Wolf Biermann
Niemand würde ihn je für einen Pazifisten halten: Wolf Biermann / dpa

Wolf Biermann - Wann wird er je verstehn?

Wolf Biermann ist ein schlecht gealtertes Requisit, das sich in drolligen Rebellionsposen räkelt. Ein Interview, das der Liedermacher jüngst der „Zeit“ gegeben hat, sagt viel aus über die narzisstische Kriegsbegeisterung gelangweilter Deutscher.

Ulrich Thiele

Autoreninfo

Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Am Ende von Daniel Kehlmanns „Die Vermessung der Welt“ will der gealterte Alexander von Humboldt noch einmal an seine glorreichen Zeiten anknüpfen, als er in Mittel- und Südamerika Vulkane bestieg, in Höhlen kroch und nach der Verbindung des Orinoko mit dem Amazonas suchte. Doch die Expedition nach Russland entpuppt sich als Reinfall: Anders als in Südamerika ist er nicht frei und unabhängig. Der Zar, der die Reise finanziert, bestimmt die Reiseroute und stellt Humboldt unter Aufsicht. Humboldt wird zwar im ganzen Land als Berühmtheit gefeiert und als Symbolfigur von Empfang zu Empfang herumgereicht, doch die Technik hat ihn längst überholt – entsprechend nehmen seine Begleiter seine unpräzisen Messungen nicht ernst, sondern belächeln ihn und klopfen ihm auf die Schulter, wie einem Kind, dem man seine Illusion lassen will.

Nun sind die Überschneidungen zwischen Wolf Biermann und Alexander von Humboldt natürlich schwindend gering, doch wenn ich Regierungsveranstaltungen mit Biermann sehe, muss ich immer an Humboldts schulterklopfende Begleiter denken: „Ja, echt doll, Wolf, wie du vor 50 Jahren ausgebürgert wurdest – und jetzt bitte für die Kamera noch einmal den Regierungskurs loben.“

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Günter Johannsen | Mi., 2. November 2022 - 15:29

den ein Linker SED-Erben-Sympathisant hätte schreiben können! Auch hier werden die Erfahrungen der leidtragenden Ossis mit ins Lächerliche gezogen. Das steckt doch dahinter, oder: Der von den SED-Bonzen gehasste Biermann krieg jetzt noch schnell einen mit?
Ich jedenfalls habe mich sehr verstanden gefühlt und finde es heute noch phantastisch, wie Wolf Biermann die SED-Erben und Luxus-Kommunisten mit nur einem ausgewählt formulierten Ausdruck "elender Rest dessen, was zum Glück überwunden wurde" vorführte und zur schamvollen Weißglut brachte. Exzellent!

Da muss Ihr so sorgsam zusammengefügtes Weltbild aber ins Schwimmen kommen!

Auch für Sie, da muss ich mir nur Ihre Kommentare ansehen, ist doch mittlerweile jeder, der links der AfD steht, mindestens ein potentieller Kommunist.

Wolf Biermann nimmt sich jedoch die Freiheit, nicht nur die Linke, sondern auch die rechtsextreme AfD einschliesslich ihrer Bodentruppen (Pegida usw.) zu kritisieren.

Zum Beispiel meinte er: "Wer die Nazi-Zeit einen Vogelschiss nennt, ist ein Verbrecher"
https://www.dw.com/de/wolf-biermann-wer-die-nazi-zeit-einen-vogelschiss…

Bekommt er jetzt auch von Ihnen den "roten Stern" verliehen?

Ein "elender Rest dessen, was zum Glück überwunden wurde", betreffend wohl einen erklecklichen Teil der damaligen PDS, finde ich auch gut, Herr Johannsen.
Aber als lange überzeugter Ganzlinker habe ich nach dem Durchschauen dieser faktenunbasierten Beglückungsideologie auch schnell gespürt, woher der Wind bei manch allzu eifrigen Kritiker:innen des "Staatskapitalismus" wehte: sich anwanzen an die westlich-privatkapitalistische Ideologie und sich im Lob samt Kohle dafür suhlen - Gestalten, die mich nie überzeugten.
Auch etliche SPD-Altlinke genießen immer noch den "Ruhm" aus ihren Apozeiten, auf gutdotierten Posten in Unis, Parteigremien und anderen Zivil-Institutionen, deren es zuhauf gibt, wie im Cicero jüngst berichtet.
Und warum ein junger Mensch sich über so einen deutlichst selbstverliebten Boudoir-Revoluzzer mit Grassbart nicht lustig machen darf, der sich seinerseits vor keiner Schmähung und keiner revanchistischen Entgleisung scheut, müsste mir schon mal genauer erklärt werden.

Bernd Windisch | Mi., 2. November 2022 - 15:43

Wolf Biermann geht es nur um Wolf Biermann. Das trifft den Nagel auf den Kopf!

Dieses aktuelle Zitat Wolf Biermanns: „Ich komme aus dem Krieg, „und bin am Ende meines Lebens wieder im Krieg gelandet“ zeigt die ganze banale Ichbezogenheit dieses selbstverliebten Wichtigtuers.

Biermann sitzt aktuell nicht im Krieg sondern warm und weich auf seiner Couch und singen kann er auch nicht.

Han Hube | Mi., 2. November 2022 - 15:48

Wann kommt sie endlich, die ‚ Deutsche Fremdenlegion‘ - man darf sie von mir aus auch Condor, Gummiente oder Wotansbrigade nennen - egal, Hauptsache die Biermänner unseres Schlandes können sich endlich vor Ort min Begleitung von S-Z und Typen wie dieser ‚Journalistin‘ in den Kugelhagel begeben und das Dulc‘et decorum est pro patria mori am eigenen Leib erfahren ….

Hans Süßenguth-Großmann | Mi., 2. November 2022 - 15:51

geschwiegen, wäre er ein Weiser geblieben, aber man hätte nicht gewusst, dass er noch lebt.
Ich frage mich nur wie wollen wir wieder von dem Baum runterkommen, wenn der Krieg nicht mit Selenski Sieges Parade in Moskau enden soll und der böse Russe noch weiter existiert? Wenn man mit ihm sogar reden müsste um "unseren" grünen Wasserstoff aus Kasachstan nach Deutschland zu bekommen?

Walter Bühler | Mi., 2. November 2022 - 16:01

... und ein guter Gitarrist, wenigstens nach meinem Geschmack.

Er war in seiner Jugend ein veritabler Kommunist, und zwar einer, der Stalin verehrt hat, und als braver Kommunist pazifistische Schlappschwänze nur verachten konnte.

Jetzt ist er - wenigstens soweit ich weiß - kein Kommunist mehr, aber pazifistische Schlappschwänze verachtet er immer noch, obwohl er nach wie vor selbst keine militärische Heldentat vollbracht hat.

Früher hat er für die Weltrevolution gesungen und sich für die Knarre in der Hand Guevaras begeistert, jetzt feiert er halt statt der revolutionären Gewalt die imperialistische Gewalt, weil diese ja in seinen Augen heute für das Gute in der Welt kämpft.

Abgesehen vom Drumherum ist er also in der Frage der Gewalt ganz der Alte und sich selbst ganz treu geblieben.

Troubadix wird auch weiterhin seine aktiv kämpfenden Helden Asterix, Obelix usw. feiern und seinen künstlerischen Senf über ihr Heldentum gießen.

Nun ja, das ist eine uralte Kulturpraxis.

Dorothee Sehrt-Irrek | Mi., 2. November 2022 - 16:47

noch nie besonders gut leiden und höre auch lieber Herrn Drewermann zu, aber ist das ein Grund, ihn so zu "verreißen"?
Vom Bild her wirken Sie auf mich noch recht jung, Herr Thiele.
Herr Biermann kann auf ein bewegtes Leben zurückschauen.
Seine Haltung wird nicht von ungefähr kommen.
Eigentlich schreibe ich es mehr zu mir/für mich:
Es ist nicht gut, eine in gewisser weise verdiente Figur der Zeitgeschichte, wie Herrn Biermann, irgendwie "lächerlich" zu machen.
Ich glaube nicht, dass er wirklich "drollig" wäre.
Ich versuche evtl. "Animositäten" gegenüber Menschen so zu entgehen, dass ich Respekt zeige und mich ansonsten mit Menschen befasse, die mir mehr zusagen.
Das passt evtl. auch besser zu der Bürde, die Pazifisten bereit sein müssen zu tragen?
Überlege jeder selbst, ob er bei Herrn Biermann miteinstimmt.
Frieden ist der Weg, sagt Herr Drewermann in Konstanz oder Koblenz?
Und meine Sicherheit ist auch die Sicherheit des Anderen.
Hoffentlich hört das auch Putin.
Mut zum Frieden

Andre Möller | Mi., 2. November 2022 - 17:18

Biermann wurde schon immer überschätzt. Ich finde es sehr lobenswert, dass sich im Cicero Texte finden, die das Anlegen doppelter Standards im westlichen politischen und kulturellen Handeln thematisieren. Es ist die vielleicht offenste Flanke des Westens. Und einer der Gründe, warum er sich in der Defensive befindet. Er sollte sich wieder auf seine Tugenden besinnen: darunter Rationalität und technischer Fortschritt, dann braucht man seine Gegner auch nicht mehr zu dämonisieren.

Enka Hein | Mi., 2. November 2022 - 17:43

...habe ich damals schon nicht verstanden.
Vielleicht war ihm das 20 Millionenpublikum nicht mehr genug und zahlungskräftig.
Um mit Insterburg und Co. zu sprechen:
"Da wurde es mir in DDR zu klein,
drum zog es mich rüber in die BRD hinein."
Also neues Zielpublikum mit 60 Millionen. Und zahlungskräftiger.
Böll als Promotor. Und die 68er und Nachkommen hatten ihren sozialistischen Barden für sich.
Früher wie heute Stelle ich die Frage: Wer ist Biermann?
Völlig über bewertet, die Antwort.

Gerhard Schwedes | Mi., 2. November 2022 - 20:26

Wenn man diesen Artikel liest, fragt man sich, wie sich ein solch arroganter, despektierlicher Schwachsinn in den Cicero verirren konnte. Übrigens sind die meisten der Kommentare in ihrer Widerwärtigkeit als geradezu kongeniale Anhängseln zu dem Artikel zu verstehen. Einige der Kommentatoren sollten sich für ihre Worte schämen.

Lutz Friedl | Do., 3. November 2022 - 00:05

In meiner Jugend fand ich seine politischen Balladen und seinen Mut , die sozialistische Diktatur mit ihren Auswüchsen zu kritisieren ,sehr überzeugend. Die undifferenzierte Meinung zum Ukraine Krieg , den unverständlichen Bellizismus , den er mit vielen sogenannten Linken und Grünen teilt und das unerklärliche Verständnis für die völkerrechtswidrigen Angriffskriege. der USA in den letzten 25 Jahren ,haben mich jedoch sehr enttäuscht.

Wilhelm Herbst | Do., 3. November 2022 - 02:38

Da wird jemand in Gänze zerpflückt werden und abqualifiziert. Es fehlt der Respekt. Wenn der da ist, kann man genau so sachlich seine Sicht darlegen, muss aber nicht auf jemanden steigen, den man vorher rhetorisch niedergestreckt hat. Das ist gar nicht pazifistisch. Es stellt sich die Frage, was dahinter steckt. Die Ablehnung der militärischen und politischen Unterstützung der Ukraine und die Favorisierung einer vielleicht die Zustände zementierende Waffenstillstandsverhandlung mit Putin jetzt? Argumente dafür gibt es ja, auch Gegenargumente. Der Grundton dieses Beitrages zerstört die faire Debattenkultur. Jesus sagt: Liebt eure Feinde! wird man von dieser Überzeugung gezügelt, gelingt wieder Respekt und Sachargumente gewinnen an Gewicht. Lassen wir allein die Argumente zählen! Das ist intellektuell redlicher.

Ernst-Günther Konrad | Do., 3. November 2022 - 07:55

Antwort auf von Wilhelm Herbst

Über das Wirken von Wolf Biermann während seiner Zeit in der DDR mögen die Bürger aus dem Osten urteilen. Er hat sicherlich seine Vergangenheit, für die er selbst verantwortlich ist. Er hat vielen Mut gemacht in der Zeit der SED Diktatur, so wie es Herr Johannsen beschreibt. Dass er der Zeit im Interview seine Sicht der Dinge erzählt und politisch bewertet muss man nicht teilen, ich tue das auch nicht in allen Punkten, aber auch er hat das Recht seine Meinung kund zu tun. Mit dem Grundton dieses Artikels haben Sie Herr Thiele aus meiner Sicht völlig überzogen. Man kann einige seiner Aussagen mit recht kritisieren, aber sachlich überzeugen geht meiner Meinung nach anders.

Elfriede Puhvogel | Do., 3. November 2022 - 21:11

Aufgewachsen zwischen den Kriegen in einer zerrissenen Gesellschaft, die den Kommunismus und Nationalsozialismus hervorbrachte, gespalten wurde, und mit und am Nationalsozialismus zerbrach.
Die Eltern Kommunisten, der Vater im KZ umgekommen.
W. Biermann dann in den frühen 50zigern aus Hamburg in die DDR übergesiedelt, um dort den Sozialismus aufzubauen und "Rache" für seinen Vater zu üben.
Er ist einer der vielen Menschen mit einer brüchigen, tragischen Lebensgeschichte. Wie so viele aus dieser Zeit.
Auf mich wirkt er nun eher etwas verloren, heimatlos und ratlos im Nebel.