Die Gräber von armenischen Soldaten, die im Herbst im Krieg mit Aserbaidschan um die Konfliktregion Berg-Karabach gestorben sind / dpa

Armenien und Aserbaidschan - Kämpfe in Berg-Karabach: Ein seit langem schwelender Konflikt

Die Wurzeln der jüngsten Zusammenstöße zwischen Aserbaidschan und Armenien reichen Jahrzehnte zurück. Alles begann mit ethnischen Armeniern, die in einer mehrheitlich armenischen Enklave in der Aserbaidschanischen Sozialistischen Sowjetrepublik lebten, und die Abtretung des Gebiets an Armenien forderten. Kurz nach der russischen Invasion in der Ukraine eskalierten die Feindseligkeiten in und um das abtrünnige Berg-Karabach erneut.

Autoreninfo

Antonia Colibasanu ist Analystin bei Geopolitical Futures und Dozentin an der rumänischen National Defence University mit Sitz in Bukarest.

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Am späten Montagabend kam es diese Woche zu schweren Zusammenstößen zwischen Armenien und Aserbaidschan entlang ihrer gemeinsamen Grenze. Beide Länder warfen sich gegenseitig vor, die Kämpfe angezettelt zu haben. Kurz nach Beginn der Scharmützel telefonierte der armenische Premierminister Nikol Pashinyan mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, wandte sich an die Vereinten Nationen und forderte eine Reaktion der internationalen Gemeinschaft: Da Baku ein Gebiet angegriffen habe, das international als Teil Armeniens anerkannt sei, werde sich Eriwan auf Artikel 4 der von Russland geführten Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) berufen. Nach diesem Artikel müssen die OVKS-Mitgliedstaaten einem anderen Mitglied, das angegriffen wird, zu Hilfe kommen. 

Im Januar berief sich der kasachische Präsident Kassym-Jomart Tokajew auf dieselbe Klausel und bat Russland um militärische Unterstützung, nachdem in seinem Land regierungsfeindliche Unruhen ausgebrochen waren. Bei den armenisch-aserbaidschanischen Zusammenstößen hat Moskau keine militärische Unterstützung geschickt, aber am Dienstag erklärt, dass es einen Waffenstillstand vermittelt hat (was von beiden Seiten noch nicht bestätigt wurde). Die USA und die EU haben unterdessen zur Deeskalation aufgerufen, während die Türkei, Aserbaidschans Verbündeter, erklärte, sie unterstütze Baku.

Russlands Südflanke

Die Zusammenstöße sind die jüngsten Kämpfe in einem seit langem schwelenden Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien. Im Jahr 2020 kam es zum zweiten Krieg um Berg-Karabach, der mit einem von Moskau vermittelten Waffenstillstand und der Entsendung einer russischen Friedenstruppe endete. Seitdem kam es immer wieder zu sporadischen Grenzkonflikten, die Befürchtungen vor einer größeren Konfrontation weckten. Seit sechs Monaten – beginnend kurz nach Beginn des Krieges in der Ukraine – eskalierten die Feindseligkeiten in und um die abtrünnige Region Berg-Karabach, die hauptsächlich von ethnischen Armeniern bewohnt wird. 
 

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Der Südkaukasus ist eine wichtige Pufferzone für Russland und ein Ort, an dem russische, türkische, US-amerikanische und iranische Interessen aufeinanderprallen. Daher besteht immer die Gefahr, dass eine Auseinandersetzung hier regionale Mächte anzieht oder Russlands Südflanke destabilisiert.

Sieben aserbaidschanische Gebiete

Die Wurzeln des Konflikts aber reichen Jahrzehnte zurück. Im Jahr 1988 forderten ethnische Armenier, die in einer mehrheitlich armenischen Enklave in der Aserbaidschanischen Sozialistischen Sowjetrepublik, der Autonomen Region Berg-Karabach (NKAO), leben, die Abtretung des Gebiets an Armenien. Doch drei Jahre später brach die Sowjetunion zusammen, bevor das Problem gelöst werden konnte. Im Jahr 1994 endete der erste Berg-Karabach-Krieg mit einem von Russland unterstützten Waffenstillstand, und die armenischen Streitkräfte übernahmen die Kontrolle über die NKAO, die sieben aserbaidschanische Gebiete im Westen, Süden und Osten und erklärten ihre Unabhängigkeit. 

Dieser Status quo hielt bis zum Beginn des zweiten Berg-Karabach-Kriegs im September 2020, der mit einem weiteren von Moskau ausgehandelten Waffenstillstand endete. Aserbaidschan übernahm die Kontrolle über einen Teil von Berg-Karabach, darunter die Städte Schuscha und Hadrut sowie die sieben angrenzenden Gebiete, die es 1994 an Armenien verloren hatte. Die armenischen Truppen zogen sich zurück, aber russische Friedenstruppen wurden in die Region entsandt, um in den Teilen der ehemaligen NKAO zu patrouillieren, die in armenischer Hand blieben.

In den ersten Tagen des Krieges in der Ukraine befürchteten Beamte in Armeniens Hauptstadt Eriwan und in der De-facto-Hauptstadt von Berg-Karabach, Stepanakert, dass Aserbaidschan die Abgelenktheit Russlands und des Westens ausnutzen würde, um weiteren Boden in der abtrünnigen Region zurückzuerobern. Aserbaidschan betrachtet das gesamte Gebiet als sein Eigentum und hat kein Interesse an Verhandlungen über den Status von Berg-Karabach oder der dort lebenden ethnischen Armenier.

Kontrolle über Farukh

Die im März ausgebrochenen Zusammenstöße führten dazu, dass Aserbaidschan die Kontrolle über Farukh erlangte, ein Dorf, das in einem armenisch besiedelten Bezirk von Berg-Karabach liegt. Damals drängten die russischen Streitkräfte beide Seiten erfolgreich zur Beendigung der Kämpfe. Die eigenen Truppen verließen das Gebiet unter russischer Aufsicht gegen Ende des Monats, doch die aserbaidschanischen Streitkräfte blieben. Baku weigerte sich, Aufforderungen der USA, der EU, Frankreichs und Russlands nachzukommen und seine Truppen auf ihre früheren Positionen zurückzuziehen. Dies führte zur Entsendung russischer Friedenstruppen nach Farukh mit dem Ziel, ein weiteres Vordringen der aserbaidschanischen Streitkräfte zu verhindern.

Der Zeitpunkt der Zusammenstöße in dieser Woche ist bemerkenswert. Als klar wurde, dass der Krieg in der Ukraine in absehbarer Zeit nicht enden würde, befand sich Aserbaidschan in einer einzigartigen Lage. Aserbaidschan könnte Europa nicht nur eine dringend benötigte alternative Erdgasquelle bieten, sondern sah zusammen mit der Türkei, seinem wichtigsten Verbündeten in der Region, auch die Möglichkeit, seine Position als potenzieller Vermittler zwischen Russland und dem Westen zu stärken.

Während europäische und amerikanische Delegationen Aserbaidschan zu Energiegesprächen besuchten, unterhielt Baku auch freundschaftliche Beziehungen zu Moskau. Aserbaidschan hat die russische Invasion nicht rundweg verurteilt, aber es hat auch nicht die Unabhängigkeit der separatistischen Regionen Donezk und Luhansk anerkannt. Stattdessen arbeitete die Regierung weiter mit der Türkei zusammen und verfolgte verschiedene Möglichkeiten im Einklang mit ihren nationalen Interessen.

Russland braucht eine neue Strategie

Das aktuelle Aufflackern begann nur einen Tag, nachdem Berichte darauf hindeuteten, dass eine Gegenoffensive der ukrainischen Streitkräfte in der Ostukraine erfolgreich war. Obwohl es schwierig ist, die Richtigkeit dieser Berichte zu beurteilen, da die meisten Informationen über die Operation aus Kiew kommen, scheint es klar zu sein, dass die Moral des russischen Militärs in den letzten Monaten stark gelitten hat und möglicherweise an ihre Grenzen gestoßen ist.

Wenn das russische Militär tatsächlich die Art von Verlusten erlitten hat, über die die meisten westlichen Medien berichten, muss es eine neue Strategie in Betracht ziehen. Eine Möglichkeit besteht darin, sich in einer anderen Region zu engagieren, in der es die Oberhand hat. In Berg-Karabach spielt Russland hauptsächlich die Rolle des Friedensstifters und nicht die des Aggressors, da es dies als den besten Weg ansieht, seinen Einfluss in der Region zu wahren. Berichten zufolge verfügt Moskau jedoch nicht mehr über ein komplettes Kontingent an Friedenstruppen in Berg-Karabach, so dass unklar ist, ob es überhaupt in der Lage wäre, den Frieden dort zu wahren.

Dies könnte der Grund sein, warum Aserbaidschan die Gelegenheit sah, Armenien zu einem Zeitpunkt anzugreifen, zu dem Russland offenbar nicht in der Lage war, zu helfen. Wir werden in den nächsten Tagen wissen, ob dies der Fall ist. Wenn der Waffenstillstand nicht bestätigt wird, die Kämpfe nicht aufhören und Russland Armenien nicht zu Hilfe kommt, könnte der Einfluss Moskaus im Südkaukasus schwinden. Ein Nichteingreifen in einer Krise würde Russlands Position weiter schwächen und dem Westen Chancen ermöglichen – und Kopfschmerzen bereiten.

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Gabriele Bondzio | Do., 15. September 2022 - 09:21

War ja mal (zu DDR-Zeiten) ein fiktiver Radiosender, der unter dem sozialistisch-kommunistischen Sowjetregime Zuhörerfragen beantwortet.
Erinnern sie sich, werter Herr Frank?

Mir fällt spontan ein:
"Frage an Radio Eriwan: Ist es möglich mit Durchfall zu baden?
Antwort: Im Prinzip ja! Wenn Sie die Wanne vollkriegen.
oder der besonders gut passt:
"Frage an Radio Eriwan: Ist Objektivität überhaupt möglich?
Im Prinzip ja – und wenn unserem Sender kein Nachteil entsteht."

Südkaukasus, als wichtige Pzfferzone an dem russische, türkische, US-amerikanische und iranische Interessen aufeinanderprallen.
Soweit richtig, werte Frau Colibasanu!

Es ist doch bemerkenswert, dass Überall wo Interessen von Drittstaaten aufeinander prallen, die eigentlichen Akteure (hier Aserbaidschan und Armenien) sich in die Wolle geraten.

Ihr Satz: Aserbaidschan kann der EU eine dringend benötigte alternative Erdgasquelle bieten,...ist doch richtungsweisend für Symphatie/Antiphatie...oder?

Ernst-Günther Konrad | Do., 15. September 2022 - 09:23

Ich stimme Ihrer Analyse zu, dass Armenien die Gunst der Stunde nutzt und versucht, seine Interessen auf diese Weise durchzusetzen. Und wer spielt diesmal da wieder mit? Russland, Türkei, USA und der Iran. Und neben geostrategischen natürlich auch wirtschaftliche - energiepolitische - Interessen. Und wieder geht es neben Landgewinn um Geld und Einfluss auf allen Seiten. Wenn man sich einig wäre, sollte man keine der Streitparteien unterstützen und sich selbst überlassen. Sollen die sich doch die Köpfe einhauen. Aber das wollen die "Großen" ja nicht. Der eine will Machtinteressen behalten oder ausbauen, der andere Geld verdienen und der dritte Land gewinnen bzw. behalten. So, so der böse Putin war da Friedensstifter. Der kann wohl auch anders. Nur hilft das erstmal niemand, solange er Krieg in der Ukraine führt. Ob Russland militärisch helfen kann und will, dass bleibt abzuwarten und zu beobachten. Jedenfalls wurde auch da Jahrzehnte nichts unternommen, den Konflikt zu beenden.

Axel Sauer | Do., 15. September 2022 - 09:30

Ich verfolge diesen Konflikt seit einigen Jahren und habe mich auch einmal mit dessen Geschichte befasst. Es verstört mich zutiefst wie die Weltgemeinschaft bei den diesen fast schon Genozidalen Feldzug Aserbeidschans, welcher auch eine deutliche antichristliche Note trägt, untätig zusieht. Toten und gefangenen Armenischen Soldaten werden zum Teild die Köpfe abgeschnitten und zur Schau gestellt. Warum schreitet niemand ein? Nun Armenien hat keinerlei Ressourcen von Geopolitischen Interesse. Das Agieren Aserbeidschans ist Chauvinismus in Reinform. Was wollen die denn mit einem mehrheitlich armenisch bewohnten Gebirge? Man stelle sich vor wir würden wieder einen Krieg um Ostpreußen führen. Man sollte Armenien schon aus Gründen des Humanismus beiseite stehen.

hermann klein | Do., 15. September 2022 - 10:07

Ach wie war es doch vordem, eigentlich mit dem „Eisernen Vorhang“ so bequem: keine Sanktionen, keine Nato-Ost-Erweiterung, keine Ukrainekrise, keine Gas-Krise, keine Energie-Krise, keine Armenien/ Aserbaidschan-Krise -
Friedfertigkeit an allen Fronten -?
Allerdings, die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands wäre eine Illusion geblieben.

Martin Falter | Do., 15. September 2022 - 10:40

hätte der kleine Pudel das doch alles vorher gewusst.

Aber nein er musste ja Hitler spielen, jetzt fliegt ihm alles um die Ohren.

Mich freut es.

Hans Jürgen Wienroth | Do., 15. September 2022 - 10:45

Gestern gab es auf 3Sat einen interessanten Filmbericht über die „Konfliktregion Kaukasus“, der die jahrzehntelangen Streitigkeiten deutlich machte. In dieser Region wird es absehbar kein friedliches Zusammenleben geben.
Gestern noch las ich über die Kämpfe, die nach den Informationen nicht in oder um Berg-Karabach stattfanden, sondern an der südlichen Grenze zwischen beiden Ländern (bei Goris und Kafan).
Hat die EU hier den Gasbezug von einem Despoten zum anderen verlagert (und damit ggf. die kriegerischen Handlungen gefördert)? Wobei ich nicht weiß, welche Seite angefangen hat, zuzutrauen ist es nach dem 3Sat-Bericht beiden Seiten.

Tomas Poth | Do., 15. September 2022 - 12:47

Es ist ein Konflikt Orthodoxe Christen vs Muslime. Die Türkei spielt hier ein durchtriebenes Spiel, sowohl als Unterstützer Aserbaidschans, wie auch mit Waffenlieferungen an die Ukraine, gegen Russland.
Die christliche, westliche Welt wird so weiter destabilisiert. Sei es durch solcherlei Konflikte in Nah-Mittelost oder in Afrika. Gleichzeitig aber auch durch Massenmigration überschüssigen, muslimischen Menschenpotentials, daß in in das christliche Europa einwandert.
Hier werden sich mittelfristig noch ganz andere Konfliktlinien aufbauen.
Der Rotgüne Zeitgeist, wir haben uns doch alle lieb, wird auch auf diese Weise zur Zerstörung Europas und des Christentums beitragen.

Jochen Rollwagen | Do., 15. September 2022 - 15:50

Deutschland darf aus moralischen, ethischen und überhaupt Gründen auf keinen Fall Öl oder Gas von brutalen Diktatoren beziehen, die Völkerrechts - widrig, fies und hinterhältig friedliche Nachbarn überfallen! Deutschland muß hier konsequent sein ! 100 % ! 1000 % ! 10.000 % ! Dafür muß man auch Mal Opfer bringen!

Insofern sind sämtliche Öl- und Gas-Lieferungen aus Azerbaidschan sofort einzustellen! Unverzüglich! Pronto. Also: jetzt !

Scherz.

Albert Schultheis | Sa., 17. September 2022 - 09:28

Was der Bericht unterschlägt, ist die perfide Rolle Erdogans, der seine Macht- und Einflusssphäre systematisch nach Osten in die Turkstaaten ausdehnt. Er liefert dort die Waffen, die es den muslimischen Aggressoren ermöglichen, Grenzen neu zu ziehen und nutzt dazu die derzeitige Schwäche Russlands schamlos aus. Klar, dass die moralisch hypertrophierten Protagonisten des Westens scheinheilig den Schwanz einziehen - allen voran die aus dem internationalen Recht kommende Annalena, die eiskalte Schneekönigin des neuen Grünen Bellizismus. Es geht um Öl und Gas, Dummy! Moral, Verlässlichkeit, Stabilität, ... alles Bullshit. Diese Grüne Sippschaft ist bereit, ALLES zu opfern! Wofür? Für die Umwelt? Den Planeten? Wer das noch glaubt, lebt hinterm Windrad, fährt mit dem Lastenfahrrad durch die Gegend und schwadroniert von Patriotismus und Panzerhaubitzen. Wen wundert's, dass der beschränkten Plüschkriegerin v.d.Leyen der Schneid abhanden kommt und der müde Joe internat. Recht mit Füßen tritt!