Alexander Marguier und Christoph Schwennicke im Gespräch mit Andreas Voßkuhle
Andreas Voßkuhle im Cicero-Foyergespräch: „Ich glaube, wir tun alle gut daran, das Wahlergebnis ernst zu nehmen.“ / Bernd Hentschel

Cicero Foyergespräch - „Unzufrieden mit dem, was man konkret als Politik erlebt“

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Künftig wird es ein drittes Geschlecht im Geburtenregister geben. Im Cicero-Foyergespräch sprach Präsident Andreas Voßkuhle über die pluralistische Gesellschaft, Spannungen zwischen Richtern und Politikern und die Bedrohung des europäischen Wertefundaments

Alexander Marguier

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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Belgische Verhältnisse? Andreas Voßkuhle greift in die rechte Innentasche und zieht ein schwarzrot-goldenes Büchlein von der Größe einer Streichholzschachtel aus seinem Jackett. Wie ist das geregelt, wenn sich über Monate keine neue Regierung bildet? Voßkuhle blättert im Grundgesetz, dem Text, dessen oberster Hüter er ist. Die einschlägigen Artikel geben nichts Eindeutiges her, die Sache ist demnach in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags geregelt, die aber auch ein Andreas Voßkuhle weder in der Jacke noch im Kopf haben muss. Wir werden die Frage also gleich weglassen.

Das 24. Cicero-Foyergespräch, einmal mehr ein Auswärtsspiel in Karlsruhe: Zu Gast ist der vierte Mann im Staate, Präsident des ortsansässigen Bundesverfassungsgerichts – und zwar nur drei Tage nach der Bundestagswahl, die diffuse Mehrheitsverhältnisse hervorgebracht hat. „Politik ohne Volk – die Legitimationskrise des politischen Systems“ lautet das Thema, das angesichts des Einzugs der Wut- und Protestpartei AfD mit 12,6 Prozent und einer gleichzeitig auf fast 76 Prozent gestiegenen Wahlbeteiligung nach aktueller Diskussion förmlich schreit.

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Christa Wallau | Do., 9. November 2017 - 14:28

"Demokratie wird angetrieben von der Idee, daß die Minderheit zur Mehrheit werden kann" , so der
Verfassungsrichter A. Voßkuhle.
Dem ist beizupflichten.
Aber:
Es ist nicht das Entscheidende an der Demokratie und nicht ihr Haupt-Anliegen, daß die Minderheit zur Mehrheit werden kann o. gar sollte.

Nach meinem Verständnis besteht das Grundprinzip der Demokratie in einem Staat darin, daß jeder Bürger mit einer Stimme für o. gegen eine Maßnahme (ein Gesetz, eine
eine grundsätzliche Veränderung, eine hohe Ausgabe, einen bestimmten Bau usw.) Stellung
beziehen darf u. daß demnach die Mehrheit der Stimmen darüber entscheidet, was in der Folge zu unternehmen ist.
Wenn also z.B. die Mehrheit in der Demokratie entscheidet, daß sich die Bevölkerung in ihrem Staat nicht derart durch Zuwanderung verändern darf, daß die Zugewanderten in absehbarer Zeit zur Mehrheit im Staate werden, so ist dies absolut
demokratisch und nicht zu kritisieren - weder von der Regierung noch von sonstwem.
Oder?

Ganz gewiß ist diese These nicht die Hauptantriebskraft der Demokratie, die ist, daas sich stets und ständig sich erneuernde, bestätigende Bewußtsein, WIR sind das Volk und der SOUVERÄN, und WIR ENTSCHEIDEN. Voßkuhles These beschreibt nur eine mögliche Technik zur Erlangung von Macht, mehr nicht. Das ist schon ein recht seltsames Demokratieverständnis...

Unsere Demokratie, die über ein Verhältniswahlrecht verfügt, das ich deshalb auch bestimmt nicht abschaffen würde, ermöglicht zudem, dass sich Stimmen nicht nur aufteilen können, sondern auch zu Buche schlagen, kurz wir sind ein glückliches Land mit unserer Demokratie.
Nicht ganz glücklich war ich auch mit der Idee von Herrn Prof. Vosskuhle, dass Entscheide zu Merkel auf der europäischen Bühne am richtigen Platz waren.
Sehr sehr gut finde ich aber seine Bereitschaft sich gegenüber den Bürgern zu äußern.
Danke für dieses Interview.

Frau Wallau. Fast alle Flüchtlinge die zu uns kommen, kommen weil in ihrer Heimat Multikulti nicht so recht funktioniert. Die modernen westlichen Staaten machen auch nicht nur gute Erfahrungen mit Einwanderern. Ich bin kein Rassist und sage daher : wir können es nicht besser. Daher möchte ich, auch im Interesse meiner Kinder und Enkel, keine Zuwanderung, die nicht unseren Interessen entspricht. Was meine Interessen sind pflege ich übrigens selbst zu entscheiden. Das würde ich daher gern auch in dieser schicksalsträchtigen Frage tun.
Angesichts einer EU mit ca. 24 Millionen offiziellen Arbeitslosen, unzähligen prekär beschäftigten, den bevorstehenden Umwälzungen durch Industrie 4.0 sehe ich keinen Grund für eine umfangreiche Zuwanderung. Die Vorstellung wir könnten das enorme Bevölkerungswachstum (Afrika/Nahost) und die daraus resultierenden Probleme lösen, womöglich bei uns, halte ich für absurd und verantwortungslos.
Ich möchte keine Konflikte importieren.

Wo ich Voßkuhle beipflichte ist, dass Demokratie nicht einfach der Wille der Mehrheit ist (das ist z.B. Putin, Erdogan auch), sondern ein komplexes Geflecht konkurrierender Punkte. Ich würde den Kern als "Interessenausgleich nach Regeln und gewaltfrei" bezeichnen. Wie es Voßkuhle ausdrückt, klingt aber in der heutigen Situation mit Minderheiten und Zuwanderung wirklich äußerst merkwürdig. Das klingt fasst so als müsste jede Gruppe und Gesellschaft auf die eigene Abschaffung hinarbeiten.

Selbstverständlich gehört jedoch zur Demokratie, dass jede Gruppe versucht ihre Interessen durchzusetzen - auch dauerhaft. Die Interessen fast aller Minderheiten werden dauerhaft Minderheiteninteressen bleiben. Und einige (wenige) bisherige Minderheitenpositionen gewinnen irgendwann die Oberhand - selbstverständlich.

Bernhard Jasper | Do., 9. November 2017 - 16:15

Lesen Sie das Autoren-Magazin „Cicero“ (Heft No. 11 vom November).

Sehr zu empfehlen eine Dokumentation und Übersetzung der Einleitung des Buches „The strange death of Europe“ (Europas seltsamer Untergang) vom Autor Douglas Murray.

Interessant, könnte man kulturgeschichtlich noch vertiefen und erweitern.

Sepp Kneip | Do., 9. November 2017 - 16:52

"Demokratie wird angetrieben von der Idee, daß die Minderheit zur Mehrheit werden kann"

Dann, Herr Vosskuhle, leben wir nicht in einer Demokratie. Denn diese Idee wird von unseren etablierten Parteien im Hinblick auf die AfD derart mit Füßen getreten, dass sie Ihre Aussage Lügen straft. Die AfD ist eine Minderheit, wenn auch drittstärkste Fraktion im Bundestag. Und was tun unsere etablierten "demokratischen" Parteien? Statt sich mit der AfD demokratisch auseinanderzusetzen, wird sie verleumdet, stigmatisiert und als Nazi-Partei beschimpft.

Nein, nicht die AfD ist undemokratisch. Undemokratisch sind die, die es mit Methoden einer unseligen Zeit verhindern wollen, dass eine Minderheit mit demokratischen Mitteln größer wird. Undemokratisch ist auch eine Kanzlerin, die gegen Recht, Gesetz und am Bürger vorbei regiert und damit die Grundpfeiler der Demokratie, die Gewaltenleilung außer Kraft setzt. Das, Herr Voßkuhle, sollte das BVG mal anprangern.

Dr. Lothar Sukstorf | Do., 9. November 2017 - 17:31

Ich bin sprachlos, das soll das Grundprinzip der Demokratie sein? Demos---Volk, kratein--herrschen. Mehrheit entscheidet...So war das im antiken Athen. Und bei uns...Allmählich muß man die Systemfrage stellen!

Dr. Lothar Sukstorf | Do., 9. November 2017 - 17:47

...repräsentative Demokratie, bei uns frißt das Adjektiv das Substantiv!

helmut armbruster | Fr., 10. November 2017 - 09:02

Die Demokratie ist die schlechteste aller Staatsformen, ausgenommen alle anderen (Churchill).
Also nicht der Idealzustand.
Das Mehrheitsprinzip ist anfechtbar, denn die Mehrheit kann falsch liegen.
Das Freiheitsprinzip ist steht auf wackligem Fundament, denn Freiheit kann manipuliert werden.
Das Gebot, dass Macht nicht missbraucht werden darf, kann missachtet werden.
Das Gebot, dass das Volk der Souverän ist und seine Macht nur an das Parlament delegiert hat, kann umgangen und ausgehöhlt werden.
Die Frage der Verantwortlichkeit ist ein Problem, weil man sie auf viele Schulter verteilen kann.
Die Tatsache, dass politische Parteien sich in den Vordergrund schieben u. den Ton angeben, schwächt die eigentliche Volkssouveränität.
In summa: Vermutlich hat Churchill recht.

Dr. Lothar Sukstorf | So., 12. November 2017 - 20:01

Antwort auf von helmut armbruster

So sehr ich Ihren Kommentar schätze, das Wort kann (in der Möglichkeitsform) MUß bei uns ersetzt werden durch ...'wird/ist'. Es geht auch nicht um den Vergleich mit anderen Systemen, denn wir leben nun mal in unserem jetzigen System...Freiheit wird bei uns manipuliert...Volkssouveränität...darüber lacht sich Merkel schlapp...Verantwortlichkeit, als ethisch moralische Arbeitsgrundlage, ist bei uns nicht zu erkennen...Machtmissbrauch, siehe Merkel im September 2015...