
- Wie hoch ist der Preis des Regierens?
Schon vor Beginn der offiziellen Koalitionsverhandlungen definieren die beteiligten Parteien ihre zukünftigen Rollen. Dabei geht es nicht nur um den Inhalt, sondern auch um den Ton. Fest steht: Verhandlungen sind nur auf Augenhöhe möglich
„Opposition ist Mist“, belehrte einst Parteichef Franz Müntefering seine SPD. Daran ist richtig, dass die Beteiligung an einer Regierung dafür spricht, politische Verantwortung übernehmen zu wollen. Aber regieren um jeden Preis ist ein noch größerer Mist. Das wird immer dann gelten, wenn der Wunsch der Parteien, an die Macht streben und dort bleiben zu wollen, größer ist, als ihre Absicht, dort etwas bewirken zu wollen.
Der Wähler hat beide Volksparteien, CDU und SPD, abgestraft, weil er sich in seinen Sorgen und Ängsten nicht mehr ernst genommen fühlte. In drei Legislaturperioden seit 2005 hat die große Koalition ihre Nähe zu den Menschen verloren und kaum noch die Inhalte ihrer Politik kommunizieren können. Sie bemühte sich noch nicht einmal, die Gründe für die Wahlpleite zu analysieren, sondern flüchtete sich trotzig in die Rechtfertigung, doch alles richtig gemacht zu haben. So entsteht peinliche politische Inkontinenz: etwas rauschen zu lassen, ohne es noch beherrschen zu können. Wenn die Seele einer Partei nicht mehr erkennbar ist, ist der mündige Bürger auch nicht an ihren eingeschlafenen Füßen interessiert.
Zwischen Regierung und Opposition
Was bedeutet dieser Denkzettel für die anstehende Regierungsbildung und die Entscheidungen der Parteien, die sich in eine wahrscheinlich schwarz-weißblau-gelb-grüne Koalitionsregierung einbringen wollen? Die Frage, ob eine solche Koalition überhaupt politisch überlebensfähig wäre, braucht hier nicht untersucht zu werden. Sie ist bereits Gegenstand endloser Erörterungen in den politischen Talkrunden der öffentlichen Fernsehanstalten, so dass Spötter schon ein Moratorium für solche Sendungen während der Koalitionsverhandlungen fordern.
Sehr viel interessanter sind die Erwartungen der Koalitionäre, ob und wieweit sie ihre inhaltlichen Sachpunkte einbringen können und welche Erwartungen sie in einer Koalition an den Umgang miteinander knüpfen. Das sind die Lackmustests einer Entscheidung zwischen Regierungsverantwortung und konstruktiver Opposition.
Es geht um Stil und Macht
FDP-Chef Christian Lindner hat seine Erwartungen an eine Regierungsbeteiligung klargestellt – bisher sehr viel deutlicher als die Grünen. Er kämpft für inhaltliche Trendwenden im Bund. Sollte das liberale Profil in der Koalition nicht klar erkennbar sein, wird die FDP in die Opposition gehen.
Der Umgang miteinander ist nicht nur eine Stilfrage oder ein Thema der gebotenen politischen Hygiene. Es geht um machtpolitische Aspirationen. Deutlicher hätte Volker Bouffier, Ministerpräsident in Hessen und stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender, die künftige Rolle von Liberalen und Grünen nicht auf den Punkt bringen können: Eine neue Regierung könne nur „ohne Vorbedingungen“ gebildet werden. Und Jamaika könne nur funktionieren, „wenn die mit Abstand stärkste Kraft, die Union, das bestimmende Element ist und wenn die anderen Partner wissen, dass sie nicht die Bestimmer sein können“.
Chancen und Risiken für kleinere Partner
Klare Botschaften werden von Grünen und Liberalen trefflich verstanden. Sie haben Erfahrungen mit solchen Rollenzuweisungen. In der rot-grünen Koalition machte Gerhard Schröder den Schnack von „Koch und Kellner“ populär. Guido Westerwelle musste während der schwarz-gelben Koalition von 2009 bis 2013 erfahren, dass es keinen Immunschutz gegen politische Niederträchtigkeiten gibt und Koalitionsabsprachen nicht garantiert sind. Und das nur, weil die Union den Anstieg der FDP auf fast 15 Prozent als eine „Provokation“ empfand, der ihre Stellung als Volkspartei angriff.
Besser als die Grünen können sich die Liberalen aber auch an jene Zeiten erinnern, als sie trotz geringer Wahlerfolge, die sie im Durchschnitt bei 8 Prozent platzierten, Themen besetzen und durchsetzen konnten – so bei der Vernichtung nuklearer Mittelstrecken-, der Verhinderung der Modernisierung von Kurzstreckenraketen, der Anerkennung der polnischen Westgrenze. Alt-Meister Hans-Dietrich Genscher ging hierbei gelegentlich bis an den Rand des Koalitionsbruchs. Die großen Veränderungen in Europa wären ohne ein solches Engagement ausgeblieben.
Merkel hat es in der Hand
Es wird wichtig sein, schon in den Vorgesprächen der Koalitionäre klarzumachen, dass jedwede Zusammenarbeit nur auf Augenhöhe möglich ist und Koalitionsabreden rechtlich verbindlich ausgestaltet werden müssen.
Ob Angela Merkel das verstehen wird, ist fraglich. Ihre politische Sozialisierung steht einem solchem Verständnis entgegen. Aufgewachsen in der Strenge eines protestantischen Pastorenhaushalts, der Diktatur der DDR und dem „System Kohl“ ist sie für Widerspruch wenig empfänglich. Wenn sie sich jetzt aber einem sinnvollen, fairen Koalitionskompromiss verweigert, begibt sie sich auf eine abschüssige Bahn, die zu Neuwahlen führen oder ihren Sturz auslösen könnte.