Die bulgarische Nationalversammlung in Sofia
Die bulgarische Nationalversammlung in Sofia / picture alliance

Bulgariens neues Parlament - Eine Menschenversammlung des würdelosen Scheiterns

Die neugewählte Volksversammlung scheiterte am Mittwoch auch im zweiten Wahlgang darin, ihren Parlamentsvorsitz zu wählen. Doch mit der Verabschiedung des Staatshaushaltes und dem möglichen Beitritt in den Schengen-Raum stehen für Bulgarien bereits wegweisende Entscheidungen unmittelbar vor der Tür. Inmitten einer Zeit, in der sich die politische Klasse abermals in einer tiefen Krise befindet.

Autoreninfo

Frank Stier ist Korrespondent für Südosteuropa und lebt in der bulgarischen Hauptstadt Sofia.

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Déjà-vu: Am Donnerstagmorgen versammelten sich die neugewählten Abgeordneten der 48. Bulgarischen Volksversammlung, um ihren Parlamentsvorsitz zu wählen – genau wie am Tag zuvor. Denn bei ihrer achtstündigen Konstituierenden Sitzung am Mittwoch war es den sieben Parlamentsfraktionen in zwei Wahlgängen mit fünf männlichen Kandidaten nicht gelungen, sich auf einen Präsidenten zu verständigen. Schließlich ging auch der donnerstägliche Sitzungstag aus wie das Hornberger Schießen. Das Scheitern ist ein Symptom dafür, dass das neue Parlament an seiner alten Schwäche laboriert: Bulgariens politische Klasse ist heillos zerstritten.

Viele Bulgaren verstehen den über dem Paradeeingang des schmucken weißgetünchten Parlamentsgebäudes eingemeißelten Sinnspruch „In der Einheit liegt die Kraft“ nurmehr ironisch. Über 60 Prozent von ihnen sind am Tag der Parlamentswahl Anfang Oktober lieber in die Pilze gegangen oder ins Kino anstatt zur Wahlurne zu schreiten. Bei Meinungsumfragen erhält Bulgariens Legislative traditionell die niedrigsten Popularitätswerte aller staatlichen Institutionen, unterboten für gewöhnlich nur noch von der Judikative. Der destruktive Start des Parlaments in seine neue Legislaturperiode dürfte seinen Absturz in der Sympathie der Bevölkerung beschleunigen.

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Walter Bühler | Do., 20. Oktober 2022 - 18:15

... und auf die kern-europäischen Parteiendemokratien! Sind die Unterschiede zum bulgarischem Parlament wirklich noch so groß?

Wenn die bulgarischen Parlamentarier noch ein wenig warten, werden sie bestimmt von den kern-europäischen Parlamenten bald eingeholt.

Also nur Geduld! Bald sind alle gleich. So oder so.

„Das Parlament macht für mich den Eindruck eines von betrunkenen Piloten geflogenen Flugzeugs in Turbulenzen.”

Bald dürfen die bulgarischen Bauern ihr sexuelles Geschlecht selbst bestimmen und endlich Rauschgift anbauen. Das schaffen die auch noch, wie der Bundestag.

Sie gelingt immer, und zwar todsicher auf dem niedrigsten Niveau!
Ob es sich um die Vereinheitlichung der Leistungsanforderungen in den Schulen in Deutschland oder um die Anpassung der politischen Verhältnisse in Europa handelt - man endet immer dort, wo es am wenigsten Mühe kostet!
Wozu sich anstrengen und bestimmte, harte Bedingungen erfüllen, wenn es auch leichter geht innerhalb einer Gesellschaft bzw. Gemeinschaft?
Man übernimmt einfach die Maßstäbe dessen, der es sich am leichtesten macht und sich einen Dreck kümmert um Qualitätsstandards, demokratische Prinzipien, Recht und Gesetze. Es reicht doch, wenn es „irgendwie“ läuft und genügend Leute ihre Geschäfte machen können!
Oder?

Sabine Jung | Do., 20. Oktober 2022 - 20:45

dass viel Deutsche genau nach Bulgarien ausreisen wollen, also weg von Deutschland,
am Ende wird alles so wie hier in Deutschland....

Gerhard Lenz | Fr., 21. Oktober 2022 - 11:18

Antwort auf von Sabine Jung

Da stimme ich Ihnen zu. Denn unter den Ausreisenden sind besonders viele Covidioten, die meinen, sie könnten in Bulgarien so völlig frei von irgendwelchen Regeln und weitgehend nach eigener Facon leben.

Da wo die sich ansiedeln, wird Bulgarien Teilen Dunkeldeutschlands in der Tat immer ähnlicher.

Christa Wallau | Fr., 21. Oktober 2022 - 07:25

dürfte bald das Schicksal der gesamten EU sein, wie Herr Bühler richtig prognostiziert.
Das als „Friedensprojekt“ in höchsten Tönen angepriesene Unterfangen ist seit langem nämlich nur noch auf Sand gebaut. Spätestens mit der Aufnahme Griechenlands in die EU begann der Verrat an den Grundsätzen bzw. -werten dieser ehemals vernünftigen, soliden Wirtschaftsunion. Mit der Einführung des Euros ging‘s - trotz der wirtschaftlichen Schein-Blütezeit - nur noch bergab. Alle Verträge wurden gebrochen! Fortan nahmen faktisch Lobbyisten und die EZB das Heft des Handelns allein in die Hand, während sich das lächerliche, sündhaft teure EU-Parlament um „Probleme“ wie Gurkenkrümmung und
Gender-Gedöns kümmerte.
Europa ist längst zum Spielball zwischen den Interessen der USA, Russlands und - vor allem - Chinas geworden. Die meisten Menschen in Deutschland merken es nur noch nicht. Die katastrophalen wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Krieges dürften der „Luftnummer EU“ den endgültigen Garaus machen.