Michail Gorbatschow
Michail Gorbatschow im Jahr 1991 / dpa

Zum Tod von Michail Gorbatschow - Ambivalentes Erbe

Im Alter von 91 Jahren ist der ehemalige Generalsekretär des ZK der KPdSU, Michail Gorbatschow, verstorben. Sein Ansehen im Ausland ist größer als in der Heimat. Im Westen dankt man ihm das friedliche Ende der Sowjetunion und die deutsche Wiedervereinigung, in Russland verübeln ihm viele angesichts der Entwicklungen seit 1991, das einstige Imperium preisgegeben zu haben.

Ulrich Schlie

Autoreninfo

Ulrich Schlie ist Historiker und Henry-Kissinger-Professor für Sicherheits- und Strategieforschung an der Universität Bonn.

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Michail Gorbatschow ist am 30. August im Alter von 91 Jahren verstorben. Er hat den Gang der Geschichte seines Landes, der einstigen Sowjetunion, und ihrer Nachfolgerstaaten wie vor ihm, auf ihre Weise, nur Lenin und Stalin geprägt. Der ehemalige Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) von März 1985 bis August 1991 und Staatspräsident der Sowjetunion von März 1990 bis Dezember 1991 hat Weltgeschichte geschrieben. Seine mutige Politik der Glasnost („Offenheit“) und Perestroika („Umstrukturierung“) hat die europäischen Revolutionen der Jahre 1989-91 erst ermöglicht. Dadurch hat Gorbatschow die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit erst möglich gemacht.

 

Gorbatschows Politik führte zur inneren Auflösung der Sowjetunion, zum Putsch gegen ihn im Sommer 1991, zum Zerfall des Sowjetreichs und zur Unabhängigkeit seiner Gliedstaaten, die der ehemalige Staatspräsident nicht aufhalten konnte. Das internationale Ansehen des Staatsmanns und Friedensnobelpreisträgers Gorbatschow ist höher als der Ruf zuhause. Viele seiner Landsleute verübeln ihm die Aufgabe des äußeren Imperiums. Die Situation im heutigen Russland, Aufstieg, Machtkonsolidierung und Transformation des Landes unter Wladimir Putin, hängen mit Entwicklungen zusammen, die unter Michail Gorbatschow ihren Anfang nahmen. Eine weltgeschichtliche Bewertung Gorbatschows muss deshalb auch die Probleme seines Landes in Rechnung stellen.

 

Zweitjüngster Generalsekretär

Michail Gorbatschow wurde am 2. März 1931 als Sohn eines russischen Vaters und einer ukrainischen Mutter im Nordkaukasus geboren. Seine Eltern waren Bauern in einem Kolchos. Während des Jurastudiums an der Moskauer Lomonossow-Universität lernte Gorbatschow seine Frau Raissa kennen, mit der er von 1953 bis zu ihrem Tod 1999 verheiratet war. Das landwirtschaftliche Umfeld seiner Kindheit und Jugend prägte auch den späteren beruflichen und politischen Aufstieg Gorbatschows. Er erwarb einen weiteren Abschluss als Agrarbetriebswirt und stieg nach seinem Eintritt in die Kommunistische Partei der Sowjetunion mit 21 Jahren bis zum Ersten Sekretär für Landwirtschaft im Jahr 1970 auf. Schon 1971 wurde er Mitglied des Zentralkomitees der KPdSU, 1978 ZK-Sekretär für Landwirtschaft und 1980 Mitglied des Politbüros. Als zweitjüngstes Mitglied in der Geschichte des Politbüros wurde Gorbatschow am 11. März 1985 zum Generalsekretär des Politbüros gewählt und löste 1988 Andrej Gromyko als Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets und damit als Staatsoberhaupt ab.

Gleich zu Beginn seiner Amtszeit begann Gorbatschow unter den Stichworten Glasnost und Perestroika umfangreiche politische und wirtschaftliche Reformen. Gorbatschow war ein Mann des Apparats, der sich nie seinen Sinn für politische Realitäten korrumpieren ließ. Er wollte die Sowjetunion von innen heraus reformieren und wurde zum Revolutionär wider Willen. Er sorgte für den Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan und läutete mit seiner Abrüstungsrede vor der UN-Vollversammlung in New York im Dezember 1988 das Ende des Kalten Krieges ein. Durch die Abkehr von der Breschnew-Doktrin konnten die Mitglieder des Warschauer Paktes ihre Staatsform und Bündniszugehörigkeit selbst bestimmen und lösten sich aus der sowjetischen Umklammerung.  

Eintrag im Geschichtsbuch sicher

Es bleibt die große staatsmännische Leistung von Bundeskanzler Helmut Kohl, dass es ihm gelungen ist, zu Michail Gorbatschow ein persönliches Vertrauen aufzubauen und den sowjetischen Staatspräsidenten dadurch zu ermuntern, seinen Weg der Reformen zu gehen, den Staaten der Sowjetunion und des Warschauer Paktes ihr Selbstbestimmungsrecht zurückzugeben und ihren eigenen Weg in Freiheit zu beschreiten.

Michael Gorbatschows Erbe an die Gegenwart ist vielfältig und ambivalent. Bismarck hat einst gesagt, dass Dankbarkeit keine Kategorie der Politik ist. Wir Deutschen und Europäer, im Osten wie im Westen des einst geteilten Kontinents, haben allen Grund, Michail Gorbatschow dankbar zu sein, für seinen Mut und seine Charakterstärke, in einem historischen Moment den Fluss der Geschichte seinem Lauf zu überlassen. Noch ist es zu früh, die Ereignisse der Jahre 1989 bis 1991 in ihren dauerhaften Auswirkungen zu beurteilen. Fest steht allerdings jetzt schon: Michail Gorbatschow hat seinen Eintrag im Geschichtsbuch sicher.

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Ingo Frank | Mi., 31. August 2022 - 18:55

ist der, dass Gorbatschow größer Verdienst darin bestand N I C H T militärisch in den Aufstand der DDR 1989 einzugreifen. Sein größter Irrtum war, und dabei gleicht er allen Linken ob Sozialisten, Kommunisten u.a. dass diese Linke Ideologie nicht „reformierbar“ ist…..
Und darin ist auch sein Scheitern mit dem Zerfall des Ostblocks und der UdSSR begründet.
Und daran sollten die ganzen Linken Traumtänzer denken, denn deren Weltbild scheint auch im Buntland Germany immer und immer mehr salonfähig zu werden. Was folgt, ist der Untergang. Zur Erkenntnis würd ein Blick in die Geschichte der letzten 120 Jahre vollkommen genügen …..als Beweis.
Mit freundlichen Gruß aus der Erfurter Republik

Kann Ihnen nur zustimmen, Hr. Frank. Das scheitern der Linken Ideen ist programmiert, erfordern sie doch einen neuen Menschen, was ja Teil dieser Ideologie ist, von ihr gefordert wird.
Die Ideologie ist somit per se dem Menschen gegenüber wie er ist mißtrauisch und feindlich gesinnt, lehnt ihn ab ab und will ihn deformieren damit er zur Ideologie paßt.

Sie können noch auf große Erfolge in unserem Land zurück blicken.

Nur in Buntland sind sie vorübergehend gescheitert, oder drohen zu scheitern, weil eine geistlose und viel Blödsinn labernde, grün infizierte Führungsschicht sich etablieren konnte. Die Konservativen würden die Verteilungsfrage niemals so stellen.

Nationalisten (AfD) und Kommunisten (Linke) sind allerdings völlig überflüssig, die SED war lediglich Stadthalter Moskaus, ohne eigenes Konzept, weil uns Nationalisten in einen Weltkrieg geführt haben und zusätzlich millionen Menschen ermordet hatten, einfach so.

zurückblicken“
Brandt habe ich live am Fernsehe in Erfurt gesehen und bei meine Mutter wurde im Lehrerkollektiv nachgefragt ob denn ihr Sprössling auch wirklich krank sei. Ich war ein Fan von Willi. Zumindest bis zur Wende. Und als ich in NRW arbeitete, regten sich meine Kollegen sehr über Brandt‘s Kniefall in Polen auf.
Das einzig sinnvolle der SPD Kanzler war die Agenda 2010. Obwohl sinnvoll? Ohne diese Agenda hätte sich Merkel nicht 16 Jahre halten können, da sie geerntet hat, was Schröder gesät hat, Und nun ist der Korn- (Gas) Speicher leer und Deutschland vor dem Kollaps. Im übrigen war da nicht auch eine Hyperinflationen die Brand letztlich, neben dem Stasi- Spion, das Amt kostete?
Mit freundlichen Grüßen aus der Erfurter Republik

Gabriele Bondzio | Mi., 31. August 2022 - 19:53

"Gefahren warten nur auf jene, die nicht auf das Leben reagieren."
Ist ein autentisches Zitat von ihm, während das Zitat "Wer zu spät kommt...", wohl eher von seinem Pressesprecher Pressesprechers Gennadi Gerassimow(als Zusammenfassung) geprägt wurde.

Wir Deutschen (in der Mehrzahl) verdanken diesem Mann sehr viel, die gewaltlose Wiedervereinigung von DE.

Auch sein: "Man ist entweder Teil der Lösung oder Teil des Problems. Ich habe mich für ersteres entschieden."...zeigt Größe.
Und kann für Politiker richtungsweisend sein

Auch die Bilder werde ich nicht vergessen, wie er als Raissa Gorbatschowa (seine erste und einzige Liebe und überall an seiner Seite ) in ihrem Sarg lag und er sich noch einmal weinend über sie beugte und Abschied nahm.
Er war demnach ein beständiger und gefühlvoller Mann.

An den Frieden denken heißt, an die Kinder denken.
Michail Gorbatschow

Albert Josef Schultheis | Mi., 31. August 2022 - 20:11

Mir fallen nur zwei Namen der
Größten ein: 1. Michail Gorbatschow und 2. Nelson Mandela. Danach kommt lange, lange niemand. Gorbatschow "läutete mit seiner Abrüstungsrede vor der UN-Vollversammlung in New York im Dezember 1988 das Ende des Kalten Krieges ein." - Ja, das tat er, aber er konnte nicht wissen, dass dieses Läuten ausschließlich die Sowjetunion betraf - nicht aber den anderen Kontrahenten des Kalten Krieges, die USA. Im Gegenteil, der dumme Westen und die NATO feierten ihren Sieg über das "Reich des Bösen", den Sieg des Kapitalismus über den Kommunismus, aber von einem gleichzeitigen Einläuten des Endes des Kalten Krieges im
Westen, in Washington, Brüssel und Berlin konnte keine Rede sein. Dort wurden Russland und die ehemaligen Satellitenstaaten zur Beute erklärt, die Raketen der NATO rückten stetig näher an den Lattenzaun Russlands. Die größten Gewinner der ersten Stunde waren wir Deutschen, das hat uns nicht davon abgehalten, die größten Verräter Gorbatschows zu werden.

denen ich mich anschließen möchte.
Gorbatschow war eine große Persönlichkeit - wie es sie selten in d. Politik gibt.
Er kämpfte nicht für seinen Machterhalt, sondern für Ziele, die e r als Sozialist zum Wohl der Menschen - nicht nur in der UdSSR - für richtig erkannt hatte.
Bis zum Lebensende (Ich habe eben ein aufschlußreiches, bewegendes letztes Interview mit ihm auf "Arte" gesehen) ist er überzeugter Sozialist geblieben - kein Kommunist u. erst recht kein Stalinist. Dessen Taten haben ihn entsetzt!

Was ihn als Mensch v. a. auszeichnete, war die lebenslange, tiefe Liebe zu seiner Frau Raissa. So wie er, war sie authentisch/ehrlich, dazu liebenswert. Beide waren sensible Menschen. Daß ein unfähiger Trunkenbold namens Jelzin Gorbatschow aus seinem Amt vertrieb, gehört zu den besonders tragischen Ereignissen der Geschichte.

Wir Deutsche verdanken dem Verstorbenen unsere Wiedervereinigung. Ich werde ihm dafür immer dankbar sein.
Michail Sergejewitsch Gorbatschow - ruhe in Frieden!

Ernst-Günther Konrad | Do., 1. September 2022 - 08:34

Ich las gestern einen Artikel beim Focus von Ullrich Reitz, der ein anderes Bild über die politischen Zustände und die Person Gorbatschows zeichnete und Baerbock und Steinmeier als Geschichtsklitterei bezeichnete, weil diesen Gorbi lobten. Wer will sollte diesen Artikel lesen und sich Gedanken machen. Ich persönlich verbinde mit Gorbi die gewaltfreie Wiedervereinigung unseres Landes und den Eindruck eines empathischen und weitsichtigen Mannes, dem der Mensch selbst immer noch das wichtigste erschien und dies in seiner Liebe zu seiner Frau manifestierte. Deshalb kann ich allen Kommentaren, die ich bis jetzt lesen konnte, bis hin zu Frau Wallau vollen Herzens zustimmen. Er war einer der Menschen, der für mich zurecht den Friedensnobelpreis erhalten hat. Bei der links-grünenverlogenen Lobhudelei durch unsere Politiker frage ich mich nur: " Hätten die Gorbi als Russe aus dem Putin Staat auch zur persona non grata erklärt, ihm das Visa verweigert, nach diesem Überfall auf die Ukraine?"