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(picture alliance) Wahlen in Afghanistan
Kann der Islam Demokratie?

Der Nahe Osten sowie der nordafrikanische Kontinent werden von einer Welle des Aufruhrs erfasst. Die alte Ordnung bricht auf und der Westen reibt sich verwundert die Augen. Der Ruf nach Demokratie wird laut und wirft zugleich die Frage auf: Wie demokratiefähig ist der Islam?

Ob in Tunesien, Ägypten oder Libyen. Reihenweise schicken die Bevölkerungen ihre Diktatoren in die Wüste (oder versuchen es zumindest wie im Falle Libyens) und die ganze Welt fragt sich, welches Land kippt als nächstes? Die alte Ordnung bricht auf und der Westen reibt sich verwundert die Augen. Doch was an Stelle dieser alten Ordnung tritt, weiß niemand. Die Demonstrationen in der Region halten an und vermitteln dem staunenden Zuschauer ein ungewohntes Bild von der muslimischen Welt: Wir sehen Muslime, die für Freiheit auf die Straße gehen, friedlich neben Christen demonstrieren, Muslime, die gewaltfrei für eine bessere Zukunft ihr Leben riskieren. Derartige Bilder freiheitsliebender Muslime ist das westliche Auge nicht gewohnt, glaubte man hier doch den vermeintlichen Experten, die nicht müde wurden zu betonen, dass die jungen Muslime von liberal-demokratischen Werten, von Freiheit und Demokratie nichts wissen wollen und dem Westen hasserfüllt gegenüberstehen.

So verschieden die unterschiedlichen Träger der Unruhen auch sind, was sie zu einen scheint, ist die Hoffnung auf Freiheit und die Forderung nach Teilhabe. Sie verbreiten ihre Botschaften übers Internet und mobilisieren sich via Handy, Twitter und Facebook. Es sind vor allem junge Leute, die ihren Eliten misstrauen und das eigene System in Frage stellen. Hatten es die Regierungen in Tunis oder Tripolis bisher geschafft, den Westen - allen voran in Gestalt der USA und Israel - verantwortlich für die katastrophale Lage der Bevölkerung zu zeichnen, richtet sich nun die Wut gegen die eigene Führung. Forderungen nach demokratischen Strukturen werden laut und nicht zuletzt das westliche Feuilleton stellt sich zunehmend die Frage: Wie demokratiefähig ist der Islam?

Ist eine islamische Demokratie nicht letztlich doch eine „contradictio in adjecto“, ein unvereinbarer Gegensatz wie Samuel P. Huntington einst ausrief? Zumindest die Empirie scheint diese These zu stützen. Laut Freedom House, einer Organisation, die demokratische Entwicklungen weltweit kritisch verfolgt, ist der Nahe Osten nach wie vor rückständig in Sachen demokratischer Entwicklung. Gerade einmal drei von 18 Ländern im Nahen Osten wird ein „teilweise frei“ attestiert, 14 gelten als unfrei. Die einzige Demokratie in der Region ist Israel, in dem bekanntermaßen die Bevölkerungsmehrheit nicht muslimisch ist. Über die Region des Nahen Ostens hinaus weist Freedom House 47 Ländern mit islamischer Bevölkerungsmehrheit lediglich für elf Staaten eine „electoral democracy“ aus. Ein Status, der noch längst nicht auf eine entwickelte Demokratie verweist, sondern lediglich die minimaldemokratische Anwesenheit von freien Wahlen attestiert. Zu diesen Ländern zählen u.a. Bangladesch, Indonesien, Nigeria, Sierra Leone. Länder also, die strenggenommen keine rechtstaatlichen Demokratien nach westlichem Maßstab sind. Unter den Kernländern der arabischen Welt des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrikas findet sich kein einziges islamisches Land, dass die Minimalanforderungen einer „electoral democracy“ erfüllt. Demokratisierungstendenzen zeigen sich bisher allenfalls außerhalb der arabisch-islamischen Kernländer, einmal an der Peripherie zu Europa (Albanien, Bosnien) beziehungsweise an der islamischen Peripherie Südostasiens (Indonesien).

Mit Ägypten wurde nun ein arabisch-islamisches Kernland von Demokratisierungsprozessen erfasst. Doch auch die momentanen Unruhen ändern zunächst wenig an dem dargestellten Befund. Ob sich in den von Aufruhr befallenen Ländern langfristig demokratische Strukturen entwickeln, bleibt abzuwarten. Nach wie vor scheint die Hoffnung in den Medien, dass es sich bei den Revolutionären um Demokraten handelt, genauso groß zu sein, wie die Unwissenheit über diese Gruppierungen. Walter Laqueur weißt in einem kürzlich in der Welt erschienen Artikel zu Recht darauf hin, das von den politischen Zielen der einzelnen Gruppen wenig bekannt, und von den demokratischen Bekundungen der Muslimbrüder wiederum vermutlich wenig zu halten ist.

Die historische Erfahrung zeigt, dass nahezu jede demokratische Anstrengung in der arabisch-islamischen Welt gescheitert ist. Warum zeigen sich islamisch geprägte Länder so widerstandsfähig in Bezug auf demokratische Modernisierungsprozesse? Natürlich wäre es kurzsichtig zu behaupten, allein der Islam sei Schuld an der Entwicklung, sollten doch für eine fundierte Analyse die jeweiligen sozialen, ökonomischen und politischen Verhältnisse der einzelnen Länder herangezogen und auch auf die unterschiedlichen Ausprägungen islamischer Glaubensrichtungen eingegangen werden. Doch es darf festgehalten werden, dass die religiöse Komponente in der islamischen Welt im Besonderen Maße in Konkurrenz zu rechtstaatlichen und demokratischen Strukturen steht. Gleichwohl muss an dieser Stelle noch einmal festgehalten werden, dass es natürlich den Islam nicht gibt. Was aber als allgemeine Tendenz hinsichtlich islamisch geprägter Staaten festgestellt werden kann, sind gewisse Grundspannungen zwischen Demokratie und Islam, die sich aus der Tatsache speisen, dass es in der arabisch-islamischen Welt keine vergleichbare Aufklärung gegeben hat.

Fast alle Kritiker bemängeln die fehlende Säkularisierung in islamisch geprägten Staaten. Überall dort, wo es keine Grenze zwischen Politik und Religion gibt, scheint einer totalitären Auslegung von Herrschaft und Macht Tür und Tor geöffnet. In den meisten islamisch geprägten Gesellschaften sind Religion und Politik nahezu untrennbar miteinander verbunden. Eine Aufklärung nach Kant’schem Muster, in dessen Verlauf die Religion ihren Absolutheitsanspruch einbüßte und der Glaube letztlich privatisiert wurde, hat der Islam bis heute nicht erfahren. Es dauerte viele Jahrhunderte, bis das Christentum seine Vorstellungen nach einem Reich Gottes auf Erden begraben musste. Im Zeitalter der Globalisierung hat der Islam diese Zeit nicht.

Lesen Sie im zweiten Teil der Analyse, warum Religion per se schwer mit Demokratie zu vereinbaren ist.

Dabei gerät Religion zwangsläufig immer dort, wo sie den politischen Raum tangiert, in einen Konflikt mit Demokratie. Jede Religion operiert mit absoluten Wahrheiten, die einem demokratischen System, das von kritischen Diskursen lebt, entgegenstehen. Insofern ist der Absolutheitsanspruch einer Religion, der unveränderliche Grundsätze einfordert, mit einem auf Dialog und Streitkultur hin ausgerichteten demokratischen System, dessen weltliche Wahrheiten am Ende einer Debatte stehen, nur schwerlich zu vereinbaren.

Danach haben es islamische Gesellschaften, bei denen die Säkularisierungsbemühungen noch in den Kinderschuhen stecken, besonders schwer. Immer dann, wenn nicht der Demos als Souverän gilt, sondern Gott beziehungsweise dessen Interpreten, die Imane, wenn also der Koran, als Quelle aller Autorität weltlicher Macht herangezogen wird, läuft dies immer einer abstrakten Ordnung, wie wir sie in einem Rechtstaat vorfinden, zuwider.

Und genau hier verläuft die Konfliktlinie zwischen Islam und Demokratie. Ein Konflikt, der selbst in der liberalsten Auslegung des Islam vorhanden ist. Auch liberale Reformer des Islam bleiben der Überzeugung treu, dass Koran, Sunna (neben dem Koran die zweitwichtigste Quelle des islamischen Rechts) oder Hadith (Verhaltensnormen, die auf den Propheten, bei den Schiiten auch auf die Imame zurückgeführt werden) nicht nur die Verhältnisse zwischen Mensch und Gott bestimmen, sondern darüber hinaus auch die soziale, politische und wirtschaftliche Ordnung der Gesellschaft unmittelbar beeinflussen. Solange dieses religiöse Fundament nicht hinterfragt wird, wird es jede demokratische Entwicklung schwer haben. Solange ein Muslim im wörtlichen Sinne ein Muslim bleibt, also ein sich Gott Unterwerfender, wird er es schwer haben, sich als Bürger zu verstehen und sich als solcher den Gesetzen zu unterwerfen. Wird letzten Endes die Trennung von Staat und Religion nicht akzeptiert, wird eine Verbindung von Islam und Demokratie scheitern. Sofern es keinen Grundkonsens darüber gibt, dass Mehrheitsentscheidungen göttliche Gesetze aufheben können, werden die Religionshüter immer in Widerspruch zu den Anliegen der Bevölkerungsmehrheit geraten.

Letztlich geht es also bei allen Demokratisierungsbemühungen im arabischen Raum darum, Religion zurückzudrängen. Mit einer Religion, die in alle Lebensbereiche hineinreicht, wird kein demokratischer Staat zu machen sein. Ein Blick in die Geschichte genügt, um zu erkennen, dass demokratische Prinzipien immer auch gegen eine fundamentalistische Religion erkämpft werden mussten.

Bei allem Zweifel an der Demokratiefähigkeit des Islam, darf aber nicht vergessen werden, dass Misserfolge der Demokratie in der islamischen Welt immer auch in den Kontext politischer, sozialer und ökonomischer Verhältnisse fallen, und nicht allein dem Islam als Religion zuzurechnen sind. Die Re-Islamisierung ist vor allem auch als Reaktion auf eine verfehlte Modernisierungspolitik der politischen Eliten nach der Dekolonisierung zu verstehen, die es den Islamisten relativ leicht gemacht haben, die Religion politisch zu ideologisieren.

In den letzten Jahrzehnten bestand nahezu in der gesamten islamischen Welt ein unausgesprochener Schulterschluss zwischen den autoritären Machthabern und den islamistischen Fundamentalisten, wenn es um die Marginalisierung der demokratischen Kräfte ging. Diese Allianz hat nun zum ersten Mal Risse bekommen und wurde teilweise durchbrochen. Es gilt folglich aus westlicher Sicht, diese historischen Momente anzuerkennen und kritisch bis wohlwollend zu begleiten. Dennoch kann keine Demokratie westlichen Modells implementiert werden. Auch das Maß, das es an eine nahöstliche Demokratie anzulegen gilt, muss erst noch gefunden werden, was nicht bedeutet, dass demokratische Werte relativierbar sind. Vielmehr bedeutet dies, den eurozentrischen Blick etwas zu entschärfen.

Bei aller Kritik sollte der Fehler vermieden werden, die Werte der Aufklärung in einer Art Arroganz vor sich her zu tragen und sie in dogmatischer Weise gegen Muslime einzusetzen. Denn dann ist die Gefahr groß, mahnt selbst der Islam-Kritiker Ian Buruma, dass die westlichen Werte zu einer Art Nationalismus werden, der einzig und allein dazu dient, die ‚eigene‘ Kultur von einer ‚anderen‘ abzugrenzen. „Denn“, so Buruma weiter, „die Werte der Aufklärung sind zu verteidigen, weil sie auf guten Ideen beruhen, und nicht, weil sie ‚unsere Kultur‘ sind.“

Vor diesem Hintergrund erscheint es umso dringlicher, die Türkei, die das islamische Land mit den am weitesten entwickelten demokratischen Strukturen ist, an die europäische Union zu binden, um so ein deutliches Signal in die arabische Welt zu senden.

Ob der Islam letztlich mit Demokratie zu vereinbaren ist, ob er also Demokratie kann, wird zuverlässig, wie bei allen großen Fragen, letztlich aber nur von der Geschichte zu beantworten sein.

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Andreas Müller | Do., 13. April 2017 - 11:59

Sehr geehrte Damen und Herren,
zu Ihrem oben angeführten Artikel kann ich Ihnen nur gratulieren. Er trifft es sehr gut !
Die aktuelle Entwicklung in der Türkei lässt mich noch auf Folgendes verweisen.
Anders als in den arabischen Ländern kommt in der Türkei ein bestimmter Nationalismus hinzu.
Herr Erdigan bedient sich in seinem Anspruch auf Alleinherrschaft beider Gefühle , der religiösenen und der nationalen.
Leichte wirtschaftliche und sozialeVerbesserungen tuen dann ein Übriges.
Die Schizophrenie in der türkischen Gesellschaft besteht unter anderem darin, dass Attatürk als nationaler Held verehrt wird, andererseits verdrängt wird, was dieser über den Islam gesagt hat. ( Eine Religion die auf den Misthaufen der Geschichte gehört) Über den Propheten: ( Die absurde Religionslehre eines unmoralischen Beduinen )

Mit besten Grüssen

Andreas Müller
Hamburg