Zwei Recce-Tornados der Luftwaffe der Bundeswehr starten im Rahmen des Einsatzes Counter DAESH am 09.01.2016 in Incirlik (Türkei) zu einem Einsatzflug.
Als bisher wichtigste Post-Brexit-Messlatte darf diese Form der militärischen Kooperation jetzt nicht scheitern / picture alliance

EU-Verteidigungsunion - Ein Gradmesser für den Zusammenhalt

Die EU-Mitgliedsstaaten wollen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik enger zusammenarbeiten. Das ist längst überfällig und doch stellen sich dabei zahlreiche Fragen. Nicht zuletzt danach, ob die EU ihren ins Straucheln geratenen Integrationsprozess so wieder auf Kurs bringen kann

Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Während die Verhandlungen über den Brexit stagnieren, beweisen die EU-Mitgliedstaaten mit der Vereinbarung der „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ auf dem Gebiet der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, dass sie zu weiteren Integrationsschritten in der Lage sind. 23 der 27 EU-Mitgliedstaaten unterschrieben diese Verpflichtung. Dänemark, Irland, Portugal und Malta verschlossen sich diesem Schritt. 

Die Außenbeauftragte der EU, Federica Mogherini, feierte dies als „historischen Moment“, andere Bewertungen waren zurückhaltender. FAZ-Redakteur Nikolas Busse sprach, weit abgeklärter, von einem „weiteren Trippelschritt“. Diese Einschätzung ist auch viel klüger als die substanzlosen Jubelreden. Denn die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist für die EU eine der gefährlichsten Fallgruben. Zustimmung findet die EU vor allem dann, wenn sie Probleme löst, zum Beispiel ihre sicherheitspolitischen Herausforderungen meistert. Davon ist sie allerdings noch meilenweit entfernt.

Streit über das Budget blieb aus

Bemerkenswert ist, wie gering die Erregung in Deutschland darüber ausfiel, dass sich die Staaten zu kontinuierlich steigenden Verteidigungsausgaben verpflichteten. Anders als bei der ebenfalls von der Großen Koalition zugesagten Erhöhung der Verteidigungsausgaben im Nato-Rahmen, setzte hier keine Diskussion darüber ein, ob das denn richtig und sinnvoll sei. Das wirft auf die Debatte um das Zwei-Prozent-Ziel der Nato ein ganz neues Licht. Ging es den Kritikern da weniger um die Budgetmittel als um die Nato? Auf diese werden die EU-Mitgliedstaaten gleichwohl auf Jahrzehnte hinaus nicht verzichten können. Sie ist der eigentliche Schutz und Handlungsrahmen, selbst wenn die Zusammenarbeit kräftig in Schwung kommt.

Was wurde vereinbart? Die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit bedeutet, dass sich die EU-Staaten ab Mitte Dezember 2017 an gemeinsamen Rüstungsprojekten beteiligen, Krisenreaktionskräfte bereitstellen und ihre Verteidigungsausgaben kontinuierlich erhöhen. Das Ziel sei, klärt die Bundesregierung auf, „europäische Verteidigungspolitik verbindlicher zu machen“. Das Ergebnis ist allerdings nicht besonders schwungvoll, wenn man bedenkt, dass die Beteiligung an den EU-Battlegroups, die auf ihren ersten Einsatz im Krisenfall noch warten, und an der Europäischen Verteidigungsagentur sogar Voraussetzung für die Beteiligung waren. 

Verteidigungsunion könnte Nato stärken

Die Mitgliedstaaten der EU wissen, manche erstaunlicherweise erst seit kurzer Zeit, dass sie in Zukunft selbst für die Stabilität ihres regionalen Umfelds und die Sicherheit ihrer Grenzen sorgen müssen. Warum erst ein als erratisch wahrgenommener US-Präsident auftreten musste, um diese Erkenntnis zu Tage zu fördern, wird später einmal die Historiker beschäftigen. Von den Kriegen in Post-Jugoslawien angefangen, über die Kriege in Afghanistan und Irak bis zum Arabischen Frühling hatten die Regierungen der EU-Staaten eigentlich ausreichend Gelegenheit, die Sicherheit als ein wichtiges Handlungsfeld zu erkennen. 20 Jahre wurde das, man kann es leider nicht anders sagen, nicht mit dem nötigen Ernst verfolgt.

Von den Beteiligten wurde gelobt, dass diese verbindlichere Zusammenarbeit parallel die Nato stärken werde. Das kann kurzfristig sogar der Fall sein. Denn für die nächsten Jahre kann sie notwendige Effizienzwirkungen im Bereich Logistik entfalten, einer Nato-Priorität, die als eines von zwei Beispielen für intensivere Kooperation erkannt wurde. Die medizinische Versorgung wurde als zweites Handlungsfeld identifiziert. Aber es wird genau zu beobachten sein, welche Brüche sich auftun, wenn (und falls) die Zusammenarbeit nachhaltigen Erfolg hätte. Für die USA war in den neunziger Jahren stets wichtig, dass die EU-Staaten die Nato nicht duplizieren, sich nicht von ihr entkoppeln und niemand diskriminiert wird. Das zielte damals auf die Türkei. 

Hindernisse und Chancen

Am Ende geht es bei der sicherheitspolitischen Integration aber auch um die Frage nach der souveränen Entscheidung über Krieg und Frieden. Man stelle sich vor, die EU-Staaten hätten den Zusammenbruch der Sowjetunion für eine schlagartige Integration ihrer Streitkräfte genutzt: Der Feind war weg, Material und Geld waren ausreichend vorhanden und die Perspektive auf einen langen Frieden hätte die Entscheidungen erleichtert. Die Kriege in Jugoslawien hätten zudem eine rasche Umsetzung erforderlich gemacht, Europa hätte seine erste Bewährungsprobe bestanden. Und dann? Spätestens der Krieg im Irak hätte einen Sprengsatz an die integrierten Fähigkeiten gelegt. Einige Staaten greifen ein, andere nicht; das wäre nicht mehr so einfach möglich gewesen. Auch die mancherorts leise geführte Diskussion über die Parlamentsentscheidungen in mehreren EU-Staaten hätte ein weiteres Problem offen gelegt. Denn was geschieht, wenn Parlamente unterschiedlich entscheiden?

Die EU tut gut daran, diese Fragen zu kennen und sie gleichwohl jetzt außen vor zu lassen. Denn sie sind derzeit politisch nicht zu entscheiden. Aber so zu tun, als stellten sie sich nicht, würde die Legitimation des Prozesses untergraben. Parallel dazu wird es darauf ankommen, wie erfolgreich die jetzt angesetzte Zusammenarbeit sein wird. Wird sie den EU-Staaten das bringen, was sie sicherheitspolitisch derzeit am meisten vermissen? Dann wird sich im besten Falle über die Zeit ein gemeinsamer politischer Wille formieren. Die Mitgliedstaaten werden erfahren, wo Schwerpunkte und Grenzen ihrer Kooperation liegen. 

Hätte man diesen Prozess mit allen EU-Mitgliedsstaaten in den neunziger Jahren begonnen, wäre der Erfolgsdruck jetzt nicht so groß. Nun ist er immens, aber lamentieren hilft nichts. Als bisher wichtigste Post-Brexit-Messlatte darf diese Form der Kooperation jetzt nicht scheitern. Sie ist darauf angelegt, den in raues Fahrwasser geratenen Integrationsprozess wieder auf Kurs zu bringen. Alles außer dynamischer Effektivität würde als Scheitern gewertet werden und den EU-feindlichen Kräften Auftrieb geben. 

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Hans Ulbricht | Mi., 15. November 2017 - 13:02

in Wahrheit handelt es sich hier um die Nachricht des Jahres! Es bildet sich weiter das EU-Imperium, das wirklich dringend über 500 Millionen Menschen herrschen muss. Man fragt sich, wie Portugiesen und Finnen überhaupt jemals ohne gemeinsame Armee überleben konnten.
Von Kooperation kann übrigens keine Rede sein. Für Kooperation bräuchte man einzelne funktionierende Armeen. Deutschland hat nicht eine einzige einsatzfähige Brigade, veraltetes Gerät und keinen Atombunker. Wir erleben derzeit die totale Verschmelzung von zuvor absichtlich destabilisierten Nationalstaaten.
Ich halte das ganze für eine schlechte Idee.
Auch demokratisch haben die Deutschen
nie für eine EU-Armee gestimmt.

Franz Schmid | Mi., 15. November 2017 - 15:35

Antwort auf von Hans Ulbricht

D st souverän. Was ist das, wenn man das VOLK zu wichtigen, existentiellen nie befragt?
........ Richtig?

Robert Polis | Mi., 15. November 2017 - 13:37

Die Schwierigkeit, selbst kleinere Vorhaben im europäischen Rahmen durchzuführen ist bekannt, denn es gibt ja bereits seit vielen Jahren entsprechende Institutionen wie OCCAR (Organisation Conjointe de Coopération d'Armement) und EDA (European Defence Agency).

Wer die Prozeduren dort kennt, angefangen beim Aushandeln eines EST (European Staff Target) mit nationalen Sonderwünschen (A400M!), die komplizierten Ausschreibungen mit Gewichtung der Arbeitsanteile nationaler Firmen (selbst wenn es keine mit projektbezogenen Beiträgen gibt) versus nationale Beiträge etc., weiß, welche Aufgabe hier angegangen wird.

Es bleibt zu hoffen, daß am Ende nicht nur ein gemeinsamer "Topf" übrigbleibt ("Verteidigungsbonds"), in den die Staaten sehr viele Dinge verbuchen - so wie in alten Zeiten Berlin-Subsidien in den NATO - Beitrag.

Rolf B. Greven | Mi., 15. November 2017 - 13:39

Es ist m.E. kein Zufall, dass Frau v.d.L. während der Jamaika-Verhandlungen und fast unbemerkt und wenig kommentiert und fern jeder demokratischen Abstimmung weiter an ihrer aggressiven Vision arbeitet, es den Russen mal richtig zeigen zu wollen.
Wieso müssen Rüstungsausgaben steigen, wenn es doch so tolle Synergien geben soll durch diese europäische Verteidigungsgemeinschaft? Wer bedroht uns eigentlich? Ich dachte immer, dass DE am Hindukusch verteidigt wird. Jetzt also doch in Europa?
Ein völlig irrsinniges Vorhaben ist das im Windschatten eines neuen kalten Krieges, geschürt durch die bekannten Transatlantikernasen.

Mathias Trostdorf | So., 19. November 2017 - 00:53

Antwort auf von Rolf B. Greven

Das sehe ich ähnlich. Man ahnt ja schon, wer das meiste zusätzliche Geld für dieses neue "Friedensprojekt" löhnen darf. In Deutschland ist scheinbar kein Geld da, um die Reste der klapprigen Bundeswehr am Laufen zu halten, aber für Brüssel fallen dann plötzlich wieder Milliarden vom Himmel.
Die Katastrophe, auf die Europa durch falsche Politik in vielfältiger Weise zusteuert, kommt ja mit atemberaubender Geschwindigkeit näher. Ich würde gern mal wieder von diesem Alptraum aufwachen, den mir die derzeitige Politik beschert.

Robert Polis | Mi., 15. November 2017 - 13:39

Vielen Dank für das schöne Foto mit ECR - Tornados, die es allerdings alleine in der deutschen Luftwaffe gibt.

Gerdi Franke | Mi., 15. November 2017 - 14:25

Was soll das? Parallel zur NATO? Oder doch besser anstatt? Und gleich zum Start mit dieser Vielzahl von Teilnehmern? Die dann doch jeder wieder in eine andere Richtung wollen? Klein anfangen und peu a peu ausbauen wäre besser gewesen!

Reiner Koester | Mi., 15. November 2017 - 15:28

Die bedeutendste Verteidigungskomponente fehlt. Die Deutschen kann man aus bekannten Gründen vergessen. Bleibt nur die Grande Nation, die war aber zu keinem Zeitpunkt ein verlässlicher Partner, siehe NATO.

Bernhard K. Kopp | Mi., 15. November 2017 - 15:31

Es wäre natürlich schön, wenn die militär-strategische und -technische Effektivität und Effizienz damit verbessert werden könnte. Bis zum Beweis des Gegenteils muss man dies aber als unwahrscheinlich ansehen. Solange es nicht gelingt, die Bundeswehr und das Bundeswehrbeschaffungsamt überzeugend zu organisieren, solange wird es auch europäisch nicht gelingen. Mit den gleichen Leuten und Arbeitsmethoden gibt es nicht 'more bang for the buck' (Eisenhower, 1954)

wolfgang spremberg | Mi., 15. November 2017 - 16:06

Nicht eine möglichst starke Integration liegt im Interesse der EU Bürger ( um die geht es doch ?).
Wichtiger, wesentlich, ist, das eine Gemeinschaft funktioniert. Eine gute, solidarische Freundschaft ist mir lieber als eine Zwangsehe.
2 % mehr für die Sicherheit ? Sollte man nicht einfach mal klären, wie sicher man ist ? Was zu mehr Sicherheit benötigt wird ? Und dann was das kostet ? Wenn das dann weniger als 2% sind....prima , dann rede ich mit meinen Freunden darüber und kläre das.
Die linke Vorstellung, Kosten für Flüchtlinge etc. mit zu berechnen ist geradezu albern. Will man in einer Bedrohungslage Quittungen über die Ausgaben für Flüchtlinge, Entwicklungshilfe etc. vorzeigen ?

Yvonne Walden | Mi., 15. November 2017 - 16:50

Zunächst einmal: Wer schützt die vier EU-Mitgliedsländer, die sich an dem neuen Militärbündnis nicht beteiligen werden?
Allein die Abstinenz dieser vier Staaten dürfte die EU als Ganzes eher schwächen als stärken.
Hans Ulbricht schreibt in seinem Beitrag von der Nicht-Einsatzfähigkeit der deutschen Streitkräfte.
Die Frage ist: wozu denn auch?
Deutschland ist seit 1990 sozusagen "von Freunden umzingelt".
Wenn die Russische Föderation von interessierter Seite als militärischer "Feind" bezeichnet wird, geht dies an den Realitäten vorbei und zeigt nur, daß gewisse Kreise ein "Feindbild" benötigten, um eine wie auch immer geartete Aufrüstung argumentativ zu untermauern.
Interessant ist auch die Behauptung, Deutschland verfüge über keinerlei Atombunker.
Will Deutschland, will Europa erneut Milionen, ja Milliarden in angeblich atombombensichere Untertageanlagen investieren, obwohl sich diese am Ende als "lebendige Gräber" erweisen werden?
Es geht also nur um eines: Aufrüstung um jeden Preis.

Dimitri Gales | Mi., 15. November 2017 - 20:33

die Einzelheiten des Ganzen mit den Teilnehmerstaaten abzustimmen, gemeinsame Linien zu beschliessen etc. Frankreich denkt eher an eine intensive, privilegierte Zusammenarbeit mit Deutschland. Aber die Bundesregierung ist wohl anderer Meinung.
Als Pflaster für die Risse in EU-Europa wird das wohl nicht dienen.

Claudia Martin | Do., 16. November 2017 - 03:18

wissen, dass sie ihre Grenzen schützen müssen. Herr Jäger, in welcher Welt leben sie? Der dt. Bundestag hat gar kein Interesse D zu schützen. Es könnte dann ja zu unschönen Scenen kommen. Es könnten sogar Schüsse fallen. Wir sollten vielmehr allen einfallenden feindlichen Soldaten unverzüglich Asyl gewähren und sofort die dt. Staatsbürgerschaft aufdrängen. Der Krieg wäre damit sofort beendet und die dt. Leitkultur hätte obsiegt.

Udo Dreisörner | Do., 16. November 2017 - 09:22

In der Grenzsicherung gibt es keine Einigkeit bezüglich Zustrom und Flüchtlingsströme wir brauchen aber eine Europa-Armee? Natürlich wird dann der deutsche Michel die Euro-Armee bezahlen da viele andere Länder das sicherlich nicht bezahlen wollen oder können. Man fasst sich nur noch an den Kopf. Was für ein Schwachsinn. Und für Schulen, Straßen, Alte und Kranke ist wieder einmal kein Geld da. Manmanman

Lutz Schnelle | Do., 16. November 2017 - 11:47

Daß die EU-Staaten entdemokratisiert worden sind, erkennt man schon daran, daß dem Staat selber ein Willen zugesprochen wird und als handelnde Person auftritt. Erinnern wir uns an Theo Waigel, der in der Süddeutschen Zeitung (Reden wir über Geld) sagte: Hätten wir die Deutschen gefragt, hätte es keinen Euro gegeben.
Wer ist "wir"? Wen haben "die" dann gefragt"?
Von Volksvertretern, die den Willen des Volkes erfüllen, hört man in diesen grauen Zeiten nichts mehr.

Wilhelm Maier | Do., 16. November 2017 - 16:08

„Zustimmung findet die EU vor allem dann, wenn sie Probleme löst, zum Beispiel ihre sicherheitspolitischen Herausforderungen meistert.“ dann muss wohl ein Feind heran, oder er soll schnellst erfunden werden. Ist schon wohl...
„die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit“
und die:
„... Tragik der langen Arbeit, die bevorsteht, um in weiter Ferne utopische Vorstellungen Wirklichkeit werden zu lassen, ist ein elementarer Aspekt der Utopie. Tragisch ist dabei, dass sich − sowohl auf der Ebene des Fiktionalen als auch bei Versuchen der politischen Umsetzung einer Utopie − die Absicht der gesellschaftlichen Verbesserung leicht in ihr Gegenteil verwandeln kann.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Utopie