
- Das doppelte Spiel der Al-Nusra-Front
Aleppo kommt mehr und mehr eine Schlüsselrolle im syrischen Krieg zu. Verschiedene Rebellengruppen versuchen, den von Assad-Truppen belagerten Ostteil der Stadt zu befreien. Darunter ist auch die islamistische Al-Nusra-Front, die neuerdings unter anderem Namen agiert
Sie kämpfen derzeit an vorderster Front, um den eingekesselten Osten Aleppos wieder aus dem Griff der Assad-Armee zu befreien. Seit dem Wochenende liefern sich die Jihadisten von Jabhat al-Nusra Seite an Seite mit Rebellen von Ahrar al-Sham und der Freien Syrischen Armee am südlichen Stadtrand die schwersten Gefechte seit Jahren mit den Belagerern des Regimes.
Die Al-Nusra-Einheiten, die sich bisher zu Al-Qaida zählten, gelten als die Elitetruppen der Aufständischen. Ende Juli jedoch sagten sie sich offiziell von ihrem obersten Befehlshaber Ayman al-Zawahiri in Afghanistan los und benannten sich um in Jabhat Fateh al-Sham. Mit diesem symbolischen Schachzug wollen die syrischen Gotteskrieger künftig mehr moderate Rebellen anlocken und sich selbst besser aus der Schusslinie der russischen und amerikanischen Kampfjets bringen. Denn wie der „Islamische Staat“ ist auch Jabhat al-Nusra von dem im Februar international vereinbarten Waffenstillstandsabkommen ausgeschlossen. Und so verhandeln Moskau und Washington derzeit darüber, ihre Luftangriffe auf beide Terrororganisationen zu intensivieren und künftig von Amman aus zu koordinieren.
Ultrakonservative Islamisten
Die Umetikettierung jedoch ist vor allem taktischer Natur, zumal Al-Nusra-Chef Abu Muhammad al-Jolani damit keinerlei ideologische Konzessionen verband. Seine auf 7000 bis 8000 Mann geschätzten Kämpfer sind ultrakonservative und harte Islamisten, die in Kampfkraft und Fanatismus ihren Jihadi-Rivalen vom „Islamischen Staat“ wenig nachstehen. Sie verstehen sich als Mitglieder der globalen Salafisten-Bewegung. Die Zahl der Ausländer bei Al-Nusra jedoch ist deutlich geringer als beim IS-Terrorkonkurrenten. Mehr als 70 Prozent sind Syrer, weil sich die Organisation bewusst den Anstrich einer nationalen Rebellenbewegung gibt.
Ihr Kommandeur Abu Muhammad al-Jolani, der an der Spitze eines zwölfköpfigen Führungsrates steht, wuchs zusammen mit seinen sechs Geschwistern in Damaskus auf. Der Vater arbeitete zeitweise in der saudischen Ölindustrie, die Mutter als Geographie-Lehrerin. Radikalisiert wurde der 35-Jährige 2003 durch die US-Invasion im Irak, dort als Mitglied von Al-Qaida im Irak (AQI) verhaftet und nach Syrien ausgeliefert. Von 2005 an war er im berüchtigten Sednaya-Gefängnis nahe Damaskus eingesperrt. Nach dem Arabischen Frühling kam er zusammen mit hunderten anderer Jihadisten durch eine Amnestie des Assad-Regimes frei, das auf diese Weise die Kämpfe zwischen moderaten und radikalen Rebellen anheizen wollte. Im Januar 2012 gründete al-Jolani die Al-Nusra-Front. Ein Jahr später kam es zum Bruch mit dem „Islamischen Staat“, nachdem dessen Führung sich mit der Al-Qaida-Spitze überworfen hatte.
Al-Nusra geht strategischer vor als der IS
Wie der IS wollen auch die Al-Nusra-Jihadisten ein eigenes Islamisches Emirat auf dem Boden eines Post-Assad-Syriens errichten – allerdings als langfristiges Fernziel. Vor Ort propagieren sie ihre Scharia-Pläne pragmatisch und dosiert, um die lokale Bevölkerung nicht gegen sich aufzubringen. Anfangs hielten die Kommandeure sogar ihre Bindung zu Al-Qaida bewusst unter der Decke. Nach dem jetzt vollzogenen Bruch mit dem Bin-Laden-Terrornetzwerk will Al-Nusra künftig noch enger mit Bewaffneten international akzeptierter Gruppen kooperieren. „Wir hoffen, ein gemeinsames Kommando gründen zu können, welches die Massen der Menschen in Syrien vereint, ihr Land befreit und ihrem Glauben den Sieg schenkt“, deklamierte Al-Jolani in seinem kurzen Trennungsvideo, flankiert von zwei bärtigen Gesinnungsgenossen.
Ihre stärkste Präsenz hat Al-Nusra derzeit in der nordwestlichen Provinz Idlib sowie im Süden der Provinz Aleppo. Im Gegensatz zum „Islamischen Staat“ gehen ihre Jihadisten vielerlei örtliche Waffenbündnisse ein und werden wegen ihrer Disziplin und Kampfkraft von moderateren Rebellenbrigaden als Verbündete sehr geschätzt.
Geld kommt aus Qatar
Die Finanzierung von Al-Nusra ist undurchsichtig und schwer zu beziffern. Anders als beim IS hängen die Extremisten primär von äußeren Geldgebern ab, weil sie in ihren Gebieten kaum Steuern oder Wegezölle erheben. Seit vielen Jahren existieren lukrative Verbindungen zum türkischen Geheimdienst, aber auch zu privaten Spendern in Golfstaaten wie Kuwait und Qatar. Eine weitere Einkommensquelle sind Entführungen. In der Regel zahlt Qatar die millionenschweren Lösegelder, eine Praxis, die westliche Ermittler als verdeckte Finanzhilfe für die Jihadisten verdächtigen. Qatar sei teilweise dafür verantwortlich, urteilte darum auch ein ungenannter nahöstlicher Diplomat im Daily Telegraph, „dass Jahbat al-Nusra Geld und Waffen hat sowie alles, was sie braucht“.