
- Das falsche Feindbild
Eine Umfrage in Berliner Notunterkünften zeigt: Flüchtlinge haben ähnliche Wertvorstellungen wie Anhänger von AfD und Pegida. So zeigen sich Parallelen beim Demokratieverständnis, bei den Geschlechterrollen und der Einstellung zu Homosexualität
Das dürfte AfD-Wähler und Pegida-Anhänger überraschen: Die allermeisten Flüchtlinge erklären Religion zur Privatsache. Das geht aus einer Studie der Berliner Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) hervor, die heute vorgestellt wird. Demnach befürworten 87 Prozent der Befragten die Trennung von Religion und Staat.
Wo die Rechtspopulisten eine „Islamisierung des Abendlandes“ befürchten, zeigt die Befragung zwischen Juni und Juli in drei Berliner Unterkünften, dass genau das auch die Flüchtlinge nicht wollen: Sie lehnen Fundamentalismus ab und sind säkular. Vier Fünftel der Befragten stimmten der Aussage zu, dass Alkoholkonsum erlaubt sein müsse. Sieben von zehn gaben an, ein Religionswechsel sollte erlaubt sein, genauso wie Eheschließungen zwischen Christen und Muslimen. Fast alle wollen sich schnell integrieren und die deutsche Sprache lernen.
Die Studie betraf Menschen, die im vergangenen Sommer nach Deutschland gekommen und über 16 Jahre alt sind. Von 1000 verteilten Fragebögen kamen 445 zurück. Die Studie ist damit zwar nicht repräsentativ, aber umfassender als bisherige vergleichbare Erhebungen.
Demokratiebild hängt auch vom Bildungsgrad ab
Die gute Nachricht: Fast alle Flüchtlinge bekennen sich zur Demokratie als bester politischer Staatsform (87 Prozent). Nur exakt drei Befragte lehnten diese Aussage ab.
Jedoch hängt das sehr stark vom Bildungsgrad ab. Flüchtlinge, die nie eine Schule besucht haben, sind wenig gefestigt: Hier sind nur 29 Prozent von der Demokratie überzeugt, 71 Prozent sind ratlos. Die Studienverfasser beobachten „gravierende politische Verständnisdefizite“. Auch gibt es nationale Unterschiede: Syrer zeigten sich hier viel demokratischer (89 Prozent) als Afghanen (74 Prozent).
Damit liegt die Top-Gruppe der Syrer gleichauf mit AfD-Anhängern, wie ein Vergleich mit der Leipziger Mitte-Studie 2016 zeigt. Dort befürworteten 89,4 Prozent der AfD-Anhänger die „Idee der Demokratie“. Weniger Zustimmung gab es nur noch von den Nichtwählern (87,7 Prozent); die größten Demokratie-Fans waren dagegen FDP-Anhänger (98 Prozent).
Mitunter autoritäre Vorstellungen
In der Zusammenfassung der HMKW-Studie heißt es: „Das Wertebild der Flüchtlinge ähnelt in zentralen politischen Teilen am ehesten dem der AfD-Anhänger und anderer rechtspopulistischer Bewegungen.“
Das zeigte sich, als die Forscher in puncto Demokratiebild nachbohrten. 64 Prozent der Flüchtlinge stimmten diesen beiden Aussagen zu: „Die beste politische Staatsform ist, wenn ein starker Führer zum Wohle aller regiert“ und: „Das Wichtigste in einer Gesellschaft ist die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung, notfalls auch mit Gewalt.“ Autoritäre Vorstellungen, die auch von Rechtspopulisten geteilt werden.
AfD und Pegida haben sich offenbar Gleichgesinnte zum Gegner gemacht.
Paternalistische Grundhaltung
Denn auch bei den Moralvorstellungen sind sich Ultrakonservative und viele Flüchtlinge einig – sie pflegen ein Frauen- und Familienbild aus den 1950er Jahren.
Auch wenn rund vier Fünftel der Interviewten die Gleichstellung der Geschlechter befürworten: 20 Prozent der Männer und 15 Prozent der Frauen würden nie für einen weiblichen Chef arbeiten. Ähnliche Einstellungen zum Geschlechterthema hatte auch eine qualitative Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung im Juni ergeben. Demnach verursache das hiesige Frauenbild vor allem bei Personen aus dem arabischen Raum „Irritationen und Verunsicherung, mitunter auch Ablehnung“, in den Interviews sei eine „paternalistische Grundhaltung“ verbreitet gewesen.
Paternalismus ist auch der AfD nicht fremd, wenn sie vor dem „Genderwahn“ warnt oder gegen Abtreibung wettert. Der Thüringer AfD-Fraktionschef Björn Höcke warnte im vergangenen Jahr vor einer Abschaffung der „natürlichen Geschlechterordnung“ und erklärte die Drei-Kinder-Familie zum politischen Leitbild.
Die Berliner HMKW-Studie zeigt zudem: Fast die Hälfte der Flüchtlinge (48 Prozent) hält Sex vor der Ehe für eine Sünde. Da sind sich alle Geschlechter, Alters- und Bildungsgruppen einig, schreiben die Studienverfasser. „Eine durchgehende Liberalisierung bei jüngeren Flüchtlingen sucht man vergebens.“
Tabuthema: Homosexualität
Für viele der überwiegend muslimischen Flüchtlinge wäre es sogar schlimmer, neben einem unverheirateten Paar zu wohnen als neben einer jüdischen Familie (25 Prozent Zustimmung, 18 Prozent Ablehnung). Nur ein schwules Pärchen wäre noch unerwünschter: 43 Prozent der Befragten lehnen demnach homosexuelle Nachbarn ab. Nur 11 Prozent sind da locker.
Hier treffen sich die Wertevorstellungen wieder mit denen der AfD-Anhänger, von denen rund ein Drittel Gleichgeschlechtlichkeit als „unmoralisch“ ablehnt.
Das hinderte die Partei in Berlin allerdings nicht daran, mit diesem Thema Stimmung gegen Migranten zu machen. Ein AfD-Wahlplakat zeigte zwei Männer, ein homosexuelles Paar. Darauf der Spruch: „Mein Partner und ich legen keinen Wert auf die Bekanntschaft mit muslimischen Einwanderern, für die unsere Liebe Todsünde ist.“
Uneinigkeit nur bei der Einschätzung von Angela Merkel
Noch etwas ist an dieser Studie erstaunlich: Während AfD- und Pegida-Anhänger Muslime als klares Feindbild sehen, haben die Flüchtlinge ein sehr positives, fast schon übertrieben gutes Bild von den Deutschen. 86 Prozent sagen, dass Deutsche freundlich zu Flüchtlingen seien, auch zu muslimischen.
Es scheint, als hätte die AfD-Rhetorik ihr Ziel verfehlt. Nur jeder fünfte Befragte hat überhaupt schon mal von der Partei gehört. Und von denen haben immer noch sechs Prozent eine positive Meinung der AfD. Flüchtlinge etwa in Sachsen würden das sicher anders bewerten, solche Studien fehlen bislang aber noch.
Es gibt eigentlich nur ein Thema, das Rechtspopulisten und Flüchtlinge spaltet. Und das ist das Verhältnis zur deutschen Bundeskanzlerin: Während AfD und Pegida „Angela Merkel muss weg“ skandieren und ihr sogar Verfassungsbruch vorwerfen, ist sie für die Flüchtlinge immer noch ein Mythos. 84 Prozent der Befragten schätzen, ja vergöttern Merkel.
Update: Nachträglich wurde noch die Quelle zur Aussage Björn Höckes ergänzt, der die Rückkehr zur „natürlichen Geschlechterordnung“ fordert.