Tim Karasch spielt die Hitler-Kunstfigur Adrian H.
Adrian H. fordert die „totale Durchrassung aller Menschen“ / Christian Engels

Christopher Street Day - Hitler-Satire fällt bei Homosexuellen durch

In Frankfurt plärrt ein gewisser „Adrian H.“ mit markantem Oberlippenbart und rosa Uniform: „Lieb – geil“. Die Hitler-Figur sollte Botschafter des diesjährigen Christopher Street Days werden, wurde aber nach heftigen Protesten von den Veranstaltern wieder ausgeladen. Es zeigt sich: Queer-Sein ist nicht dasselbe wie Querdenken

Matthias Heitmann

Autoreninfo

Matthias Heitmann ist freier Publizist und schreibt für verschiedene Medien. Kürzlich hat er das Buch „Entcoronialisiert Euch! Befreiungsschläge aus dem mentalen Lockdown“ veröffentlicht. Seine Website findet sich unter www.zeitgeisterjagd.de.

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Was passiert, wenn beim Christopher Street Day in der Frankfurter Innenstadt ein gewisser „Adrian H.“ in einer rosafarbenen (Ver-)Führeruniform und mit einem eindeutigen Schnauzbart ein nicht minder zackig-eindeutiges „LIEB – GEIL!“ in die johlende Menge ruft? Werden die versammelten Lesben, Gays, Bi-, Trans- und Intersexuellen (LGBTI) den Reflex, den rechten Arm zu heben, unterdrücken können? Werden die ohnehin überforderten und irritierten Passanten mit einstimmen oder aber die Polizei holen und die versammelte Regenbogentruppe wegen akuter Volksverhetzung anzeigen?

Wenn es nach den Vorstellungen der Veranstalter des CSD Frankfurt gegangen wäre, hätte man Mitte Juli an der Frankfurter Konstablerwache dieses Szenario mit eigenen Augen erleben können. Und sehr wahrscheinlich hätte man dabei viel Spaß haben und gleichzeitig ein eindrucksvolles Zeichen gegen Rechtsradikalismus, gegen Verbote und für die Freiheit der Satire setzen können. Für die diesjährige Veranstaltung hatte man sich als Botschafter für „Adrian H.“ entschieden. Hinter der Kunstfigur in rosa Uniform steckt Tim Karasch, der diese mit seinem Partner Jochen Döring vom Comedy-Duo „Frankfurter Klasse“ entwickelt hat. H. stellt sich in Videos und auf der Bühne als gebürtigen US-Amerikaner und als „Großneffe eines berühmten Mannes“ vor, will aber nach eigenen Angaben eher wenig mit diesem wohl berühmtesten Österreicher aller Zeiten gemein haben.

Adrian H. tritt seinen Ankündigungen zufolge für die „totale Durchrassung aller Menschen“ ein, will die Vermehrung ankurbeln und zudem „Orgasmuskurse für Frauen“ anbieten. Mit dem Motto „Liebe für alle! Mit und für jeden. Bis wir alle braun sind!“ und dem Kampfspruch „Lieb Geil!“ taucht er schon seit einiger Zeit auf Theater- und Comedybühnen der Republik auf. Sogar eine Partei will er gegründet haben: Die L.S.D.A.P. (Liebes Süchtige Deutsche Amor Partei) will die Abschaffung des sexuell-geschlechtsbegrenzenden, altmodischen Konstrukts der Ehe vorantreiben. Kurz gesagt: H. möchte der größte Politiker Europas werden, um dann mit seinem Feldzug namens „Unternehmen Barbar-Rosa“ nach Russland einzumarschieren, um dort „den Halbnackten“ vom Pferd zu holen.

Hitler-Parodie Adrian H. mit seiner L.S.D.A.P.

 

Mit der Wahl von Adrian H. zum Maskottchen des diesjährigen CSD und mit der Festlegung des Mottos „LIEB GEIL“ habe man gezielt provozieren, „den Rechtspopulisten den Stinkefinger zeigen“ und „die Community auffordern [wollen], sich mit aller Kraft für eine offene und respektvolle Gesellschaft einzusetzen“. Eine Veranstaltung wie der Christopher Street Day müsse auf den aktuellen Rechtsruck in der Gesellschaft reagieren, erklärten die Frankfurter Organisatoren: „Denn bei allen spezifischen Forderungen, die eine Gruppe wie die unsere für sich in Anspruch nimmt, ist es ihre Pflicht, in aller Deutlichkeit die Grundwerte einer freien Gesellschaft zu festigen.“

Linker Shitstorm gegen Hitler-Satire

Doch ganz offensichtlich teilen Teile der Community die Liebe der CSD-Veranstalter zu den Grundwerten einer freien Gesellschaft nicht, oder aber sie haben das Motto der diesjährigen Parade in Frankfurt ganz grundsätzlich missverstanden. Denn zum geplanten Auftritt von Adrian H. wird es nicht kommen – nicht etwas wegen Protesten von rechts, sondern wegen harscher Kritik aus den eigenen Reihen. Die eigentliche Satire begann nach dem Bekanntwerden der Pläne der CSD-Veranstalter – in Form eines Shitstorms gegen die geschmacklose „Verherrlichung von Nazisymbolen“. „Die Kritik aus der Community war massiv“, erklärte CSD-Sprecher Joachim Letschert. Einige Gruppen hatten angekündigt, die Veranstaltung zu boykottieren, andere kündigten Gegenveranstaltungen an. Im Internet war unter anderem von einer „äußerst unappetitlichen Zumutung“ sowie von „gedanklichen Entgleisungen“ der CSD-Organisatoren die Rede.

Das „Autonome Schwulenreferat der Frankfurter Goethe-Universität kritisierte, „rechte Symbole würden durch einen satirischen Umgang eher legitimiert“. Man hatte offensichtlich Angst, die Stimmung könne außer Kontrolle geraten, wenn viele Menschen in der Frankfurter Innenstadt das Motto „LIEB GEIL!“ rufen und den Arm heben. Für das Präventionsprojekt der Aidshilfe Hessen „Hessen ist geil“ kündigte Björn Beck in einer Erklärung vom 25. Juni 2016 ebenfalls das Fernbleiben an: Dort hielt man den Veranstaltern einen Mangel an „Weitblick, Selbstreflexion und Wissen um die eigene historische Verantwortung“ vor und betonte, man dürfe sich nicht anmaßen, „Täter_innensprache auf diese Weise zu verwenden“, und man habe die Pflicht, die Überlebenden der Shoah und ihre Nachkommen „vor einer (Re-)Traumatisierung zu schützen“. In einer Pressemitteilung distanzierte sich auch die Bundeskonferenz der schwulen, schwul-lesbischen und queeren Hochschulreferate von dem „paradoxen und verantwortungslosen Geschichtsverständnis“, das die Organisatoren des CSD Frankfurt an den Tag legen würden.

Schließlich sahen sich die Veranstalter des CSD Frankfurt aufgrund dieser massiven Kritik dazu gezwungen einzulenken. Der Auftritt von Adrian H. wurde abgesagt, und auch das Motto wurde geändert: Statt „Lieb geil“ lautet es nun glattgebügelt „Liebe gegen Rechts“. Die Welle der Empörung hätte das Veranstalter-Team „mit Bestürzung aufgenommen“, erklärte Letschert, der dem neuen Motto offensichtlich wenig abgewinnen kann: „Daran reibt sich niemand.“ Allerdings müsse man als Veranstalter dafür sorgen, dass der CSD friedlich ablaufe.

Die beiden Künstler der Frankfurter Klasse äußerten aufgrund der Zuspitzungen der letzten Tage Verständnis für die Entscheidung der CSD-Organisatoren, das Motto kurzfristig zu ändern. Comedian Tim Karasch erklärte aber auch: „Wir verstehen nicht, wie man diese totale Verunglimpfung Hitlers als Verherrlichung missverstehen kann. Humoristisches über einen Diktator wurde und wird in einem totalitären System in der Regel mit drastischen Strafen belegt – nicht zuletzt vor diesem Hintergrund können wir den Vorwurf der Verherrlichung nicht nachvollziehen. Während des Nationalsozialismus wäre ein Künstler, der sich mit einer Kunstfigur wie Adrian H. der Öffentlichkeit preisgegeben hätte, mit ziemlicher Sicherheit inhaftiert und mit dem Tode bedroht worden.“

Angst und Misstrauen statt Mut zur Freiheit

Angesichts der massiven Kritik aus der eigenen Community ist das Einlenken der Veranstalter des Frankfurter CSD nachvollziehbar. Es bleibt aber bedauerlich. Bedenklich hingegen ist der Umstand, dass der satirische Umgang mit Diktatoren mittlerweile nicht mehr nur von diesen selbst, sondern auch von Menschen kritisiert wird, die sich selbst als Verfechter individueller Lebensentwürfe und als Verteidiger der persönlichen Freiheit verstehen. Allein daran zeigt sich bereits, wie sehr die Veranstalter mit „LIEB GEIL“ und Adrian H. inhaltlich ins Schwarze getroffen hatten.

Mehr noch: Der Shitstorm gegen die Hitler-Satire unterstreicht, dass die Vorstellung weit verbreitet ist, man müsse die eigenen politischen Anliegen gegen die Grundwerte einer freien Gesellschaft durchsetzen.

Der erzwungene Verzicht auf die provokante CSD-Kampagne „LIEB GEIL“ ist ein weiteres Beispiel dafür, dass unsere Gesellschaft zunehmend Angst vor der eigenen Freiheit hat. In den vergangenen Monaten wurde das in den Auseinandersetzungen um Charlie Hebdo oder auch um das Böhmermann-Schmähgedicht deutlich. Mit dem Auftritt von Adrian H. hätte die LGBTI-Community zeigen können, wie ernst es ihr mit der individuellen Freiheit wirklich ist. Stattdessen macht sie sich so zum Opfer ihrer eigenen Vorurteile. Das ist bedauerlich.

Fotos: Christian Engels / Frankfurter Klasse

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Christa Wallau | Do., 7. Juli 2016 - 11:04

Für mich zeigt dieser Vorgang
e x e m p l a r i s c h, daß die "Verfechter individueller Lebensentwürfe" immer dann selber intolerant werden, sobald sie ihre
speziellen Minderheitenrechte mit allen Mitteln durchgesetzt haben.
Wenn danach jemand kommt, der ihre eigenen Geschmacks- und Gesinnungsgrenzen überschreitet, wehren sie sich vehement dagegen und haben gegen Verbote nichts einzuwenden. Das heißt: Sie verhalten sich genauso wie vorher diejenigen, die Anti-Reflexe z.B. gegen die Durchführung von Veranstaltungen wie dem CD entwickelten.

Von einer Bevölkerung trotz mehrheitlich vorhandener starker, innerer Abwehrmechanismen Toleranz zu erwarten, aber selber dann die eigenen Gefühlsgrenzen zum Maßstab zu machen - das paßt nicht zusammen!
Es wundert mich jedoch nicht; denn so sind die
Menschen nun mal. Das Toleranz-Fordern gilt
nur so lange wie man selber der Toleranz bedürftig ist.
Diese Tatsache sollte man auch im Umgang mit den Muslimen nicht außer Acht lassen.

Bernhard Jasper | Do., 7. Juli 2016 - 13:02

Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,

1. gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder
.
2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet,
wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Albert Keller | Do., 7. Juli 2016 - 14:32

Who cares?

Sonia Doffagne | Do., 7. Juli 2016 - 15:28

Wir sind auf dem besten Weg zu einer Gesellschaft, die immer hygienisierter, unkritischer wird. Bloß nichts sagen, und nichts tun, dass irgendjemandem nicht gefällt; dass irgendjemand nicht versteht ...
"Brave New World" here we come !

Bernhard Jasper | Do., 7. Juli 2016 - 16:16

1. eine Schrift (§ 11 Absatz 3) verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht oder einer Person (…)

a. zum Hass gegen eine in Absatz 1 Nummer 1 bezeichnete Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer in Absatz 1 Nummer 1 bezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung aufstachelt,
b. zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen in Buchstabe a genannte Personen oder Personenmehrheiten auffordert
c. die Menschenwürde von in Buchstabe a genannten Personen oder Personenmehrheiten dadurch angreift, dass diese beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet werden,
2. einen in Nummer 1 Buchstabe a bis c bezeichneten Inhalt mittels Rundfunk oder Telemedien einer Person (…) der Öffentlichkeit zugänglich macht oder
3. eine Schrift (§ 11 Absatz 3) des in Nummer 1 Buchstabe a bis c bezeichneten Inhalts herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, bewirbt oder es unternimmt, diese Schrift (...).

Karola Schramm | Do., 7. Juli 2016 - 18:00

Komische Kunstbegriffe haben manche Menschen schon.
Einmal so richtig die "Sau" rauslassen und draufhauen auf die Kacke, die einigen so stinkt, dann ein rosa Schleifchen drum und alles ist Kunst ?
Muss man mit seiner Homosexualität Showlaufen und auf die Spitze treiben, was andere Betroffene zutiefst kränkt und woanders ein Todesurteil ist ?
Adrian H. ist KEINE Kunstfigur. Sie ist ein Abklatsch eines Mannes, den man besser ignorieren sollte. Dass er Rosa trägt und "LIEB GEIL" schreit ändert nichts an der Tragik des Geschehenen.

Es ist sehr gut, dass besonnene Menschen sich durchgesetzt haben.
Nicht jede Gossensprache, jeder schlechte Witz ist Kunst. Auch die Farb-Klecksereien eines Elefanten ist keine Kunst. Kunst und Künstler bilden eine Einheit und am Ergebnis sieht man, wessen Geistes Kind ein Künstler ist.

Was sich hier durchsetzen wollte ist primitives, aggressives und weit überzogenes Verhalten von Menschen, die der Sache auf jeden Fall geschadet als genutzt hätten.

Sonia Doffagne | Fr., 8. Juli 2016 - 19:13

„Kunst ist niemals keusch, man müsste sie von allen unschuldigen Ignoranten fernhalten. Leute, die nicht genügend auf sie vorbereitet sind, dürfte man niemals an sie heranlassen. Ja, Kunst ist gefährlich. Wenn sie keusch ist, ist sie keine Kunst." Pablo Picasso

Kat Teker | Fr., 22. Juli 2016 - 12:45

gegen rechts (d.h. auch gegen jeden, der sich politisch nicht mehr von den "normalen" Parteien vertreten sieht und sich bspw. der AfD zuwendet), treibt noch ganz andere Blüten, die m.M.n. deutlich erwähnenswerter sind, als die oben geschilderte Humorlosigkeit bzw das Fehlen für Toleranz ggü Satire, die den eigenen Humor nicht trifft.

Viele Menschen scheinen leider einfach immer Gefahr zu laufen, selbst zu dem werden, was sie zu bekämpfen glauben. Hier wunderbar anhand der Reaktionen auf einer Lesbe, die sich in der AfD engagiert: https://gaystream.wordpress.com/2016/07/01/news-junge-alternative/.

Auch die weitverbreitete Hetze der LGBT-Gemeinde gegen Islamkritiker entbehrt nicht einer gewissen (tragischen) Komik...