Taliban in Kabul
Taliban-Kämpfer vor einer Schule in der afghanischen Hauptstadt Kabul / picture alliance

Islamismus - Pakistans verzweifelter Kampf gegen die Taliban

Nachdem die Regierung in Islamabad jahrzehntelang die Taliban in Afghanistan unterstützt hat, rüsten die Islamisten jetzt zum Kampf gegen den pakistanischen Staat. Ein offener Konflikt scheint inzwischen unvermeidlich, zumal sich Pakistan in einer beispiellosen politischen und wirtschaftlichen Krise befindet.

Autoreninfo

Kamran Bokhari ist Experte für den Mittleren Osten an der Universität von Ottawa und Analyst für den amerikanischen Thinktank Geopolitical Futures.

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Pakistan und Afghanistan können offenbar nicht koexistieren. Als konkurrierende Modelle islamischer Staatlichkeit befinden sich beide Länder in einem langfristigen Kampf um die gegenseitige Beeinflussung durch einen Prozess der ideologischen und territorialen Osmose. Pakistan, das sich in einer beispiellosen politischen und wirtschaftlichen Krise befindet, ist jetzt, da die Taliban in Afghanistan wieder an der Macht sind, besonders verwundbar. Und die Regierung in Islamabad kann ihre eigenen Taliban-Rebellen nicht besiegen, ohne ihre ehemaligen Stellvertreter auf der anderen Seite der Grenze zu bekämpfen.

Unvermeidliche Angriffe

Am 20. Dezember starteten pakistanische Sicherheitskräfte eine neunstündige Militäroperation zur Rückeroberung einer Einrichtung zur Terrorismusbekämpfung in der nordwestpakistanischen Stadt Bannu, die von Kämpfern der militanten Bewegung der pakistanischen Taliban „Tehrik-i-Taliban Pakistan“ (TTP) besetzt worden war. Vier Angehörige der Sicherheitskräfte starben, und 18 wurden verwundet, während 25 TTP-Kämpfer getötet wurden und elf sich ergaben. Dies ist nur der jüngste Vorfall im Rahmen eines starken Anstiegs der Angriffe, nachdem die TTP am 28. November ein Waffenstillstandsabkommen aufgekündigt hatte.

Auch die afghanischen Taliban haben grenzüberschreitende Angriffe auf pakistanischem Boden verübt. Der Waffenstillstand, der knapp sechs Monate andauerte, war das Ergebnis von Gesprächen zwischen pakistanischen Militärs und der TTP hinter den Kulissen und wurde von den afghanischen Taliban vermittelt. Sie folgte auf einen Anstieg der militanten Aktivitäten, nachdem die afghanischen Taliban mit dem Abzug der US-Truppen im August 2021 zurückgekehrt waren.

Anschläge waren nahezu unvermeidlich. Von 2007 bis 2015 führte die TTP einen erbitterten Aufstand gegen den pakistanischen Staat, der sich gegen wichtige Einrichtungen der Strafverfolgungsbehörden, des Militärs und des Geheimdienstes im ganzen Land richtete. Den pakistanischen Sicherheitskräften gelang es zwar, die Taliban-Rebellen zu besiegen und große Teile des Gebiets entlang der Grenze zu Afghanistan zurückzuerobern, doch kostete dies das Land 80.000 Menschenleben und 150 Milliarden US-Dollar an wirtschaftlichen Schäden. Viele TTP-Kämpfer wurden bei der pakistanischen Aufstandsbekämpfung entweder getötet oder gefangengenommen, aber viele wurden in Zufluchtsorte jenseits der Grenze gezwungen.

Komplexe politische Landschaft

Zu dieser Zeit war die politische und militante Landschaft Pakistans sehr komplex. Es war die Heimat der eigenen, pakistanischen Taliban-Rebellen und ein sicherer Zufluchtsort für afghanische (und von Pakistan unterstützte) Taliban-Aufständische, die gegen die Nato-Truppen in Afghanistan kämpften. Pakistan war auf Konfrontationskurs mit Afghanistan, weil es mit seinem historischen Rivalen Indien verbündet war – was die pakistanische Unterstützung für die afghanischen Dschihadisten erklärt. Um Islamabads Unterstützung für die afghanischen Taliban zu kontern, unterstützte Kabul wiederum die pakistanischen Taliban.

Als Pakistan erkannte, dass es die afghanischen Taliban nicht mehr kontrollieren konnte, war es bereits zu spät. Schon in den 1970er-Jahren strebte Islamabad einen Regimewechsel in Kabul an, um die seiner Ansicht nach strategische Einkreisung durch Indien im Osten und eine indienfreundliche Regierung im Westen zu durchbrechen. Afghanistan hat die Grenze zwischen den beiden Ländern nie anerkannt, und jahrzehntelang fürchteten die Pakistaner die Bedrohung durch den von Kabul unterstützten paschtunischen Ethno-Nationalismus in ihrem eigenen Nordwesten. Um dieser Bedrohung entgegenzuwirken, förderte Pakistan den Islamismus sowohl im Inland als auch im Ausland – eine Strategie, die nach der sowjetischen Militärintervention in Afghanistan im Jahr 1979 an Schwung gewann. 

Anfang der 1990er-Jahre hatte Pakistan mit massiver militärischer und finanzieller Unterstützung der Vereinigten Staaten und Saudi-Arabiens die Marxisten in Afghanistan besiegt und die linksgerichteten paschtunischen Nationalisten auf seiner Seite der Grenze geschwächt. Doch das machte die Dinge geopolitisch gesehen nur noch schlimmer: Pakistan wurde zwar nicht mehr von einem feindlichen Regime flankiert, hatte es in Afghanistan dafür aber mit einem massiven Machtvakuum zu tun, in dem islamistische Gruppierungen um die Vorherrschaft kämpften.

Als die afghanischen Taliban 1996 aus diesem Kampf als Sieger hervorgingen, glaubte Pakistan, endlich die gewünschte strategische Tiefe gegenüber Indien erreicht zu haben. Doch das Gegenteil war der Fall: Die Ideologie der Taliban gewann in Pakistan schnell an Boden, selbst als die besondere Form des internationalen Dschihadismus von al-Qaida in beiden Ländern Wurzeln schlug. Dies war nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die pakistanischen Behörden den Zustrom ausländischer Kämpfer nach Afghanistan ermöglichten, um die Macht der Taliban zu festigen.

Taliban außer Kontrolle

Der 11. September 2001 räumte jeden Zweifel daran aus, dass Pakistan in Form der Taliban einen Stellvertreter geschaffen hatte, den es nicht mehr kontrollieren konnte. Pakistans andauernde politische und wirtschaftliche Probleme wurden nur noch schlimmer, da das Land zwischen seinem Verbündeten, den Vereinigten Staaten (die es mit rund 20 Milliarden Dollar unterstützt hatten), und seinem wichtigsten islamistischen Stellvertreter, den Taliban, eingeklemmt war. Zu dem Zeitpunkt, als Washington seine Truppen aus Afghanistan abzog, war Pakistan äußerst instabil, während die Taliban von einer Stellvertretertruppe zu einem wichtigen nationalen Sicherheitsproblem geworden waren. Dies war die natürliche Folge einer Strategie, die darauf abzielte, nichtstaatliche Statthalter zu kultivieren, deren Ideologie die nationale Identität und das Narrativ des Patronatsstaates in Frage stellte.

 

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Ein mindestens ebenso großes Problem für Pakistan besteht darin, dass die Taliban nicht mehr nur eine Sicherheitsbedrohung darstellen; das neue afghanische Taliban-Regime agiert noch dazu als Modell für eine islamische Staatsführung. Das macht es zu einem Konkurrenten der pakistanischen islamischen Republik, die auf der Basis des muslimischen Nationalismus gegründet wurde und sich zu einer Mischung aus militärischem Autoritarismus, demokratischer Politik und Islamismus entwickelt hat. Pakistans Problem mit dem religiösen Extremismus rührt daher, dass es in dem Land ein breites Spektrum islamistischer Gruppierungen gibt, die seit langem versuchen, den Staat nach theokratischen Grundsätzen umzugestalten.

Und jetzt, da die afghanischen Taliban ihr Emirat wiedererrichtet haben, fühlen sich islamistische Kräfte in Pakistan ermutigt, ihre eigenen ideologischen Ziele zu erreichen. Die pakistanischen Taliban TTP sind in diesem Kontext die gefährlichste dieser Gruppierungen, da sie eine Erweiterung der ursprünglichen afghanischen Taliban-Bewegung ist. Außerdem verfügt sie über umfangreiche Erfahrungen bei der Kontrolle großer Gebiete auf der pakistanischen Seite der Grenze. Angesichts der Schwäche der pakistanischen Regierung und mit Unterstützung der afghanischen Taliban rüstet sich die TTP für einen großen Feldzug gegen den Staat.

Auch in der nordwestpakistanischen Provinz Khyber-Pakhtunkhwa herrschen ähnliche Bedingungen wie vor dem ersten Aufstand der TTP in den späten 2000er-Jahren. Damals profitierten die pakistanischen Taliban von der Tatsache, dass ein Bündnis islamistischer Parteien die Provinz fünf Jahre lang regierte. Heute taucht die TTP in demselben Gebiet wieder auf, nachdem die PTI-Partei von Oppositionsführer Imran Khan die Provinz ein Jahrzehnt lang regiert hat. Obwohl es sich bei Khans PTI nicht um eine islamistische Gruppierung handelt, hat sie sich aufgrund ihrer eigenen rechtsgerichteten religiös-nationalistischen Tendenz für eine weiche Haltung gegenüber den Taliban-Rebellen und ihrer in Afghanistan herrschenden Mutterorganisation eingesetzt.

Falsches Kalkül

Die Methode der pakistanischen Regierung im Umgang mit der TTP bestand darin, sich auf die afghanischen Taliban zu verlassen, um die Gruppe zu bändigen. Doch die afghanischen Taliban haben weder die Fähigkeit noch den Willen, die TTP von Angriffen auf den pakistanischen Staat abzuhalten. Pakistan hatte gehofft, wenn es den afghanischen Taliban zu internationaler Anerkennung verhelfen würde, würden sie aufhören, Pakistan anzugreifen. Das ist aber unmöglich, denn es gibt einfach zu viele enge stammesbezogene, ethnische, ideologische, politische und wirtschaftliche Interessen, die die beiden Länder miteinander verbinden.

Schlimmer noch für Pakistan ist, dass die afghanischen Taliban keinen Grund haben, einige ihrer extremistischen Elemente einzudämmen, denn sie sehen sich auch einer Herausforderung ihrer Macht durch eine transnationale dschihadistische Bewegung namens „Islamischer Staat/Provinz Khorasan“ (ISKP) gegenüber. Die ISKP hat das Chaos des US-Abzugs genutzt, um ihr eigenes Kalifat wieder zu errichten, und betreibt eine umfangreiche Kampagne, um die afghanischen Taliban als eine falsche dschihadistische Bewegung darzustellen, wobei sie das interne Tauziehen der Gruppe zwischen Pragmatismus und ideologischer Reinheit ausnutzt. Unter diesen Umständen kann das afghanische Taliban-Regime nicht riskieren, der TTP einen Maulkorb zu verpassen, da dies ihren islamischen Leumund untergraben und sie anfällig für Anschuldigungen und Abspaltungen machen würde.

Darüber hinaus haben die afghanischen Taliban ein Interesse daran, den afghanischen Nationalismus zu fördern, um dem Verdacht ihrer Untertanen entgegenzuwirken, sie seien nichts weiter als Lakaien Pakistans. Aus diesem Grund weigern sie sich wie ihre Vorgänger, die internationale Grenze ihres Landes zu Pakistan anzuerkennen.

Schließlich war es bisher das Ziel der seit langem von Fraktionskämpfen geprägten afghanischen Taliban, interne Probleme zu vermeiden. Sie wissen jedoch, dass sie nicht darauf hoffen können, ihr Emirat neben der pakistanischen Republik zu behalten, dessen langfristiger Einfluss ihre Machtposition untergraben könnte. Es liegt daher in ihrem Interesse, eine Art Puffer in den mehrheitlich paschtunischen Gebieten in Westpakistan zu haben.

Offener Konflikt unvermeidlich

Eine TTP-Präsenz dort könnte das Taliban-Regime zwar vom pakistanischen Staat isolieren, doch steht dies im Widerspruch zu den pakistanischen Zielen der strategischen Tiefe. Es würde die Regierung anfällig für weitere militante Angriffe und, was ebenso wichtig ist, gegenüber einem immer mächtigeren Indien verwundbar machen.

Die Pakistaner sind sich der Grenzen der Zusammenarbeit bewusst und haben daher bereits damit begonnen, grenzüberschreitende Angriffe gegen Einrichtungen der TTP in Ostafghanistan durchzuführen. Dadurch wird Pakistan langsam aber sicher näher an einen offenen Kampf mit seinem langjährigen Stellvertreter herangeführt. Natürlich würde Islamabad einen solchen Konflikt vermeiden wollen. Aber die geopolitischen Realitäten lassen selten Raum für subjektive Präferenzen.

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Romuald Veselic | Mo., 26. Dezember 2022 - 19:42

Fazit: Islam kann alles, nur keinen Frieden schaffen. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Meinem Wissen nach, wird China es nie zulassen, dass sich politischer Status quo in Pakistan je ändern wird. Daraus kann man ablenken, dass der Umgang in China m Uiguren, hier ihren Grund hat. Was nur die "Westler" nicht "verstehen" können.

Es reicht, wenn nur ein chinesischer Ingenieur/Arbeiter in Pakistan "versehentlich" getötet werden sollte, dann haben Taliban einen sehr bösen Feind vor sich, den man mit Sowjets, Amis/Briten u der Rest der Welt, nicht weiter vergleichen kann.

Die Zukunft ist/wird spannender als die "Klimarettung" nach westlichem Gusto.
?

Christoph Kuhlmann | Di., 27. Dezember 2022 - 06:11

Am besten der Westen hält sich raus. Mir reichen die komplexen politischen Strukturen Europas.

Ernst-Günther Konrad | Di., 27. Dezember 2022 - 08:25

Grundsätzlich könnte man die Meinung vertreten, solange die sich untereinander massakrieren, soll es uns egal sein. Doch das wäre es sich zu einfach gemacht. Mich würde interessieren, wer diese Taliban, egal in welchem Land mit Waffen und Munition versorgt? Tja, erst unterstützt Pakistan die Taliban und nun sind selbst an der Reihe. Das könnte man klassisch aufs falsche Pferd gesetzt nennen. Und das alles letztlich nur deshalb, weil die einen meinen, den "wahren" Islam zu vertreten und zu leben. Könnte mir jemand einen islamischen Staat nennen, wo totaler Frieden herrscht und keine Auseinandersetzungen zwischen islamischen Glaubensrichtungen? Mir fällt nichts ein.

Django Reinhardt | Di., 27. Dezember 2022 - 19:13

"Die Geister die ich rief ...-"
Der Hindukusch ist ein pestiges Gewaltnest, Hände davon. Wer kann da Frieden und Ruhe bringen und mit welchen Methoden? Müssen die Chinesen mal ran? Die haben doch eine gemeinsame Grenze mit den Taliban!