Roboter der Firma Kuka arbeiten im VW-Werk in Wolfsburg (Niedersachsen) an der Produktionsstraße für den VW Golf VII
In der deutschen Industrie läuft es. Die Parteien behandeln sie deshalb nachrangig / picture alliance

Industriepolitik - Der fast vergessene Wahlschlager

Kolumne: Leicht gesagt. Mit großen Reden über den „Wirtschaftsstandort Deutschland“ wurden früher Wahlen gewonnen. Heute sind die Daten so gut, dass das Thema im Wahlkampf kaum eine Rolle spielt. Was haben die Parteien zur Industriepolitik zu sagen? Ein Blick in die Programme

Autoreninfo

Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Es sagt sich leicht: Der deutschen Wirtschaft geht es gut. Tatsächlich sind die industriepolitischen Daten traumhaft. Umsätze und Gewinne steigen. Das hat Folgen für den Wahlkampf: Industriepolitik spielt kaum eine Rolle.

Dabei wurden früher die Schlachten gerade auf diesem Feld geschlagen. Seit Jahrzehnten zählt das Thema zu den wichtigsten der Bundesrepublik. Die Frage nach dem Wirtschaftsstandort war ursprünglich eine wirtschaftswissenschaftliche. Die Forschung bemisst die Güte eines Standorts in Parametern, die sich positiv oder negativ auf das Wachstum auswirken. Es geht dabei um Faktoren, die für Unternehmen zählen, um sich niederzulassen: Löhne, Steuern, Innovationsfreundlichkeit, Forschungsförderung.

Wahlkämpfer Kohl und Schröder

Vor 40 Jahren entstand aus dem wissenschaftlichen ein politisches Schlagwort. Der „Wirtschaftsstandort Deutschland“ wurde zu dem Wahlkampfbegriff schlechthin. Angeblich hat Helmut Kohl ihn als Kanzlerkandidat geprägt, als solcher sah er den Standort Deutschland in Gefahr. Später schlug die SPD den Kanzler Kohl genau mit diesem Argument. „Innovation und Gerechtigkeit“ war 1998 Gerhard Schröders erfolgreicher Slogan, er selbst gab sich als „Genosse der Bosse“ und Fürsprecher der Industrie.

Wachstum war die Parole 2002. Bei der Bundestagswahl 2005 wurden die Agenda-Reformen trotzig verteidigt, die ja auch gemacht worden waren, um den Industriestandort Deutschland zu retten. 2009 kämpften Regierung und Opposition erbittert darum, das Land aus der weltwirtschaftlichen Krise zu manövrieren. 2013 allerdings spielte die Wirtschaft, der es da bereits relativ gut ging, schon eine nachgeordnete Rolle

Diesmal scheint es ebenso zu sein. „Deutschland gibt sich mit Blick auf die Wirtschaftslage tiefenentspannt“, stellt der BASF-Vorstandschef Kurt Bock im Handelsblatt fest. Doch genau das sei „gefährlich“. Denn in Zeiten von niedrigem Ölpreis, Nullzinsen und weicher Währung müsste die deutsche Wirtschaft eigentlich noch viel stärker wachsen.

Große Parteien bleiben allgemein

Was haben die Parteien zur Industriepolitik zu sagen, die anstreben, Deutschland nach der Bundestagswahl mitzuregieren? Schauen wir auf die fünf zur Wahl stehenden, von denen zwei oder drei mit ziemlicher Sicherheit die künftige Regierung stellen und somit die Wirtschaftspolitik bestimmen werden. Union, FDP und teilweise auch SPD sind sich in Vielem nahe und geben sich in ihrer Wahlprogrammatik industriefreundlich. Ganz im Gegensatz dazu stehen Grünen und Linke.

Die Großen bleiben bei der Wettbewerbsordnung im Allgemeinen, die Kleinen werden konkret. So will die SPD die „industrielle Basis stärken“ und die Union „sicherstellen, dass unsere Unternehmen nicht Opfer von Wettbewerbsverzerrungen“ werden. Die Grünen hingegen wollen komplett „auf grünes Wirtschaften und grüne Technologien umstellen“. Die Linke will sogar durch „aktive staatliche Industriepolitik“ den „Umbau durch ökologische Zielvorgaben und mehrjährige Stufenpläne“ erzwingen. Die FDP kündigt an: „Rahmenbedingungen für energieintensive Industrie in Deutschland müssen verbessert werden, um wettbewerbsfähige Produktionsbedingungen zu ermöglichen.“

Konkret geht es um die Energiekosten in Deutschland, die durch das Subventionssystem der EEG-Umlage höher sind als an anderen Standorten. Die FDP will den sogenannten Einspeisevorrang beenden. Die Union sagt nur, die EEG-Umlage solle „nicht weiter ansteigen“. Die SPD will, dass es „bezahlbar“ bleibt. Die Grünen verlangen „100 Prozent Ökostrom bis 2030“ und schweigen zu den Kosten. Die Linke verlangt zur Kompensation der hohen Energiekosten ein staatliches „Klimawohngeld“; zur Entlastung der Industrie gibt es von ihr kein Wort.

Start-Ups werden umgarnt

Während einzig die FDP vor nationalen Alleingängen beim Klimaschutz warnt, verlangen SPD, Grüne und Linke genau das: ein nationales Klimaschutzgesetz. Alle fünf Parteien wiederum sind für den zügigen Ausbau der Stromnetze, wobei keine einzige zeitliche Vorgaben wagt.

Schwarz-Rot-Grüne Einmütigkeit gibt es bei dem von der Industrie gewünschten Ziel, dass in absehbarer Zeit 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden sollen. Die Union will, dass dies bis 2021 geschieht, also innerhalb der kommenden Legislaturperiode. Die SPD will sich damit bis 2025 Zeit lassen, die Grünen nennen keinen Zeithorizont und für die Linke wie die FDP ist die Sache offenbar gar kein Thema.

Die Linke macht auch keine Vorschläge zur steuerlichen Forschungsförderung. Union, SPD und FDP versprechen steuerliche Anreize für Unternehmen mit hohen Entwicklungskosten. Hier sind die Grünen auffallend konkret. Sie wollen „neue Ideen einfach und unbürokratisch fördern“ mit einem steuerlichen Forschungsbonus von 15 Prozent. Unternehmen, die noch keine Gewinne erzielen, soll dieser Bonus sogar ausgezahlt werden. Davon würden vor allem Start-Ups profitieren.

Die umgarnen auch die anderen Parteien. Die Liberalen wollen ein „bürokratiefreies Jahr für Start-Ups schaffen“, Union und SPD die Rahmenbedingungen für Wagniskapital verbessern. Zur Gründer-Szene hat die Linke geografisch spezielle Vorstellungen: Sie will „besonders innovative Industrien und Forschung im Osten fördern, um neue Entwicklungspfade zu ermöglichen“.

Streitthema Freihandel

Beim Freihandel spalten sich die Lager eindeutig: Union, SPD und FDP wollen sich weiter für globale Handelsverträge einsetzen, Grüne und Linke lehnen Ttip, Ceta und weiteres nicht nur ab, sondern stellen sich eindeutig „gegen eine Fortsetzung der neoliberalen Globalisierung“, wie es bei den Grünen heißt.

Steuerpolitisch gibt es zwei klassische Lager: das schwarz-gelbe, das Unternehmen eine innovationsfreundliche Reform des Steuerrechts zusagt. Und das rot-rot-grüne, das von Finanztransaktionssteuer bis Reichensteuer viele neue Abgaben für denkbar hält. Bei der Linken heißt es: „Steuern der Konzerne erhöhen und den Steuervollzug durchsetzen.“

Auch wenn die Industriepolitik nachrangig in den Programmen zur Bundestagswahl behandelt wird, so zeigt sich bei genauem Hinsehen doch: Der Standort Deutschland taugt noch immer für den Klassenkampf.

 

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Gerdi Franke | Mi., 14. Juni 2017 - 12:39

Was für eine Lobhudelei.
Das IMD World Competitiveness Center, ein Forschungszentrum an der IMD Business School in der Schweiz, veröffentlicht eine Weltrangliste der Wettbewerbsfähigkeit im Jahresrhythmus und nimmt die Aufstellung basierend auf 260 Indikatoren vor. Dieses Jahr wurden 63 Länder gelistet.
Die Indikatoren beruhen auf harten statistisch erfassten Daten, zum Beispiel die Beschäftigungsquote und die Handelsbilanz, aber auch aus Antworten von rund 6250 Wirtschaftsentscheidern.
Überraschend: Deutschland ist nicht unter den besten zehn.
In der Rangliste der digital wettbewerbsfähigsten Länder sieht es noch schlechter aus.

Dr. Lothar Sukstorf | Mi., 14. Juni 2017 - 13:23

Merkels Mantra: Digitalisierung!! ist eigentlich nur Verblödung für die Menschen. Digitalisierung der Wirtschaft...ja und? Was tut die Regierung dazu? Sie hat die Regierung digitalsiert...viele Nullen darin...sonst tut die Merkel-Administration recht wenig. Statt Reformen, um uns auf Jahre hinaus im Wettbewerb an erster Stelle zu halten, Wenig oder Nichts! Die Arbeitskosten steigen, die Lohnstückkosten steigen, keine Entbürokratisierung für die Unternehmen, die sogenannte Glasfasernetz-Infrastruktur - eine Farce. Statt eine Steuerferorm im Sinne Prof. Kirchhoffs, Nichts oder Wenig! Und Merkels Entgegnungen auf den sogenannten Reformstau, man mache doch schließlich Gesetze...Ja, klar, wie Heiko Maß gegen Fake-News und Hass im Netz...infantiler Unsinn.

Robert Müller | Do., 15. Juni 2017 - 10:13

Antwort auf von Dr. Lothar Sukstorf

Sehe das auch so. Lieber befassen sich die GroKo-Parteien mit Rentenpolitik. Vielleicht mit gutem Grund. Interessant finde ich allerdings die Förderung der start-up Szene, die es zuletzt gegeben hat. Hoffentlich passiert da mehr als nur den nächsten Essenliefernaten zu fördern.

Mathias Trostdorf | Mi., 14. Juni 2017 - 18:42

Viele Betroffene würden sagen, daß der Preis zu hoch war, den 10Mio Menschen in Deutschland zahlen, die durch die "Optimierung" unserer Wirtschaft im Niedriglohnsektor gelandet sind. Die kaum von einem Monat zum anderen kommen, geschweige den fürs Alter vorsorgen können. Oder man fragt sich, ob es nicht unmoralisch ist, daß Leute aus Osteuropa für 1500Euro im Monat rund um die Uhr unsere Alten versorgen. Oder ebenso unmoralisch, wenn eins der wirtschaftlich erfolgreichsten Länder anderen Ländern Fachkräfte weglockt und die dann keine mehr haben?
Vielleicht ist es deshalb auch kein großes Wahlkampfthema, weil Parteien ja nur dann für eine boomende Wirtschaft gewählt werden, wenn der Wähler auch selbst etwas davon hat?
Und da haben viele Wähler tatsächlich schon bessere Zeiten gesehen.
Fakt ist natürlich auch, daß es kein unbegrenztes Wachstum gibt. Und was dann ist, dafür hat wohl keine Partei ein Konzept.

Claudia Martin | Do., 15. Juni 2017 - 17:53

Antwort auf von Mathias Trostdorf

1.500,00 Euro ist viel Geld. Und anderen Vereinen das Fachpersonal weglocken, das macht auch der FC Bayern. Unmoralisch finde ich nur den Finanzminister. Bin mal gespannt, ob das was wird mit der Steuersenkung.

Günther Heinz | Mi., 14. Juni 2017 - 18:47

Die AfD wurde hier doch völlig vergessen. Da die Leser (zumindest nach den Kommentaren zu urteilen) größtenteils diese Partei wählen, sollte deren Programm doch auch vorgestellt werden.

Constantin Wissmann | Do., 15. Juni 2017 - 11:57

Antwort auf von Günther Heinz

Guten Tag Herr Heinz, 

die AfD wurde nicht vergessen. "Schauen wir auf die fünf zur Wahl stehenden, von denen zwei oder drei mit ziemlicher Sicherheit die künftige Regierung stellen und somit die Wirtschaftspolitik bestimmen werden" - eine Koalition mit der AfD haben alle anderen Parteien kategorisch ausgeschlossen. 

Beste Grüße, CW (Online-Redaktion)

 

Habe ich auch so gelesen. Guter Konter. Aber zu kurz gesprungen von Schmiese. Also in Frankreich ist man ja jetzt praktisch schon soweit, dass demnächst k e i n e der etablierten Parteien regieren wird.

Claudia Martin | Do., 15. Juni 2017 - 18:02

Antwort auf von Günther Heinz

wollen sie die wirklich lesen? Es hält sich sowieso keiner dran. Ist mir auch aufgefallen, dass die AFD nicht erwähnt wird. Aber Schmiese ist vom ZDF. Wenn der die AFD erwähnt, fliegt er raus. Oder er muss zumindest sagen, die "rechtspopulistischen AFD".

Hans Beerstecher | Do., 15. Juni 2017 - 10:55

Der nicht vorhandene Nachwuchs schadet dem
Wirtschaftstandort.
Die Nivellierung der Bildung nach unten schadet
dem Wirtschaftsstandort.
Die Behinderung des Ausbau der Verkehrsinfrastruktur von einer zukunftsmüden
alten Bevölkerung behindert den Standort.
Die wachstumsfeindlichen Ideologien der Ökoradikalen aller Parteien und Bewegungen schwächen die Entwicklung des Standorts.
Physik und Chemie haben den Standort bisher
gesichert. Physik und Chemie sind Fremdworte
für unsere Ökoradikalen.
Vieleicht, daß sich die SPD "Vorwärts" wieder an
die Zukunftsorierntierung ihrer Vorfahren erinnert.
Kennen Sie einen wirklich fundierten Wirtschafts-
sprecher der CDU?
Die FDP kommt noch ziemlich weichgespühlt daher. Villeicht traut sie sich erst nach der Wahl.

Dr. Lothar Sukstorf | Do., 15. Juni 2017 - 12:10

Generell sollte man mal diskutieren, welche Rolle staatliche Organisation, oder "der Staat" spielen soll? Soll er schlichtweg der Garant für die Wohlfahrt seiner Bürger sein, alles alimentieren, für die Vollkasko-Rundumsversorgung sorgen? Ich habe den Eindruck, daß die Mehrheit unserer Menschen exakt dies als Aufgaben des Staates sieht. Für mich eine Horrorvorstellung! Ich entscheide selber über mein Wohl und Wehe und möchte einen Staat,der sich nicht als Sozialamt versteht und sich aus dem Gestaltungsfreiraum des einzelnen Menschen raushält. Soziale Hilfe nur noch für die, die es wirklich benötigen.

Werner Schütz | Fr., 16. Juni 2017 - 14:49

Antwort auf von Dr. Lothar Sukstorf

ich jedenfalls nicht. Wann waren Sie zuletzt in den USA, v. a. in den Südstaaten?
Wollen Sie allen Ernstes in so einem sozialen Umfeld leben?
Zur Klarstellung: Ich zahle gerne meine nicht unerheblichen Steueren, ja sogar wie noch bei der Kohl-Regierung Vermögenssteuer.
Das ist mir die Soziale-Irenik (Müller-Armack) in unserem Land wert, auch wenn ich sie seit der Agenda 2010 gefährdet sehe.

Frank Goller | Sa., 17. Juni 2017 - 10:16

Antwort auf von Dr. Lothar Sukstorf

Soziale Hilfe für Bedürftige, für Menschen die hier schon länger leben, ohne die Betteltour durch die Behörden. Ein Mindesteinkommen ist hier angesagt. Es werden ohnehin 19% vom Staat wieder "einkassiert" den auch der Bedürftige ist Steuerzahler !

Jürgen Althoff | Do., 15. Juni 2017 - 16:21

Da mit Fortschreiten der sog. Energiewende die deutsche Stromversorgung, die Lebensader unserer Zivilisation und unseres Wohlstandes, nicht nur immer teurer, sondern mit zunehmender Abhängigkeit von Wind und Wetter bei abnehmender Grundlastversorgung und zunehmender Abhängigkeit von Regelenergie zur Verhinderung eines Netzabsturzes auch immer unzuverlässiger. Da erweist sich das Gerede von "Industrie 4.0" als politisch korrektes Geschwätz Ahnungsloser.