Porträt Francis Fukuyama
Francis Fukuyama / dpa

Interview mit Francis Fukuyama - „Identitätspolitik diskreditiert den Liberalismus“

Mit seiner These vom „Ende der Geschichte“ wurde der amerikanische Politologe Francis Fukuyama nach 1989 zu einem der wichtigsten Vordenker der freiheitlichen Gesellschaft. Anlässlich seines aktuellen Buches „Der Liberalismus und seine Feinde“ sprach er mit Cicero über die Krise des Westens, Wladimir Putin und die Gefahren von rechtem Nationalismus und linker Identitätspolitik.

Ralf Hanselle / Antje Berghäuser

Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

So erreichen Sie Ralf Hanselle:

Francis Fukuyama wurde 1952 in Chicago geboren. Er studierte Politikwissenschaft in Harvard. Sein 1992 veröffentlichter Bestseller Das Ende der Geschichte machte ihn international bekannt. Fukuyama ist einer der bedeutendsten politischen Theoretiker der Gegenwart. Er lehrte an der Johns-Hopkins-Universität, erhielt 2015 den Johan-Skytte-Preis und hat zahlreiche Bücher zur US-Politik veröffentlicht. Derzeit ist er Professor für Politikwissenschaft an der Stanford-Universität.

Herr Fukuyama, als Sie vor ziemlich genau 30 Jahren mit ihrer berühmten These vom „Ende der Geschichte“ von sich reden machten, hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass ich mit ihnen einmal über Karl Popper reden würde.

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Ernst-Günther Konrad | Fr., 7. Oktober 2022 - 09:43

"Während der Liberalismus nämlich davon ausgeht, dass es universelle Werte gibt, behauptet der Nationalismus, dass jede Kultur unterschiedlich ist und das keine Kultur das Recht habe, einer anderen Kultur ihre Werte aufzudrücken." Was an dieser Tatsache ist da falsch? Es gibt Kulturen, die sind durchaus begrenzt miteinander kompatibel, eben aber auch solche, die aufgrund ihrer Historie und ihr Religion sich allenfalls gegenseitig respektieren können, aber niemals die gleichen Werte miteinander teilen werden. Liberalität ist sicher ein Gedanke, der für eine Demokratie eine Säule sein kann, es braucht aber auch eine Bevölkerung, die das verinnerlicht hat und Politiker, die eben nicht ideologisch, sondern am liberal denkenden Bürger orientieren handeln. Wo sind diese Politiker bei uns? Die Politik hat sich vielerorts den Staat zur Beute gemacht verfolgt einzig und allein den Erhalt des eigenen Machtapparates, ob in China oder in D. Es gab mal eine liberale Partei, die ist jetzt links.

... Hr. Konrad, daß Fukuyama Liberalismus und Nationalismus falsch versteht?Nationalismus beinhaltet universelle Werte wie Familie, Liebe und Nächstenliebe, Toleranz und Respekt um nur einige zu nennen.
Wenn der Nationalismus die kulturellen Unterschiede hervorhebt und respektiert und der Liberalismus dies negieren sollte, was ich mir gar nicht vorstellen kann, wo wäre der Liberalismus da anders als der Kollektivismus roter, grüner oder brauner Machart?
Liberalismus ist die Idee der individuellen Freiheit des Individuums und das schließt nicht aus sich einer Gemeinschaft, einer Volkszugehörigkeit, einer Nation verbunden zu fühlen. Nur diese kann auch auch im Gesellschaftsvertrag die liberalen Rechte aller schützen.

Ernst-Günther Konrad | Sa., 8. Oktober 2022 - 07:46

Antwort auf von Tomas Poth

Ja Herr Poth, dass könnte man durchaus so sehen. Inzwischen wird der Begriff Nationalismus nur mit Hitlers widerlichem Herrenmenschendenken, Krieg, Elend, Verfolgung von bestimmten Volksgruppen und Ethnien, Folter und Vertreibung gesehen. Das es aber auch eine "gesunde" Form des Nationalismus geben könnte, so wie Sie einige Parameter beschrieben haben, eben nicht mit der Höherstellung der Deutschen an sich gegenüber anderen Völkern, sondern mit dem Respekt vor dem anders sein bei gleichzeitigem Selbstverständnis für die eigene Nation soll nicht gedacht werden. Nationalismus=Nazi, auf diese kurze Formel wird es gebracht. Wenn Biden oder Trump postulieren "American first" , einige Präsidenten ihr eigenes Volk und Werte als Maßstab für andere nutzen und gar in diese Länder kriegerisch einfallen, weil dort autoritär gelebt wird, ist diese Form von Denken was? Richtig. Weltenrettung, Wertevermittlung, Rettung des jeweiligen Volkes, so wird uns das verkauft. Nationalisten sind immer andere.

Frieda Frey | Fr., 7. Oktober 2022 - 11:23

"Die Angst ist groß, als reaktionär und rechts gebrandmarkt zu werden, wenn man in solchen Fällen die Stimme erhebt."

Die meisten Menschen schließen sich am liebsten der Mehrheit an, weil man dann nicht nachdenken oder sich erklären muss (siehe Geschichte). Die dünne Luft und Einsamkeit, die wirklicher Liberalismus mit sich bringen kann, ist halt nicht jedermanns Sache. Ich bin mir auch nicht sicher, ob die Gefahr für unsere Freiheit überhaupt erkannt wird - schließlich bedienen sich Medien und Politik sehr gerne des Instruments der Brandmarkung bei unangenehmen Meinungen, Gedankengängen und Fakten. Wahrscheinlich geht's uns auch einfach zu gut - wir leben dekadent und bleiben infantil und glauben ein Recht darauf zu haben. Wir ahnen gar nicht, wie zerbrechlich unsere Freiheit in Wirklichkeit ist.

Arne Zinner | Fr., 7. Oktober 2022 - 11:34

nicht it's sondern its.. Gut, behalten Sie's für sich.

Wolfgang Z. Keller | Fr., 7. Oktober 2022 - 13:58

... an Ihrem Zitierten ist auch m. E. nichts falsch.
Was aber - ebenfalls m. E. - NICHT stimmt, ist die Vorstellung, dass der Liberalismus aus sich selbst heraus immer liberal ist. Es ist - da stütze ich mich gerne auf Marxens Ökonomiekritik des Kapitalismus (und NUR auf die, ohne seine politischen Erlösungs-Träumereien) - Ideologie und Instrument des aufstrebenden Bürgertums (gewesen), gegen die autoritäre, mit x-erlei Grenzen, Gesetzen und Verordnungen den Fortschritt behindernde Herrschaft von Adel und Klerus samt deren "gottgegebenen" Normierungen.
Und, wie schon zweimal im ganz großen Maßstab geschehen und davor, zwischendurch und danach hundertfach im kleineren, regionalen: wenn´s mit Liberalität nicht mehr weitergeht, weil die jeweilige Marktausdehnung der Konkurrenten an ihre Grenzen stößt und die Ressourcen knapp werden, muss die vom System her zwingend anstehende Machtneuordnung "mit anderen Mitteln" (Clausewitz) ausgefochten (sic!) werden. Da ist 1.-x Schluss mit Liberalität

Markus Michaelis | Fr., 7. Oktober 2022 - 14:12

Liberaler bin ich denke ich auch in vielem, aber das scheinen mir eher gewisse Prinzipien - kein dichtes Netz an Normen, das eine ganze Gesellschaft definiert. Eine Gesellschaft kann viele Freiheiten lassen, muss aber immer auch tausende Festlegungen treffen, die man so oder so machen kann, aber nicht alles zusammen.

Ich kann etwa unter Familie biologische Eltern und Kinder verstehen, die ein Leben lang verbunden bleiben oder große Gruppen, die Kinder herumreichen, ohne feste Partnerschaften. Eine Gesellschaft muss nicht genau das festlegen, aber sie legt immer tausende solcher Dinge fest, fördert das eine, unterdrückt eher das andere.

(Fast?) alle Gesellschaften sind vollkommen "vernagelt", dass man nur das gerade Gültige überhaupt als Möglichkeit sieht - man nennt das Leitkultur. Nur weil es "vernagelt" ist, ist es nicht schlecht, sondern die "Sicherheit", die Menschen meist suchen. Die Welt wird heute insgesamt konformer, ja, aber das ist auch nicht nur gut. Nationen könnten ...

Christa Wallau | So., 9. Oktober 2022 - 11:51

Für mich ist dieser US-amerikanisch Politologe nicht mehr sehr glaubwürdig, seit er 1989 behauptet hat, daß wir am "Ende der Geschichte" angelangt seien.
In den letzten Jahren haben wir keineswegs das Voranschreiten der liberalen Demokratien erlebt, sondern - im Gegenteil - eine Verstärkung der totalitären Systeme, z. B. in China. Auch die weltweit bewußt von der Pharma-Industrie gesteuerte Angst vor Corona ist kein Zeichen eines Sieges des Liberalismus, sondern der zentral gesteuerten Herrschaft des Kapitals über die Menschheit.
Der aktuelle Krieg in der Ukraine beweist erst recht, daß es kein Ende der "alten" Geschichte gibt.
Da der Mensch als solcher sich immer gleich bleibt, wird sich auch seine Geschichte nicht
ändern, so wünschenswert dies wäre.