Der verstorbene Kameramann Michael Ballhaus
Michael Ballhaus: „Mein letzter Tag soll kein Trauertag sein“ / picture alliance

Michael Ballhaus - „Es gibt kein Ende, es gibt Unsterblichkeit“

Michael Ballhaus war ein Meister des Lichts. 2007 erzählte der verstorbene Kameramann dem „Cicero“, wie er seine letzten 24 Stunden verbringen würde: mit Familie, Freunden, Bruce Springsteen – und Rauhaardackel Lulu

Autoreninfo

Till Weishaupt ist ehemaliger Leiter des Ressorts Kapital beim Cicero Magazin

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Meine letzten 24 Stunden beginnen um Mitternacht. Mein letzter Tag soll kein Trauertag, es soll eine schöne Feier sein: Ich hatte ein wunderschönes Leben! Und wenn es vorbei ist: Ich bin bereit zu gehen. Gleich um 00:00 Uhr nachts rufe ich also in Los Angeles an, lade meine Nachbarn und Freunde ein: Wolfgang Petersen, Leonardo DiCaprio, Bob Redford, ja, und natürlich Dustin. Dustin Hoffman ist ja mein Lebensretter. Ich stand dem Tode schon gegenüber, ich hatte einen schweren Magendurchbruch. Gott sei Dank war Dustin da. Er schob mich später in den OP-Saal und sagte noch: Hey Michael, achte auf die OP-Lampen, da kannst du was lernen!

Ein Tag der Besinnung

Die Feier soll in meiner Lieblingsstadt Berlin stattfinden, nicht in L.A., auch nicht in meiner Heimat, dem Frankenland. In Berlin, im Saal der Akademie der Künste am Hanseatenweg. Aus New York lade ich unter anderem meinen Freund Martin Scorsese ein – wenn er kommt. Die besten Filme habe ich mit ihm gedreht. Nach den Amerika-Telefonaten würde ich mir bis circa 5:00 Uhr früh etwas Schlaf gönnen. Duschen, Frühstück in der Küche wie jeden Tag: Haferkleie in Wasser gekocht, einen Teelöffel Sojasoße und etwas Olivenöl. Grüner Tee mit Kräutern.

Vormittags würde ich alle aus Deutschland, Europa anrufen und einladen: Meine Söhne und deren Familie, meine Schwester Ulla in München, meine Schwester Nele und ihren Mann Paul Maar in Bamberg und Freunde. So würde ich also den Vormittag am Telefon in meinem Arbeitszimmer am Holztisch verbringen: Ein Tag der Besinnung mit vielen Gesprächen am Telefon, mit vielen Menschen. Nebenbei will ich Musik hören: Klassische Klavierkonzerte, Mozart, Vivaldi und Rock ’n’ Roll. Bruce Springsteen mit „Lonesome Day“ muss dabei sein. Drehbücher habe ich zwar zahllose gelesen, am letzten Tag hätte ich dafür aber keine Zeit.

Ich bin von Licht abhängig, letztendlich wir alle

Mittags würde ich auf den Friedhof gehen und das Grab meiner Frau Helga besuchen. Ihr Tod wird einen Sinn haben, und ich bin dabei, ihn zu ergründen. Ich würde dann durch das Licht spazieren. Für mich als Kameramann war Licht immer das zentrale Thema. Das Licht entscheidet alles. Ich bin von Licht abhängig, letztendlich wir alle: Licht bestimmt mein Leben, unser aller Leben.

Ich hätte gerne noch meinen Film zum Klimaschutz fertiggestellt. Der Raubbau an der Umwelt durch die Bush-Politik, China und Indien ist eine Katastrophe und muss bekämpft werden. Der Nobelpreis an Al Gore war ein gutes politisches Signal! Ich würde gerne mit Kurzfilmen für den Klimaschutz werben: Loriot hat die große Gabe, in kleinen Sequenzen die Menschen zu bewegen. Das ist auch immer mein Leitthema gewesen: Filme machen, die die Seele bewegen, Menschen zum Lachen oder Weinen bringen. Beides gehört zum Leben. Es ist das Thema von Martin Scorseses Film „The Departed“: Alles ist unsicher, in jeder Sekunde kann alles anders sein. Wie der Tod ganz überraschend kommt und man ihn akzeptieren muss. Aber es geht weiter.

Ich hoffe auf Verständnis für mein Leben

Ich gehe nicht in die Kirche, glaube aber an Gott. Jesus war ein unglaublicher Mensch und hat die Hoffnung vermittelt. Es gibt kein Ende, es gibt Unsterblichkeit. So wie meine Frau mir auch heute Zeichen gibt. Meine Frau war die Energiequelle meines Lebens und ist noch heute für mich ein Bezugspunkt. Abends werde ich dann das Fest mit all den hoffentlich angereisten Lieben genießen. Bei italienischem Essen, Wein und Champagner möchte ich mit allen sprechen und allen dafür danken, wie sie mich begleitet haben, um Verzeihung bitten, wo ich gefehlt habe, um Wiedergutmachung bitten. Ich hoffe auf Verständnis für mein Leben. Bis das letzte Licht gelöscht ist, will ich mit meinen Lieben reden. Ich will meine letzte Stunde zu zweit verbringen. Das ist privat. Lulu, mein Kurzhaardackel, wird in meiner Nähe sein. Es war schön. Sehr poetisch. Ich bin bereit zu gehen.

Dieser Artikel erschien zuerst 2007 im Cicero Magazin. Das Magazin erhalten Sie am Kiosk oder in unserem Online-Shop.

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Dr. Roland Mock | Do., 13. April 2017 - 12:03

Eine tolle Idee, diesen Brief hier zu veröffentlichen. Politisch lag ich mit Ballhaus nie auf einer Wellenlänge. Ich verübelte ihm und dem gleichgesinnten Petersen z.B., daß sie in Interviews ihre Ablehnung gegen George Bush jun. als Meinung "der" (also a l l e r ) Deutschen ausgaben. Aber ich war immer ein großer Fan von Ballhaus. Schon allein, weil ich auch Fan von Scorsese bin und Ballhaus' berühmte "Copacabana-Fahrt" in "Good Fellows" als Highlight der Filmgeschichte sehe. Auch weil er es schaffte, sich aus dem Faßbinderschen Filmdeutschland fast aus dem Stand in die erste Riege Hollywoods zu katapultieren. Und außerdem war er immer ein formvollendeter Gentleman. Habe in vor ca. 10 Jahren auch einmal persönlich in Hamburg als solchen erlebt. Schade, daß er nicht mehr unter uns ist.

Kerstin Voigt | Do., 13. April 2017 - 15:06

2009 erhielt Michael Ballhaus auf dem Filmkunstfest Mecklenburg-Vorpommern in Schwerin für sein Lebenswerk den Goldenen Ochsen. Im Jahr darauf leitete er auf dem 20. Filmkunstfest die Spielfilm-Jury. Zur Jury gehörten auch die Schauspielerin Hannelore Elsner, Regisseurin Helke Misselwitz, Autor Christoph Hein und der Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase.
Ja, es ist schade, dass er nicht mehr unter uns ist.

Alexander Wildenhoff | Do., 13. April 2017 - 23:46

Ja - Politisch lag ich mit Ballhaus nie auf einer Wellenlänge.
Aber er war sicher ein Großer.
Requiescat in pace.
Aber: soviel Respekt darf sein - Frühstück in der Küche wie jeden Tag: Haferkleie in Wasser gekocht, einen Teelöffel Sojasoße und etwas Olivenöl. Grüner Tee mit Kräutern.
Jetzt weiß ich, woran er gestorben ist.