
- Hoffen auf deutsche Prinzipien
Im Fall des Schriftstellers Dogan Akhanli zeigen deutsche Politiker endlich klare Kante gegen die Türkei und ihren Präsidenten Erdogan. Doch der bastelt weiter an einer Strategie, Deutschland und die EU zu spalten. Jetzt kommt es darauf an, dass der deutsche Widerstand mehr als nur Wahlkampfgetöse ist
Meine Freunde und sogar einige Verwandte kann ich immer öfter im internationalen Fernsehen sehen. Nicht, weil sie mit guten Taten oder neuen Erfindungen auffallen. Nein, sie werden zu Themen der Nachrichten, weil der türkische Staat sie festnimmt. Da ist mein Onkel, der Journalist Aydin Engin, der Kollege Enis Berberoglu und viele andere. Am vergangenen Wochenende dann war es Dogan Akhanli. Diesmal, und das war neu für mich, nicht in der Türkei. Sondern in Spanien. Einfach gruselig. Erdogans langer Arm reicht bis auf die iberische Halbinsel.
Türkische Regierung verdreht die Tatsachen
Die türkischen Behörden behaupten dieses Mal, Akhanli hätte einen Mord begangen. Das türkische Innenministerium gab später eine schriftliche Replik auf die kritischen Äußerungen von Kanzlerin Angela Merkel. Die hatte der Türkei vorgeworfen, die internationale Polizeiagentur Interpol zu missbrauchen. Die Stellungnahme des türkischen Innenministeriums illustriert dabei aufs Neue, warum die türkische Regierung völlig rechtswidrig agiert. Umso wichtiger ist daher, wie die deutschen und spanischen Behörden darauf reagieren.
Erdogans Innenministerium bezeichnet Akhanli als „schuldig“ und verdreht dabei die Tatsachen. Akhanli wurde wegen der ihm vorgeworfenen Tat nicht verurteilt. Im Gegenteil. Er wurde von einem türkischen Gericht sogar freigesprochen. Wann, unter welchen Bedingungen und warum, ist überall nachzulesen. Gegen ihn liegt also schlichtweg kein Strafurteil vor.
Akhanli kämpft gegen Unrecht, Erdogan für sich
Dogan Akhanli, der jetzt auf eigene Kosten vier Wochen in Spanien ausharren muss, ist ein überaus engagierter Kämpfer gegen das Unrecht. Vor allem türkisches Unrecht, also Ungerechtigkeiten und Verbrechen gegen Andersgläubige, die im Wahn des Nationalismus in der Türkei geschahen – und die heute viele nicht mehr wahrhaben wollen. Akhanli kämpft unermüdlich gegen die zahllosen Versuche türkischer Geschichtsklitterer, den von Historikern bewiesenen Völkermord an Armeniern zu leugnen. Damit ist er in den Augen zeitgenössischer türkischer Nationalisten natürlich ein Nestbeschmutzer. Ich kenne Dogan Akhanli. Er wird niemals aufhören, zu opponieren und zu kritisieren. Die Frage die ich mir stelle, ist vielmehr, ob Deutschland, seine Wahlheimat, auch künftig zu ihm stehen wird.
Denn Erdogan ist ebenso starrköpfig. Der türkische Präsident ist ein unermüdlicher Kämpfer und Streiter. Allerdings geht sein Kampf genau in die andere Richtung: Geschichts- und Faktenfälschung, Demokratieabbau, Demontage des Rechtsstaates und Stärkung einer islamisch-faschistischen Identität in der Türkei. Es ist immer wichtig, sich in Erinnerung zu rufen, dass der Politiker Erdogan unter schwerem Korruptionsverdacht steht und sich als Privatmann vor einer hohen Gefängnisstrafe schützen muss.
Erdogans Wut wächst mit seiner Angst
In diesem Kampf, der durchaus durch die Angst vor Strafverfolgung motiviert sein kann, tritt Erdogan immer aggressiver auf. Sein peinliches Abwatschen von Bundesaußenminister Sigmar Gabriel („Wer bist du denn?“) überrascht uns ja nicht einmal mehr. Manchmal denke ich: Ja, gut dass jetzt die ganze Welt mitbekommt, was die türkischen Kritiker schon seit Jahren aushalten müssen. Das ist unser Erdogan. Mit Geschrei überzieht er Alle und Alles, mit unerhörten, oft haarsträubenden Behauptungen, Lügen und Beleidigungen. Auch seine wehrlosen Opfer, die in türkischen Gefängnissen ausharren müssen.
Warum jetzt auch Deutschland seinen Zorn abbekommt? Die Antwort kann man fast lakonisch zusammenfassen: Ihm wird Angst und Bange. Endlich funkt der Westen klare Zeichen, ja, stellt sich Ankaras Regierung sogar entgegen mit Maßnahmen, die Erdogan Zeit, Energie, Geld und Vertrauen kosten. Alles Zutaten die er jedoch dringend zur Befestigung seines Unrechtsstaates braucht.
Diese Tatsache entgeht Erdogans Kritikern auch in der Türkei nicht. Die oppositionelle Zeitung Cumhuriyet titelte kürzlich: „Letzte Hoffnung Merkel“. Ankara sei besorgt, so Cumhuriyet, dass eine Kürzung der Fördergelder aus der EU praktisch das Einfrieren der Beitrittsgespräche bedeuten würde. Die hektische Vergabe eines Windenergie-Auftrages an eine deutsche Firma und das späte Zurückrudern in Sachen Besuchsrecht deutscher Abgeordneter am NATO-Stützpunkt Konya, sind Versuche, Deutschlands Reaktion wieder zu mildern. Ankaras Priorität vor den Bundestagswahlen am 24. September sei, schreibt Cumhuriyet, die Kanzlerkandidatin der CDU, Merkel, gegenüber dem SPD-Minister, Gabriel, zu stärken.
Völliger Quatsch, möchte man da ausrufen. Erdogans Truppe muss den Bezug zur Realität schon längst verloren haben. Merkel stand zu ihrem Außenminister, statt dessen kritisierte sie unverblümt die Erdogan’schen Unverschämtheiten. Klar, dass dieser postwendend mit einem Angriff auf die CDU durchstartete.
Türkische Alternativstrategien
Erdogans Fußsoldaten und Handlanger basteln unterdessen an einer Alternativstrategie. Doch das Prinzip bleibt gleich: Die Deutschen und die Europäer spalten und gegeneinander ausspielen. Zunächst sind aus türkischer Sicht diejenigen in Deutschland wichtig, die seit über einem Jahrzehnt von einer „privilegierten Partnerschaft“ mit der Türkei träumen. Ankara suggeriert ihnen, sie könnten wunderbare wirtschaftliche Kooperationen miteinander eingehen. Empfänglich für solche Täuschungsmanöver hat sich zum Beispiel die AfD gezeigt. Der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland gab kürzlich in einem Interview mit der Deutschen Welle sogar zu, er befürworte, dass die Türken wie während des Kalten Kriegs weiter innerhalb der NATO die Flanke Europas schützen.
Vor allem aber die deutsche Wirtschaft graust es vor einer Verschlechterung der deutsch-türkischen Beziehungen: Die Geschäfte in der Türkei laufen gut, viele Unternehmen haben die Türkei fest in ihre Lieferketten eingebaut. Da verursachen die ganzen negativen Vibrationen rund um das Thema Menschenrechte und Rechtsstaat einige Unruhe. Kein Wunder, dass sich die Berichte und Kommentare in deutschen Medien häufen, wonach die Unternehmer auf etwas mehr Harmonie zwischen den beiden Staaten hoffen.
Deutschland soll isoliert werden
Es gibt sogar Strategen im Erdogan Lager, die allen Ernstes Planspiele haben, wie die Deutschen innerhalb der EU zu isolieren wären. Sie möchten Großbritannien, das gerade mit der EU über den Brexit verhandelt, auf ihre Seite ziehen. Aber auch andere EU-Länder wie Ungarn oder Polen, die auf einem ähnlich schrägen Kurs sind wie die Türkei. Kurz: Die EU soll nicht mehr fähig sein, einstimmige Beschlüsse zu finden, mit denen sie die Türkei weiter unter Druck setzen könnte.
Ob diese Strategie erfolgreich sein kann, wird sich erst nach den Bundestagswahlen zeigen. Erst dann werden wir wissen, ob die scharfen Töne der deutschen Politik Richtung Ankara nur Wahlkampfgetöse sind, oder ob deutsche Politiker tatsächlich prinzipienfest für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auch am Bosporus eintreten.