Auch Befürworter der Justizreform gingen heute in Jerusalem auf die Straße / dpa

Justizreform in Israel - Kein Interesse an Kompromissen

Seit Monaten gibt es heftige Proteste gegen die geplante Justizreform, die die Macht des Obersten Gerichts begrenzen soll. Jetzt wird das Vorhaben vertagt. Aber ist das wirklich ein Sieg für die Demokratie?

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Ingo Way ist Chef vom Dienst bei Cicero Online.

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Auch am heutigen Montag demonstrierten wieder mehr als 100.000 Bürger gegen die geplante Justizreform der Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Die Proteste gegen die Reform, mit der der Einfluss des Obersten Gerichts eingeschränkt werden soll, halten bereits seit Monaten an. Die Koalitionsregierung aus Netanjahus Likud und diversen rechten und religiösen Parteien wirft dem Obersten Gericht vor, sich übermäßig in politische Entscheidungen des Parlaments einzumischen und auf parlamentarischem Wege beschlossene Gesetzesvorhaben zu blockieren. Die geplante Reform sieht daher vor, dass das Parlament, die Knesset, mit einfacher Mehrheit Entscheidungen des Obersten Gerichts aufheben kann. Außerdem soll der Ministerpräsident besser vor einer Amtsenthebung geschützt werden. Letzteres ist ein besonderes Anliegen von Netanjahu – gegen ihn läuft nämlich noch eine Reihe von Gerichtsverfahren wegen Betrugs, Untreue und Bestechlichkeit. Die Gegner der Justizreform sehen durch das Vorhaben die Gewaltenteilung in Gefahr, warnen sogar vor dem Ende der Demokratie in Israel. 

Aber sind wirklich Gewaltenteilung und Demokratie in Gefahr? Israels Oberstes Gericht hat derzeit mehr Macht als etwa der amerikanische Supreme Court und ist selbst kaum der demokratischen Kontrolle unterworfen. Israel hat keine geschriebene Verfassung, die Obersten Richter berufen sich also auf diverse einzelne „Grundgesetze“, die allerdings keinen Verfassungsrang besitzen, ferner auf die Unabhängigkeitserklärung sowie auf das Kriterium der „Angemessenheit“ bzw. „Unangemessenheit“, wenn sie ein bestimmtes Gesetz für ungültig erklären. Das heißt, die Urteile des Gerichts spiegeln vor allem die subjektiven politischen Überzeugungen der Richter wider, die sich fast ausnahmslos aus dem linksliberalen, europäisch geprägten Bürgertum rekrutieren. Anders als die Knesset bilden sie also nicht das gesamte Spektrum der israelischen Gesellschaft ab, sondern sprechen für ein bestimmtes soziales Milieu. Und da das Gericht sogar ein Vetorecht bei der Ernennung neuer Richter besitzt, sorgt es selbst dafür, dass das auch so bleibt.  

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Enka Hein | Mo., 27. März 2023 - 18:56

......"Hier müssen wir uns mit aller Kraft gegen die Pläne der Regierung stellen. Die Koalition ist dabei, die Zusammensetzung des Richterwahlausschusses zu ändern. Die Regierung hätte damit die vollständige Kontrolle über den Nominierungsprozess für die Richter am Höchsten Gericht – und an allen anderen Gerichten. Das würde bedeuten, dass die regierende Koalition alle drei Gewalten beherrscht, Exekutive, Legislative und Justiz. Wenn das passiert, verlieren wir einen wesentlichen Wesenszug der westlichen Demokratien.“
Mensch da bin ich aber froh das so etwas in D nicht passieren kann und wir als leuchtendes Vorbild gelten können. Ein Herr Harbarth ist ja zum Glück, wie andere ja nur auf Grund seiner Qualifikation ins Amt gekommen. Böse Zungen behaupten ja es hätte irgendwie mit der Politik von unserer linksgrünen Merkel zu tun gehabt.
Aber nein. Das glaube ich nicht. Nicht unsere linkische Pfarrerstochter. Nie.
Satire Ende.
Netanjahu soll sich auf D berufen. Und alles ist gut.

Maria Arenz | Mo., 27. März 2023 - 20:44

ist in der Tat ein vertracktes. Eine nicht geschriebene Verfassung wurde von seit 95 immer selbstherrlicher werdenden Richtern immer "unerschrockener" ausgelegt, bis sie - dank extrem klagefreudiger linksliberaler Pressure Groups- zu allem möglichem ihren finalen Senf gegeben haben, der in einer nach dem Prinzip der Gewaltenteilung funktionieren- den Demokratie vernünftigerweise nur politisch entschieden werden darf und nicht von einem demokratisch nicht legitimierten Gremium. Das Ergebnis ist eine so schlimme Polarisierung der Gesellschaft, daß eine veritable Verfassungs-krise nicht fern ist. Die Entwicklung zeigt in extremis, an welche Abgründe ein sich nicht dem Prinzip des "judicial self restraint" verpfichtet fühlendes Verfassungsgericht eine Gesellschaft bringen kann. Wir haben dank des Merkel'schen Folgeschadens Harbarth inzwischen ja auch mehr als eine Ahnung, was wir mit den qualifizierten, unabhängigen RIchterpersönlichkeiten früherer Senate verloren haben.

Ernst-Günther Konrad | Mo., 27. März 2023 - 22:39

Wenn ich das richtig verstehe, hat Israel zwar Wesenszüge westlicher Demokratien, aber keine explizite Gewaltenteilung? Das deren oberstes Gericht politische Entscheidungen trifft kommt mir bekannt vor. Das macht unser BVerfG auch und wir haben angeblich Gewaltenteilung. Mögen die Israelis das richtige tun. Ich kann nicht beurteilen, ob eine Reform inhaltlich richtig ist oder wieder nur dazu dient, die Regierung letztlich zur "Alleinherrschaft" zu führen. Jedenfalls hört es sich vernünftig an, wenn man in eine offene Diskussion mit den Reformgegnern treten will. Es wäre jedenfalls richtig, wenn ein Kompromiss gefunden würde. Dieses Land hat genug Probleme mit ihren Feinden um sie herum, so dass ein solcher innenpolitischer Konflikt eigentlich nicht ratsam ist. Vielleicht wäre eine Verfassung durch die Bürger abgesegnet, in der auch diese Problematik geregelt werden könnte ein Ausweg.

Dorothee Sehrt-Irrek | Di., 28. März 2023 - 08:27

noch einmal ein anderer.
Ich "verlange" von Israel nicht mehr, als von europäischen oder arabischen Staaten usw.
Ein gewissermaßen adäquates Rechtssystem, das je aufkommenden gesellschaftlichen Konflikten vorbeugt und diese befriedet.
Die Konflikte scheinen mir auf der Welt nicht gleich, da gebe ich gerne Herrn Michaelis recht, aber doch vergleichbar?
Immer wieder neu eine Machtbalance zu finden.
Mir gefällt in Israel, dass die Liberalen und Intellektuellen gegen eine Justizreform kämpfen, die sie immerhin ja auch einmal begünstigen könnte?
Gesamtgesellschafliche Verantwortung scheint ihnen wichtiger?
Mögen sie dabei bleiben und dafür gewinnen.

Veränderung einer, wenn auch ungeschriebenen Verfasstheit einer Gesellschaft, dann darf man das m.E. nicht mit einer einfachen Mehrheit umsetzen, die festlegen würde, dass fürderhin überhaupt auch nur eine einfache Mehrheit ausreicht.
Wäre das dann nicht doch eine Art "Machtergreifung"?
Wie auch immer, es bietet sich für eine Veränderung einer ungeschriebenen Verfassung dann doch eher eine Kommission aller gesellschaftlichen Kräfte an, wie die, die unser Grundgesetz ausarbeitete?
Diese Verfassungsänderung müßte dann mindestens von einer 3/4 Mehrheit akzeptiert werden, von Allen ist evtl. unrealistisch.
Wenn Herr Netanjahu nur auf seinen Vorteil bedacht war, könnte er dem dennoch zustimmen, denn sein eigener Vorteil trägt evtl. nicht gegen die Interessen einer möglichen 3/4 Mehrheit in Israel.
Vorausgesetzt das Militär steht nicht hinter ihm.
Ich würde diesen Prozess jedenfalls nicht nur übers Knie brechen, damit sich, überspitzt, Herr Netanjahu auch ja sicher fühlt.
Politischer Anstand

Helmut Bachmann | Di., 28. März 2023 - 11:39

würde jemand unser abgewirtschaftetes Verfassungsgericht in die Schranken weisen. Auch da täte eine Reform gut.

Robert Hans Stein | Di., 28. März 2023 - 13:04

Antwort auf von Helmut Bachmann

Auch bei uns wie wohl in den meisten "westlichen" Demokratien kommen dominieren Juristen aus dem linksliberalen Milieu die Obersten Gerichte. Die Frage sollte in diesem Kontext mal erlaubt sein: Wer ist denn nun eigentlich der Souverän? Für mein Verständnis hat das jeweilige Parlament Vorrang vor dem ausführenden Organ, Regierung, und dem Korrektiv, Oberstes Gericht - und damit auch das letzte Wort. Kenem Gericht sollte erlaubt sein, vom Parlament beschlossene Gesetzesvorhaben zu blockieren oder gar zu kassieren. Im Gegenteil, die vornehmste Aufgabe dieser Gerichte sollte sein, eine unwillige Exekutive zum Handeln im Sinne der Legislative zu bewegen. Und wenn dann noch in unserer besten BRD von allen der Bundestag die tatsächlichen Mehrheitsverhältnisse unter den Wählern abbilden würde, könnte man vielleicht auch mal wieder an die Demokratie glauben.

Gerhard Lenz | Di., 28. März 2023 - 14:56

Schon richtig. Aber soll etwa ein Gesetz, das von rechts-nationalistischen Zwergparteien dem Likud-Block als Voraussetzung für eine Regierungsbeteiligung aufgezwungen wurde, und das der Gewaltenteilung ein Ende bereiten würde, die Demokratie retten?

Man darf nicht vergessen: Netanjahu braucht die Extremisten und ist bereit, sehr weit zu gehen, um in der Regierung zu bleiben.
Was nicht verwundert, auch wenn deutsche Verhältnisse nicht vergleichbar sind: Scholz segnet auch so manches der FDP-Quertreiber ab, die aus Angst vor dem Untergang auf "Teufel komm raus" die anderen Parteien erpressen: Seht her, ohne uns könnt ihr nicht regieren!

Es ist nun mal ein Merkmal von Koalitionsregierungen, dass auch Zwergparteien zum Zug kommen - sie werden als Mehrheitsbeschaffer gebraucht. Die gefährlichen Ideen von Rechtsextremisten zuzulassen, ja in Gesetze umzugiessen, damit Regierungsgeschäfte reibungslos weiterläufen kann gefährlich sein: Hitler & konservative Kumpane wurden auch gewählt.

Ronald Lehmann | Di., 28. März 2023 - 17:32

Ich hoffe Werter Herr Lenz, dass die Konservativen, genannt auch die Rechts-Nationalisten weiterhin Paroli gegenüber den Links-Nationalosten bilden können.

Ich bete inständig, dass in Israel der Kelch des linken Geistes vorbei geht & nicht so einen Schaden wie in Amerika oder Europa anrichtet.

Zumal wir in Deutschland mit unserer Geschichte & dem Werte-Gang der Justiz bis jetzt in die Gegenwart mehr als still sein sollten. Afrika lässt schon jetzt grüßen.
Gott schütze die Juden & das Land Israel - Shalom