
- Meinungsfreiheit ist nicht nur ein Recht der Linken
Kolumne: Grauzone. Die Aktionen gegen rechte Verlage und Zeitschriften auf der Frankfurter Buchmesse waren ein Armutszeugnis. Zu begrüßen ist der Protest einiger berühmter Schriftsteller. Wo linkes Denken legitim ist, da darf es auch rechtes geben und alles, was dazwischen liegt
Demokratie ist bequem, solange alle einer Meinung sind. Doch Meinungsfreiheit, die sich in dem ritualisierten Austausch etablierter Ansichten erschöpft, ist keine Meinungsfreiheit, sondern deren Simulation.
Eine selbstbewusste Demokratie hingegen lebt von der echten Auseinandersetzung. Und Meinungsfreiheit, die ihren Namen verdient, lässt auch Überzeugungen und Weltbilder zu, die den engen Korridor des Herkömmlichen und Korrekten verlassen.
Armutszeugnis des Kulturbetriebs
So gesehen war das, was sich vergangene Woche auf der Frankfurter Buchmesse abspielte, ein Armutszeugnis des etablieren Kultur- und Literaturbetriebes, zumal sich dieser gern als wackerer Kämpfer für Pluralismus und Demokratie geriert. Dass es ein absehbares Armutszeugnis war, macht diese Sache nicht besser.
Was war passiert? In Kurzform: Unter den rund 7.150 Ausstellern der Buchmesse befanden sich in diesem Jahr auch der rechte Antaios-Verlag, der zeitgeistkritische Verlag Manuscriptum und die national-konservative Junge Freiheit. In einer pluralistischen Gesellschaft eigentlich eine Selbstverständlichkeit – sollte man meinen. Eine Messe ist eine Messe und keine Zensurbehörde, solange kein offensichtlich verfassungsfeindliches oder sonstwie strafbares Schrifttum feilgeboten wird. Da keine Schrift der genannten Verlage auf dem Index steht, ist zunächst davon auszugehen, dass dem so ist.
So weit, so gut, so selbstverständlich. Doch dann kam alles anders. Es begann damit, dass die Messeleitung für ihre Entscheidung, Antaios zur Messe zuzulassen, heftig kritisiert wurde, etwa vom Frankfurter Bürgermeister Peter Feldmann (SPD). Jürgen Boos, Direktor der Messe, und Alexander Skipsis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, reagierten zunächst angemessen und verwiesen darauf, dass Meinungsfreiheit für alle gilt.
Damit hätte die Sache eigentlich endgültig erledigt sein können und müssen. Doch dann rief Skipsis, unter anderen auf der Homepage des Börsenvereins, dazu auf, sich „mit der Präsenz dieser Verlage auseinanderzusetzen“ und „sich kritisch gegenüber den Botschaften dieser Verlage zu äußern“. Denn: „Meinungsfreiheit heißt auch Haltung zeigen.“ Konsequenterweise demonstrierten Mitarbeiter des Börsenvereins am ersten Messetag vor dem Stand des Antaios-Verlages für „Freiheit und Vielfalt“.
Der Protest der Schriftsteller
Die (un)sinnige Botschaft war klar: Meinungsfreiheit einschränken im Namen der Meinungsfreiheit. Zusätzlich angeheizt wurde die Stimmung dadurch, dass zunächst Bücher des Antaios-Verlages und in der darauffolgenden Nacht die Stände von Manuscriptum und der Zeitschrift Tumult von Unbekannten verwüstet wurden. Am vergangenen Samstag eskalierte die Situation dann anlässlich einer Podiumsdiskussion. Dass zudem Falschmeldungen von angeblich schlagenden Neonazis und vermeintlichen „Sieg Heil“-Rufen im Umlauf waren, trug auch nicht zur Befriedung bei. Unglücklicher hätte es kaum laufen können.
Umso wichtiger, dass am vergangenen Montag unter dem Namen „Charta 2017“ eine offene Petition veröffentlicht wurde, die auf den entscheidenden Punkt aufmerksam macht: „Die Vorkommnisse auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse“, heißt es dort, „machen deutlich, wie widersprüchlich es in unserem Land zugeht: wie unter dem Begriff der Toleranz Intoleranz gelebt, wie zum scheinbaren Schutz der Demokratie die Meinungsfreiheit ausgehöhlt wird.“ Und weiter: Wenn ein Branchen-Dachverband wie der Börsenverein darüber befinde, was als Meinung innerhalb des Gesinnungskorridors akzeptiert werde und was nicht, wenn zu „aktiver Auseinandersetzung“ mit missliebigen Verlagen aufgerufen werde, dann sei unsere Gesellschaft nicht mehr weit von einer Gesinnungsdiktatur entfernt, so die Initiatoren. Unterschrieben haben unter anderem die Schriftsteller Uwe Tellkamp, Jörg Berning und Cora Stephan.
Die linke Front hat sich verhärtet
Noch in den sechziger und siebziger Jahren kannte dieses Land ein vergleichsweise breites politisches Meinungsspektrum. Es gab Zeiten, da diskutierte im öffentlich-rechtlichen Rundfunk der linke Philosoph Theodor W. Adorno mit dem konservativen Arnold Gehlen – heute geradezu unvorstellbar.
Denn seit dem berüchtigten Historiker-Streit 1987, spätestens seit der Debatte um Botho Strauß Essay „Anschwellender Bocksgesang“ von 1993, hat sich die linke Front hierzulande verhärtet. Man ist engstirniger geworden, bornierter und selbstgerechter. Alles, was aus einschlägiger Perspektive als „rechtes Gedankengut“ gilt, wird versucht, mundtot zumachen, natürlich immer im Namen der Meinungsfreiheit. Der „Fall Sieferle“ war das vorerst letzte traurige Beispiel.
Doch wo linkes Denken legitim ist, da darf es auch rechtes geben und alles was dazwischen liegt. Wo die Edition AV auftritt oder die Junge Welt, da darf es auch Antaios geben und die Junge Freiheit – alles andere wäre das Gegenteil von „offen“ oder „pluralistisch“. Ein paar intellektuelle Lockerungsübungen würden manchem Kulturverwalter in diesem Land gut tun.