenzbedrohenden Sache, der beispiellosen Energie- und Verarmungskrise, der sich Deutschland ausgesetzt sieht, ist nichts gewonnen. Im Gegenteil. 

Anstatt unverzüglich in Kanada vorsorglich neue Brennstäbe zu bestellen und die drei zuletzt abgeschalteten Atomkraftwerke Brokdorf in Schleswig-Holstein, Grohnde in Niedersachsen und Gundremmingen in Bayern wieder betriebsbereit zu machen, wollen nach den Grünen nun auch SPD und FDP jene endgültige Abschaltung der verbliebenen drei Kraftwerke zementieren, was das Gegenteil vernünftiger, vorsorglicher, voraussichtlicher Politik darstellt. Es ist im Gegenteil ein Paradebeispiel gefühlsgesteuerter Selbstverstümmelung einer neulich noch stolzen Industrienation. 

Gewissenlose Zocker blenden Risiken aus

Kein Mensch kann heute bereits halbwegs verlässlich voraussagen, wie sich die deutsche und europäische Energielage am 15. April 2023 darstellen wird. Nur ein Beispiel: Noch vier, fünf weitere erfolgreiche Angriffe auf unsere Infrastruktur oder auch jene Skandinaviens, Frankreichs oder auch der Niederlande – und die Probleme potenzieren sich sogar gegenüber der Lage heute. Dass es nach dem Winter automatisch besser wird, ist alles andere als gewiss. Nur gewissenlose Zocker können die offensichtlichen Risiken ausblenden. 

Was, wenn die LNG-Transporte sabotiert werden oder aus anderen Grünen ausfallen? Was, wenn Norwegen oder Holland selbst in eine Mangellage geraten sollten und ihre Lieferungen drosseln? Was, wenn Frankreich länger und intensiver auf deutsche Stromlieferungen angewiesen sein sollte? In dieser fragilen Situation nicht alle vorhandenen Möglichkeiten der Stromerzeugung zu nutzen, sondern sogar noch mutwillig abzuschalten, ist an Verantwortungslosigkeit nicht zu übertreffen.
 

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Ob das AKW Emsland dank Olaf Scholzens heldenhafter Intervention nun noch 15 Wochen länger wenigstens theoretisch in Betrieb bleiben darf, spielt in jeder halbwegs seriösen Gesamtbetrachtung keine Rolle. „Theoretisch“ deshalb, weil die Details der Begleitbestimmungen ja längst nicht geklärt sind; hat der Kanzler das Kleingedruckte doch der ideologiegetriebenen Umweltministerin und AKW-Gegnerin Steffi Lemke überlassen, die folgerichtig mit seiner Entscheidung ebenfalls kein Problem hat.

Erst recht kann Robert Habeck mit dieser „Lösung“ sehr gut leben. Christian Lindner verkauft seine Überzeugungen dagegen für Peanuts, lässt sich mit einer Zustimmung zu der sich nun abzeichnenden Minimaländerung des Atomgesetzes sogar vollends in Mithaftung nehmen für weiter steigende Strom- und Gaspreise sowie eventuelle Blackouts. Mittelstand, Industrie und Endverbraucher sagen: Danke, Lindner, danke, Freidemokraten, auch und vor allem aber: danke, SPD. Das einzige Konjunkturprogramm, das hier stattfindet, ist eines für die AfD. Die Liberalen haben sogar aus der Klatsche von Niedersachsen und den dortigen Wählerwanderungen nichts gelernt.

Lindner lässt konzertiert Jubelarien verbreiten

Regelrecht hässlich bei alledem, wie Lindner das Parteitags-Vorgehen der Grünen gegenüber ihrem Wirtschaftsminister kopierte, um es umzudrehen. Während die Grünen ihren Habeck an die Kette legten, instrumentalisierte Lindner den Brief des Kanzlers am Montagabend, um seine FDP an die Kette zu legen. Seinen Informationsvorsprung von vielleicht einer Stunde nutzend, was aus dem Kanzleramt kommen würde, ließ Lindner drei Minuten nach der Publikation der Entscheidung von Scholz konzertiert Jubelarien verbreiten, einschließlich seiner eigenen, damit kein Freidemokrat auf die Idee komme, die Entscheidung des Kanzler nicht als großartigen FDP-Triumph über die Grünen zu bewerten und zu beurteilen. Ein Framing, wie es nicht nur krass kontrafaktisch ist, sondern liberalen Grundsätzen nun wirklich Hohn spricht.    

Aber okay: Erlauben wir uns – ungeachtet aller Unwahrscheinlichkeit an dieser Stelle – den Luxus eines Gedankenexperiments und unterstellen dem Bundesfinanzminister und FDP-Vorsitzenden nicht nur Cleverness, sondern Klugheit. Denkbar wäre ja, dass Christian Lindner heute bereits davon überzeugt ist, dass die Lage am 15. April 2023 derart kritisch sein wird, vielleicht sogar chaotisch, dass außer Jürgen Trittin und der Grünen Jugend kein Mensch mehr daran denken wird, Isar II, Emsland und Neckarwestheim auch noch abzuschalten. Oder die Koalition bis dahin sowieso an ihren unaufhebbaren Widersprüchen zerbrochen ist. Oder Christian Lindner die Bundestagsfraktion der Grünen bereits heute für derart verstrahlt hält, dass sie dem noch vorzulegenden Gesetzentwurf für die Minimaländerung von Artikel 7 Atomgesetz die Zustimmung verweigert, eventuell sogar einen eigenen vorlegt. 

Ein grundsätzlich nicht auszuschließender Amoklauf der maximalempörten und von Scholz bitter enttäuschten Grünen gegenüber den eigenen Ministern und dem Kanzler würde der FDP-Fraktion die Möglichkeit eröffnen, endlich nun ebenfalls einen eigenen Text vorzulegen und dem Bundestagsplenum zur Abstimmung zu stellen: Ohne neues Ausstiegsdatum, aber mit Wiederinbetriebnahme von Brokdorf, Grohnde und Gundremmingen sowie der ausdrücklichen Aufforderung zur schnellstmöglichen Beschaffung neuen Brennstoffs. 

In einem hat Trittin ja ausnahmsweise recht: „Die Geschäftsordnung der Bundesregierung bindet auch nicht die Fraktionen bei der Umsetzung einer Formulierungshilfe für ein Gesetz.“ Was bedeutet: Frau Lemke kann nun auf Weisung des Kanzlers dem Plenum diese Woche vorlegen, was sie will – der Deutsche Bundestag ist in seiner Entscheidung, wie das neue Atomgesetz aussehen soll, völlig frei. Er kann die Kabinettsvorlage sogar ungelesen im Papierkorb versenken, wenn er das will. Das Parlament macht die Gesetze (Legislative), die Regierung führt sie aus (Exekutive). Nicht umgekehrt.

Bloß keine vernünftige Politik mit den Stimmen der AfD

Was seltsamerweise aber in einem bereits hinreichend vergifteten Koalitionsklima unverändert seit Wochen fehlt, ist eine scharfe Warnung aus der linken Hälfte des Bundestags vor einer Unterstützung alternativer Gesetzesinitiativen – sei es von CDU/CSU, sei es von der FDP – durch die AfD-Bundestagsfraktion. Anscheinend gehen Grüne, Linke und Sozialdemokraten im Moment noch davon aus, dass sich Union und FDP nicht trauen werden, eine Wiederinbetriebnahme und Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken notfalls auch mit Stimmen aus den Reihen der AfD gegen Rot-Grün durchzusetzen. 

Dazu, so das denkbare Kalkül, sei die Erinnerung an den Februar 2020 auch in Berlin noch zu frisch, als in Erfurt mit Hilfe von Angela Merkel, Bodo Ramelow und der Antifa ein – verfassungswidriges, wie Karlsruhe später erklären sollte – Exempel statuiert wurde, in dessen Verlauf der FDP-Mann Thomas Kemmerich einschließlich Frau und Kindern systematisch fertiggemacht wurde.

Nur läge es auch diesmal wieder an der SPD, ob es auf die Stimmen der AfD überhaupt ankäme, wenn eine einfache Mehrheit für eine vernünftige Novellierung des Atomgesetzes genügt. Dieser Konflikt bietet also bereits in dieser Sitzungswoche noch eine Menge Entfaltungsmöglichkeiten. Möglicherweise sind wir schon am Dienstagabend schlauer. Nachhaltig ist an dem „Machtwort“ von Olaf Scholz, wie man sieht, jedenfalls gar nichts.
 

Passend zum Thema: Der Cicero-Podcast mit AKW-Befürworterin Anna Veronika Wendland.

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