Gewaltsamer Protest gegen die französische Rentenreform / picture alliance

Rentenstreit in Frankreich - Wie weiter mit Regierung und Reform?

Der parlamentarische Widerstand ist knapp gescheitert: Nur neun Stimmen fehlten beim Misstrauensvotum gegen Premierministerin Borne. Die Proteste gegen die französische Rentenreform dürften aber weiter an Größe, Wucht und Härte zunehmen.

Kay Walter

Autoreninfo

Kay Walter arbeitet als freier Journalist in Frankreich

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Stürmische Tage in der Assemblée Nationale in Paris. Nach den Tumulten vom Donnerstag, als Premier Élisabeth Borne die Rentenreform auf Geheiß ihres Chefs Emmanuel Macron per Dekret (Artikel 49.3) und am Parlament vorbei durchsetzte, folgte gestern am frühen Abend dann Teil zwei mit Misstrauensvoten gegen die Regierung – und implizit natürlich gegen Präsident Macron. 

Um 19:01 Uhr verkündete die Parlamentspräsidentin das Ergebnis des ersten, fraktionsübergreifenden Misstrauensantrags. 287 Abgeordnete beschieden Élisabeth Borne, sie solle aus dem Amt entfernt werden. Damit fehlten lediglich neun Stimmen, dann wären die Rentenreform und mit ihr die Regierung gescheitert. Kaum jemand hatte damit gerechnet, es könnte derart knapp werden. Und bei genauer Betrachtung wird die schallende Ohrfeige immer nur noch heftiger. 

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Karl-Heinz Weiß | Di., 21. März 2023 - 13:33

Oft raufen sich die Franzosen wegen der deutschen Weltretter die Haare. Nun ist es mal umgekehrt. Rente mit 64, und im 6% gewerkschaftlich organisierten Frankreich droht der Weltuntergang. Soweit zum dortigen politischen Realismus. Politiker mit Standhaftigkeit sind selten, aber notwendig. Und manchmal sind eben auch Umwege notwendig.

Heidemarie Heim | Di., 21. März 2023 - 14:47

Da können wir Deutsche wohl froh sein und Hosianna singen, dass unsere Majestäten nur am schnöden Volk vorbei regieren und nicht noch am Parlament vorbei? Da kann der auf seine Partei, alle anderen Parlamentäre und dem Demokratieverständnis der Franzosen pfeifende Präsident Macron von sich geben was er will, "es hat sich geschwätzt" wie man bei den Schwaben sagt. Natürlich wird die Müllabfuhr irgendwann wieder arbeiten, aber eine Madam Le Pen und ihre Partei werden wohl nun auch die letzten Zweifler, die aus Angst um die Demokratie weniger radikal wählten abholen. Die könnten einen Besenstiel in ihrer Parteifarbe aufstellen, er würde gewählt. Gesetz hin oder her, diese Art der Macht-Ausübung empfinde wahrscheinlich nicht nur ich als äußerst fragwürdig was Gesellschaftspolitik betrifft. Aber wie Sie geehrter Herr Walter so trefflich bemerkten, an einer erneuten Wahl zum Präsidenten gehindert, (wünschenswert auch bei uns!), handelt dieser wohl nach dem Motto:" Nach mir die Sintflut" FG

Gerhard Lenz | Di., 21. März 2023 - 14:55

Er scheint angezählt, aber das dürfte ihm im Moment egal sein. Er hat sein wichtigstes Vorhaben in seiner zweiten und vermutlich letzten Amtszeit zügig durchgesetzt, ein cleverer Schachzug. Seine Partei scheint schwer beschädigt, aber die nächsten nationalen Wahlen finden erst 2027 statt. Bis dahin dürfte das Wahlvolk ihm und seiner Partei vieles verziehen haben. Für ihn spricht vor allem, dass keine Alternative in Sicht ist.
Die Franzosen haben mehrfach gezeigt, dass sie keine Le Pen als Präsidentin wollen. Melanchon mag sich zwar stark fühlen, aber überaus beliebt ist der unberechenbare Choleriker auch nicht. Seine linke Koalition ist äußerst fragil: Grüne und Sozialisten werden nicht jeden Unsinn mittragen. Und die Konservativen sind schlicht zu schwach, werden aber Macron hier und da zu Mehrheiten verhelfen.
Der wird jetzt zwangsläufig etwas nach rechts rücken, links gibt es für ihn nichts zu gewinnen. Davon abgesehen ist er sowieso wohl eher ein Wirtschaftliberaler.

Schwieriges Thema für die Ciceronen. Einerseits sympathisiert man natürlich mit einer Protestbewegung, die auch vor Gewalt nicht zurückschreckt (siehe Foto) - wenn es gegen die Regierung geht, denn Klimaaktivisten, die Kartoffelbrei einsetzen, sind bekanntlich "Terroristen".
Andererseits muss man ja zumindest ein wenig die bürgerlich-konservative Fassade aufrechterhalten, und für Leute, die stolz auf ihre Erwerbsbiographie zurückblicken und Andersdenkenden gerne vorwerfen, zu faul zum arbeiten zu sein, ist es nicht ganz so einfach, eine Rentenreform zu kritisieren, die das Renteneintrittsalter auf 64 anhebt.
Mal sehen, was hier noch so geboten wird...