Der entmachtete katalanische Regierungschef Carles Puigdemont bei einer Demonstration in Barcelona
Puigdemont kündigte bereits an, man werde „weiter kämpfen“ / picture alliance

Carles Puigdemont - Hoch gepokert – und verloren

Carles Puigdemont wollte Katalonien um jeden Preis in die Unabhängigkeit führen. Den muss er jetzt bezahlen. Seine Absetzung ist eingeleitet und es drohen ihm sogar 30 Jahre Haft. Ein Porträt

julia-macher

Autoreninfo

Julia Macher lebt als Journalistin in Barcelona und berichtet seit vielen Jahren von der iberischen Halbinsel.

So erreichen Sie Julia Macher:

Der Mann, der Katalonien um jeden Preis in die Unabhängigkeit führen will, ist ein Betriebsunfall der Geschichte: Er hat nie für das Amt des Ministerpräsidenten seiner Region kandidiert, sondern half nur seinem Amtsvorgänger Artur Mas aus der Patsche. Der wirtschaftsliberale Mas, ein smarter Anwalt aus dem korruptionsverdächtigen Parteikader in Barcelona, war für die linksradikale CUP nicht tragbar. Sie forderte im Gegenzug für die Unterstützung des Unabhängigkeitskurses seinen Kopf – und Carles Puigdemont, damals Bürgermeister von Girona, war einer der wenigen konsensfähigen Kandidaten aus der Riege der konservativen PDECAT: ein unbeschriebenes Blatt mit klarer Überzeugung.

Der unauffällige Mann aus der Provinz

Carles Puigdemont, Jahrgang 1962, hat schon immer von einer katalanischen Republik geträumt. Aufgewachsen als zweitältester Sohn einer Bäckerfamilie in Amer, einem kleinen Dorf in der Provinz Girona, gehört er zu jenem Teil der heterogenen Unabhängigkeitsbewegung, der Katalonien qua Sprache, Kultur und Geschichte als grundsätzlich nicht kompatibel mit Spanien hält – und Spanien selbst für einen hoffnungslosen Fall: „Dieser Staat kann einfach nicht reformiert werden. Wir Katalanen haben das immer wieder versucht und sind damit gescheitert. Jetzt ist es endgültig Zeit für uns, unseren eigenen Weg zu gehen.“

Cicero Plus weiterlesen

  • Monatsabo
    0,00 €
    Das Abo kann jederzeit mit einer Frist von 7 Tagen zum Ende des Bezugzeitraums gekündigt werden. Der erste Monat ist gratis, danach 9,80€/Monat. Service und FAQs
    Alle Artikel und das E-Paper lesen
    • 4 Wochen gratis
    • danach 9,80 €
    • E-Paper, App
    • alle Plus-Inhalte
    • mtl. kündbar

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Christa Maria Wallau | Mo., 23. Oktober 2017 - 15:05

Wieder jemand mehr in Katalonien, den das Volk dort zum Märtyrer der Unabhängigkeitsbewegung erheben kann! Für ihn persönlich hat es sich wahrlich nicht gelohnt, die von vornherein hoch- riskante Aufgabe des Provokateurs zu übernehmen, dennoch werden andere ihm folgen.
Das Verfahren gegen Puigdemont, seine Amtsenthebung und wahrscheinliche Verurteilung
zu einer Haftstrafe sowie die mit Polizeikräften erzwungene Übernahme der Macht in Katalonien durch die spanische Zentralregierung können nur kurzfristig eine oberflächliche Ruhe erzeugen.
Der Konflikt ist damit jedoch nicht gelöst.
Der Kampf wird mit tödlicher Sicherheit weitergehen.
Beide Streitparteien brauchen dringend einen vernünftigen, besonnenen Vermittler.
Der König scheint ungeeignet dafür zu sein. Vielleicht könnten Intellektuelle (Schrifsteller, Professoren...)aus den unterschiedlichen Provinzen des Landes sich zu einem beratenden Gremium zusammenschließen, bevor ein ausländischer Vermittler eingeschaltet würde.

Hans Fraundorfer | Mo., 23. Oktober 2017 - 17:09

Ich glaube, dass die Geschichte zeigen wird, das Ihr Artikel völlig daneben liegt. Erhebliche Teile der europäischen Völker fühlen sich von abgehobenen und flüchtigen Eliten (Zygmunt Baumann) im Stich gelassen. Sie erwarten von den politischen Führern Opferbereitschaft und Loyalität (Ivan Krastev). Veruteilungen und Gefängnis werden den Wunsch nach Unabhängigkeit noch verstärken. Dabei haben weise Briten und Tschechen vorgemacht, wie so etwas friedlich geht.

Antal Bischof | Mo., 23. Oktober 2017 - 17:13

Die Auflösung eines Staates darf nur im Osten stattfinden. Siehe Sowjetunion und Jugoslawien! Im Westen Nicht!!!
Das Volk von Katalonien darf abstimmen, wie es leben möchte, Spanien darf sich da nicht einmischen.

Wie wollen die Katalanen denn leben? Und wer hindert sie daran nicht so zu leben wie sie wollen. Ich kenne Katalonien und habe nicht das Gefühl, dass sie in irgend einer Weise gehindert werden so zu leben wie sie wollen. Es geht ums Geld und um "mir san mir". Sollte allerdings die "Wirtschaft" wegen der unsicheren Lage Katalonien verlassen und sich meinetwegen in Galizien oder Andalusien oder sonst wo ansiedeln kann es mit dem "mir san mir" schnell vorbei sein. Außerdem sollte man die Katalanen die sich nicht abspalten wollen auch ernst nehmen.

Mandy Cordt | Mi., 25. Oktober 2017 - 21:39

Antwort auf von Juliana Keppelen

Kann mich dieser Meinung nur anschließen. Geistige Brandstifter waren da am Werk, ohne die letzte aller Konsequenzen zu bedenken. Es gibt noch genug Katalaner, die keine Unabhängigkeit wollen, die sollten mehr in Erscheinung treten. Das Brexit-Referendum würde heute sicherlich auch anders ausfallen. Die Menschen täten klug daran, vorsichtiger u. emotionsloser bei solch hochrelevanten Abstimmungen zu sein. Entscheidungen mit klarem Verstand u. weniger emotionsgeladen sind langfristig sicherlich die klügeren.

Frau C. spricht von "Klugheit", die sie, wie andere Voten auch, den Separatisten abspricht. Es ist aber eine deutsche, eine berechnende Klugheit, von der sie ausgeht, eine Klugkeit der Made, die den Speck nicht verlassen sollte. Viele Katalanen denken seit Jahrhunderten anders, haben andere Wünsche und Bedürfnisse, als clever zu sein. Zuviel Naivität, Romantik? Ja, na und. Eine deutsche Regierung, eine EU, die der Zentralregierung beispringen, um den Status quo zu verteidigen - das entspricht politischem Kalkül ("Nummer sicher"), wirkt aber antidemokratisch. Denn Demokratie meint und ist die Befreiung des Menschen, der Gemeinschaft mit dem Recht auf Unklugkeit, Experimente, Selbstbestimmung und Patriotismus. Die saturierten Deutschen haben davon keine Ahnung.

Dorothee Sehrt-Irrek | Di., 14. November 2017 - 19:19

Antwort auf von wolf wilhelmi

Die Deutschen haben jahrtausendelange Erfahrung mit Selbstbestimmung und der Präferenz des "Föderalismus".
Negative Erfahrungen mit einem von sich verschwärmten Ideologen namens Adolf Hitler.
Piugdemont klingt für mich überhaupt nicht spanisch, ist es etwa ein katalanischer Name?
Er soll laut Wiki sein Studium nicht abgeschlossen haben und zum Journalismus gewechselt sein.
Ein bisschen wirkte er auf mich, als wolle er Bilder sprechen lassen, statt Politik zu machen.
In Spanien etwa noch Franco am Werke zu sehen müßte wohl diskutiert werden.
Erst spät ist mir aufgegangen, dass er Belgien evtl. wählte wegen des dort immer mal wieder aufflackernden Konfliktes zwischen Flamen und Wallonen.
Ein Wunder, dass man ihn geduldet hat.
Es sieht schon arg nach Inszenierung aus, wie er in Europa um Asyl vor Spanien bat.
Ich will den Katalanen nicht ihre Unabhängigkeit absprechen, wenn sie denn von einer qualifizierten Mehrheit gewünscht wird. Eine Stimme Mehrheit trägt evtl. nicht lange.

Dorothee Sehrt-Irrek | Fr., 17. November 2017 - 13:35

Antwort auf von Dorothee Sehrt-Irrek

und warum soll der schlechter sein als sagen wir eine Mangerlaufbahn.
Sebastian Kurz lässt sein Studium auch ruhn?
Ich gebe zu, dass ich Herrn Puigdemont nicht einschätzen kann und auch nicht das Drängen der Katalanen auf Unabhängigkeit.
Mich schreckt auch nicht ab, sollte diese Bewegung von Soros mitfinanziert werden, solange er sie nicht aus der Taufe hebt, können wir glaube ich damit umgehen.
Eine aualifizierte Mehrheit, gerade weil es auch die EU-Ebene tangiert, scheint mir aber Voraussetzung für eben ein dann stabiles EU-Land.

Wolfgang Schuckmann | Di., 24. Oktober 2017 - 17:17

Stelle mir vor, was passieren würde wenn zum Beispiel Bayern plötzlich aus dem Bundesverband der BRD ausscheiden wollte. Die bedienen den Länderfinanzausgleich zwar auch mit Murren, aber sie sind sich auch der Dimension eines solchen Schrittes bewusst. Auch angesichts der umgekehrt fließenden Mittel, bei denen Bayern in früheren Jahren erheblich profitierte. Ich halte die Sessionsbestrebungen eines eher kleineren Teiles der Katalanen am Gesamtbevölkerungsanteil dieser Region als erstens angesichtes der spanischen Verfassung als illegal, und als zweitens auch asozial. An den spanischen Bürgerkrieg muss man nicht erinnern. Man weiß ganz einfach dass dieses Volk recht streitbar ist in gewissen Teilen. Sich seiner sozialen Verpflichtung des Finanzausgleiches im spanischen Staatsverband entledigen zu wollen zeugt eher von Egoismus. Die EU tut recht daran keine Diskussion mit diesen Zündlern zu wollen. Man denke in diesem Zusammenhang auch an die Basken. Delikat, das Ganze.
W. Schuckmann

wolfgang spremberg | Do., 9. November 2017 - 17:28

Antwort auf von Wolfgang Schuckmann

Man darf doch egoistisch sein ? Warum sollen Bayern nicht sagen dürfen, das sie nicht für die Folgen der verfehlten Politik der Bremer, Berliner und von NRW aufkommen wollen ? Ich kann auch die FDP wählen wenn ich als Wohlhabender weniger mit den Armen solidarisch sein möchte. Hier geht es um Zwang, das ist in diesem Fall zwar legal und wird von der EU mit Drohungen unterstützt, aber es bleibt doch Zwang. Wie eine Zwangsehe.

Heinrich Niklaus | Mi., 1. November 2017 - 12:13

Der katalanische MinPräs Lluís Companys wurde von den Franquisten hingerichtet und ist bis heute nicht rehabilitiert.

Die ersten demokratischen Wahlen seit 1936 führten in Katalonien am 15. Juni 1977 zu einer politischen Mehrheit, die die Wiederherstellung der Autonomie anstrebte.

Am 18. Dezember 1979 unterzeichnete König Juan Carlos I. das erste Autonomiestatut für Katalonien.
Am 30. September 2005 wurde vom katalanischen Parlament der „Entwurf eines neuen Autonomiestatuts für Katalonien“ beschlossen. König Juan Carlos I. unterzeichnete das Statut am 19. Juli 2006.

Am 31. Juli 2006 reichte die PP (Partido Popular) eine Normenkontrollklage beim Verfassungsgericht ein, mit der sie 114 der insgesamt 223 Artikel des Autonomiestatuts als verfassungswidrig angriff.
Nach fast vierjähriger Beratung verkündete das Gericht am 28. Juni 2010 sein Urteil, wonach zahlreiche Artikel des Autonomiestatuts verfassungswidrig seien.
Spanien hat es mit dem Autonomiestatut nie ernst gemeint!

Gerdi Franke | Mi., 1. November 2017 - 12:45

Na ja, wenn man den Medien glauben kann ist er wohl mit viel Unverstand an das Thema rangegangen. Ein Land in die Selbständigkeit zu führen verlangt mehr als nur eine politische Willenserklärung.

Heinrich Niklaus | Mi., 1. November 2017 - 14:11

Die Autorin schreibt: „Der Mann, der Katalonien um jeden Preis in die Unabhängigkeit führen will, ist ein Betriebsunfall der Geschichte…“

In den ÖR Sendern und den Mainstream-Medien findet man ähnlich diskreditierende Formulierungen zum Freiheitskampf der Katalanen.

Es ist beschämend! Ich hoffen von ganzem Herzen, dass die Unabhängigkeitsbewegungen in Europa zunehmen.

Die Bürger wollen keinen EU-Superstaat! Und den Spaniern, die auf die Autonomiebestrebungen der Katalanen nicht politisch angemessen geantwortet haben, wünsche ich weitere Separationsbewegungen.

wolf wilhelmi | Do., 2. November 2017 - 18:03

Ich stimme dem Votum Niklaus zu: Die etablierten Medien haben eine Schere im Kopf und verfehlen den Auftrag zu unvoreingenommener Berichterstattung. Dass deutsche Politiker die sog. Separatisten für nicht existent halten, offenbart ein antiemanzipatorisches und obrigkeitliches Politikverständnis - von vor 100 Jahren. Wenn nun heute die ehemalige katal. Regierung in Uhaft genommen wird und Puigdemont mit einer 30 jährigen Strafe rechnen muss - dann macht sich die dortige Justiz zum Handlanger der Politik, wird die Gewaltenteilung aufgehoben und die Demokratie verletzt. Ist das noch ein demokratisches Spanien? Wollen wir diese völlig übertriebenen Abrechnungsmechanismen in der EU?

Harald Hotz | Fr., 3. November 2017 - 16:33

Ich finde, die katalanische Unabhängigkeitsbewegung verhält sich sehr clever! Kaum wedelt sie vor dem spanischen Stier mit einem roten Tuch, schon rennt er wutschnaubend in die gewünschte Ecke, das ist die rechte, die faschistische und dort macht man sich weder in Katalonien noch in der EU Freunde. Man muß wissen, daß die Partido Popular politisch etwa zwischen AFD und NPD anzusiedeln ist und einen ranzigen hispanischen Nationalismus vertritt ganz im Sinne ihrer franquistischen Vorgängerorganisationen. Die einzige Chance für einen Zusammenhalt Spaniens besteht in einem Machtwechsel in Madrid.

Achim Scharelmann | Mo., 6. November 2017 - 16:53

Schon merkwürdig, das Verhalten der europäischen Regierungen und auch das der Presse zu diesem Fall, von der Zentralregierung in Madrid ganz zu schweigen. Da sie insgeheim alle gleicher Meinung sind, wird hier ein Exempel durchgeführt, in der Hoffnung, daß damit jede weitere Verselbstständigung in Europa unterbunden wird und das alles im Namen von Recht und Gesetz, an das sich diese Herrschaften selbst nicht annähernd halten. Die Katalanen haben mit Stimmenmehrheit gegen eine Loslösung von Spanien gestimmt und wenn der Souverän etwas einleitet, dann muß das Gesetz sich dem Souverän unterordnen, denn sonst könnnten sich ja alle Gesetze gegen jede Änderung richten und das wäre das Ende der Demokratie, denn diese lebt ja gerade von der Freiheit der Entscheidung, wenn es über Mehrheiten erfolgt. Die Regierung tut sich keinen Gefallen damit, diesen demokratischen Vorgang exemplarisch zu bestrafen, das führt zu Reaktionen, wahrscheinlich auch ganz heftigen, wenn nicht heute dann später.

genau darum geht es. Auch der EU. Man kann nicht in Freiheit und Freundschaft gehen oder ein anderes, lockereres Verhältnis zur EU (z.B. Freihandel ohne Arbeitnehmerfreizügigkeit) aushandeln. Nein, es wird gedroht, bestraft wie in einem Völkergefängnis.