Schweinebraten mit Knödeln
Viele denken bei dem Begriff zuerst an gutbürgerliche Küche / dpa

Pro und Contra: Soll der Begriff „bürgerlich“ ins Grundsatzprogramm der CDU? - Contra: Eine rein beliebige Zuschreibung

Die Christlich-Demokratische Union will sich ein neues Grundsatzprogramm geben. Gestritten wird noch darüber, ob darin das „Bürgerliche“ als eine der Säulen der CDU betont werden soll. Nein, meint der Sozialpolitiker Matthias Zimmer: Der Begriff sei zu unbestimmt, emotional aufgeladen und grenze aus. Morgen antwortet ihm an dieser Stelle der Vorsitzende der Jungen Union, Tilman Kuban.

Autoreninfo

Matthias Zimmer ist Politikwissenschaftler und war von 2009 bis 2021 für die CDU Bundestagsabgeordneter aus Frankfurt. Er ist Hessischer Landesvorsitzender der Christdemokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA).

So erreichen Sie Matthias Zimmer:

Der Begriff „bürgerlich“ taugt nicht als Grundbegriff der CDU. Er ist unspezifisch, dabei emotional aufgeladen – und das nicht nur positiv. Im neuen Grundsatzprogramm unserer Partei sollten wir aber spezifisch benennen, was uns wichtig ist, und das auch mit der richtigen Begrifflichkeit. Und wir sollten uns vor ambivalenten Begriffen hüten, die zu böswilligen Interpretationen einladen.

Es wurde argumentiert, man müsse „bürgerlich“ als Milieu einerseits und als Habitus, als Verhalten, als Wertorientierung andererseits voneinander unterscheiden. Das kann man aber aus meiner Sicht nur sehr unzureichend. „Bürgerlich“ als Habitus ist entweder historisch fundiert und trägt dann die Eierschalen des Milieus noch mit. Wenn das so ist, dann trägt es auch die negativen Konnotationen des Bürgerlichen noch mit: den Untertanengeist, die autoritäre Persönlichkeit, die patriarchalen Strukturen.

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Thorwald Franke | Mi., 10. August 2022 - 17:09

Wenn die CDU wirklich eine Volkspartei sein will, die das ganze demokratische Spektrum von Mitte bis Rechts abdecken will, dann muss sie für alle Schattierungen Angebote machen. Es kann also nicht darum gehen, Begriffe und Identitäten auszuschließen, sondern im Gegenteil muss es darum gehen, möglichst viele davon einzuschließen.

Deshalb gehört "bürgerlich" dazu. "Konservativ" auch. Aber ebenso "liberal" und "sozial" und "ökologisch".

Die Kunst wäre es, einen Oberbegriff zu finden, der das ganze Spektrum treffend beschreibt. Ein Vorschlag wäre "Mitte-Rechts". So beschreibt die Tagesschau ständig CDU-ähnliche Parteien in anderen Ländern. Oder "Liberal-konservativ". Oder "Ordnung statt Chaos". Was im Tiefsten der Unterschied zwischen Links und Rechts ist (bzw. sein sollte), ist die Schwerpunktsetzung Ordnung vs. Chaos (aus rechter Sicht) bzw. Kreativität und Wagnis vs. Strukturkonservativismus.

Demokratie, Herr Franke, hört bekanntlich nicht in der Mitte auf. Und selbst die Union hat einen Arbeitnehmerflügel, den man getrost links der Mitte verorten kann, wenn man sich an solchen Kategorien festhält. Wobei für den durchschnittlichen Cicero-Foristen in seiner eingeschränkten Sichtweise "links" ja schon links der AfD beginnt.

So mancher im AfD-Umfeld hofft darauf, dass sich die Union irgendwann mit den Rechtsextremisten arrangieren könnte, ja diesen sogar den Weg zur Macht ebenen könnte. Solches Wunschdenken basiert auf der absurden Einstellung, alle Parteien rechts von Grünen und Sozis wären irgendwie "bürgerlich" und damit natürliche Verbündete. Das ist natürlich Quatsch. Zwischen Wirtschaftsliberalen (FDP) und Liberal-Konservativen (CDU) einerseits und Rechtsextremen (AfD) andererseits gibt es keine Gemeinsamkeiten, höchstens im dunkleren Teil Deutschlands hier und da versteckte Sympathien. FDP/ Union und AfD trennt demokratische Reife und die Einstellung zu unserem Staat

Herr Lenz, ich sprach vom "demokratischen Spektrum", und nicht von der AfD. Es gibt also keinen Grund, meinen Beitrag dahingehend zu kommentieren.

Und gewiss, es gibt AfD-Anhänger im Cicero-Forum. Aber sind es wirklich so viele, dass es berechtigt ist, von dem "durchschnittlichen" Cicero-Foristen zu sprechen? Vielleicht war das früher einmal so. Jetzt würde ich das verneinen. Gibt es vielleicht eine Umfrage unter Cicero-Abonnenten, wo diese sich selbst verorten?

Allerdings müsste diese Umfrage klug gemacht sein. Denn viele werden sich schlicht mit keiner einzigen Partei im Bundestag mehr identifizieren können. Auch mit der AfD nicht.

Hans Jürgen Wienroth | Mi., 10. August 2022 - 17:35

Die CDU hat sich seit der Ära Merkel bereits von ihren „historischen Wurzeln“ weit entfernt und ist damit, wie es Herr Zimmer sagt, beliebig geworden. Der Begriff des „Bürgerlichen“ passt nicht mehr zum „Zeitgeist“ der bunten Welt ohne Wurzeln, Beständigkeit und Verlässlichkeit. Dazu passt seine Definition, die das soziale Engagement in den Vordergrund stellt, auch außerhalb der sozialen Gemeinschaft.
„Die CDU will alle Schichten und Milieus erreichen“. Ist das nicht ein Zeichen von Beliebigkeit? Worin unterscheidet sich diese Partei von anderen? Alle stellen das „Soziale“ in den Vordergrund. Was aber ist darunter zu verstehen? Ist das nicht auch ein undefinierter Begriff wie „Bürgerlichkeit“? Der Staat hat die Möglichkeiten bereit zu stellen, wie er es in den 60er und 70er Jahren tat. Er hat nicht dafür zu sorgen, dass alle das Ziel erreichen, auch wenn sie die Voraussetzungen nicht erfüllen (wollen).
Diese CDU war einmal eine bürgerliche P., heute ist sie überflüssig!

Sie nehmen mir die Worte aus dem Mund. Gefragt wären jetzt Kante und Profil und auch endlich mal Mut zur Konfrontation. Allein das die CDU mit den Grünen Koaliert ist meiner Meinung nach ein Skandal, welchen viele noch garnicht verstanden haben. CDU als Steigbügelhalter von Sozialisten und Kommunisten.
Zurück zur CDU Kohls wäre die einzige Möglichkeit. So gibt es weiterhin nur eine einzige Oppositionspartei.

Ingo frank | Mi., 10. August 2022 - 17:51

Milieus erreichen“
Und das ist ein Fehler, eine grandiose Fehlentscheidung & Fehleinschätzung ebenso wie sich zur Mitte zugehörig zu fühlen. Alle zu erreichen, geht einfach nicht. Wenn ich alle erreichen will, ist meine Kontur nicht klar definiert. Die Bandbreite ist zu groß und damit nicht nur unübersichtlich, nein, undefiniert und unklar. Und das hat letztendlich den Niedergang der CDU eingeleitet. Eine Partei die einst mit absoluten Mehrheiten regiert hat, für die sollten 26% KEIN Anspruch sein. Wenn man nicht weiß, für was eine Partei steht, im ungefähren? Ist sie dann für alle wählbar? Ich sage entschieden NEIN.
mit freundlichen Grüßen aus der Erfurter Republik

Gabriele Bondzio | Mi., 10. August 2022 - 17:55

und Milieus erreichen"...eine Ansage die von Anfang zum Scheitern verurteilt ist,
werter Herr Zimmer.

Odo Marquard (deutscher Philosoph)
"Die liberale Bürgerwelt bevorzugt das Mittlere gegenüber den Extremen, die kleinen Verbesserungen gegenüber der großen Infragestellung, das Alltägliche gegenüber dem Moratorium des Alltags, das Geregelte gegenüber dem Erhabenen, die Ironie gegenüber dem Radikalismus, die Geschäftsordnung gegenüber dem Charisma, das Normale gegenüber dem Enormen.»

Da wären doch einige Hinweise für die CDU beinhaltet.

Helmut Bachmann | Mi., 10. August 2022 - 18:16

versuchen? Und es wäre schön, nochmal etwas zum Begriff und dessen Geschichte zu lesen, Herr Zimmer. Eine beliebige CDU ala Merkel wird nicht mehr benötigt. Eine die jeden anspricht: unnötig. Es reicht aus, die konservative Hälfte der Bevölkerung anzusprechen und die versteht sich als bürgerlich. Wünsche einen schönen Übergang zu den Grünen.

Dieter Schimanek | Mi., 10. August 2022 - 20:08

Egal ob links, rechts oder Mitte, was gibt es also an bürgerlich auszusetzen? Mutti Merkel hat das natürlich etwas anders gesehen, europäisch oder weltbürgerlich. Deshalb wurde auf breiter Front weltweit gerettet was das Zeug hielt, mit dem Geld der Bürger natürlich. CDU habe ich noch nie gewählt, deshalb ist es mir egal was dort im Progamm steht. "Merkels Erben" wäre ehrlich und treffend.

Stefan Forbrig | Mi., 10. August 2022 - 21:00

...Die CDU will alle Schichten erreichen. Dann kann sie einpacken. Wer für alles offen ist, ist nicht ganz dicht. Vielleicht sollte ich einfache Sprache verwenden. Also:
Es sollte unterschiedliche Parteien geben, die verschiedene politische Spektren bedienen. So war das auch mal, die SED lasse ich mal weg, die SPD sozialistisch und sozial, die Grünen sozialistisch und ökologisch, die FDP freiheitlich und liberal und die CDU christlich konservativ, der Verbund CSU konservativ national. Wenn jetzt alle nur noch sozialistisch und ökologisch sein wollen (quasi links) und es zwischen dem linken und (vermeintlich) rechten Spektrum kaum Unterschiede gibt, dann gibt es keinen Ausgleich. Dann bildet sich halt eine neue rechte Partei, welche denen, die früher konservativ oder/und national waren, jetzt eben eine neue Heimat bietet. Und wenn sich die Parteien nicht endlich unterscheidbar machen, werden die Wähler das machen und das wird nicht besser.

Dr.Andreas Oltmann | Mi., 10. August 2022 - 21:52

durch Herrn Zimmer steht symbolisch für die 16 Jahre Merkel. Sie hat erreicht, dass die CDU ihre Identität verloren hat, sich beliebig gemacht hat und dem Zeitgeist seit Jahren mit hängender Zunge und ohne klares Ziel hinterherläuft.
Wer, wie Zimmer, bei dem Begriff „ Bürgerlichkeit“ sofort reflexhaft an unrühmliche vergangene Tage denkt, aber nicht die großen Fortschritte in Wirtschaft, Wissenschaft, Forschung und Wohlstand, auch an Aufstiegschancen, denken kann, hat ein großes Problem mit seiner eigenen Identität. Neue Wortschöpfungen beweisen nur den eigenen engen Horizont.
Es ist eine Schande, was Frau Merkel mit dieser Partei angerichtet hat. Und wie sie ihre Giftpfeile überall verschossen hat, um eine Gesellschaft zu formen, deren Mitglieder den eigenen Verstand am Tor abgegeben haben.
Erschreckend. Ohne klare Positionen wird das nichts. Gute Nacht, Deutschland, gute Nacht Friedrich Merz.

konnte ich Frau Merkel nie gut zuordnen. Sie schien mir nichts davon zu sein, auch die DDR empfinde ich im Zusammenhang mit ihr als äußerlich.
Sogesehen scheint sie mir keine geignete Blaupause für eine Zukunftsdebatte in der CDU.
Stellt sich evtl. die Frage, welcher Begriff oder Begriffe dennoch die Traditionen der CDU bergen und transformieren könnte/n.
Selbst das Christliche sollte/könnte weitergedacht werden, was allerdings die Zugänge zur CDU für noch nicht so lange hier Lebende noch einmal erschweren könnte.
Verzichtet man deshalb besser gleich auf jede Entwicklung angesichts teils sogar tendenziell rückschreitender Religionen in Deutschland?
Ich gebe zu, dass ich dazu neige und so Frau Merkels evtl. "Unbestimmtheit" auch ganz gut ertragen konnte, bis auf die teils evtl. "Vehemenz", mit der sie evtl. vorangetrieben wurde für evtl. nur bestimmte Gruppen der Gesellschaft.
Andere Gruppen gerierten sich dagegen wohlgelitten sehr viel vehementer in ihrer Bestimmtheit?
Schwierig

Jens Böhme | Do., 11. August 2022 - 01:03

Zu DDR-Zeiten war alles, was bürgerlich benannt und verstanden wurde, Ausdruck einer Dekadenz. Im Herbst 1989 gingen die Bürgerlichen auf die Straße und schickten diejenigen zum Teufel, die den Bürgern ihre Bürgerlichkeit, ihr Bürgertum, ihre Bürgerrechte versagten. Als Volkspartei sollte man viele ansprechen. Alle anzusprechen ist töricht, da es in Freiheit keine einhundert prozentige Weltanschauung gibt. Ist man im Jahr 2022 bereits wieder auf dem Trichter, Bürgerlichkeit zu versagen, dann sind Demokratie und Freiheit erneut in Gefahr und man muss sich keine Sorgen um "Volksaufstände" jenseits der Grünen machen, weil auch die CDU in vordiktatorische Sprachumerziehung schwelgt.

Carola Schommer | Do., 11. August 2022 - 08:31

dem Begriff der Bürgerlichkeit zuschreibt, könnten doch glatt von einem klassischen Linken stammen. Und genau das ist das Problem der gegenwätigen CDU.

Gisela Fimiani | Do., 11. August 2022 - 13:26

Abgesehen von allen „Wortklaubereien“ und Ausformulierungen, sollte die CDU/CSU (wie alle Parteien) zuvorderst um ein demokratisches Bewusstsein ihrer Politiker bemüht sein. Abhanden gekommen ist in diesem Staat, den sich die Parteien zur Beute gemacht haben ( v. Arnims Buch, sollte jedem Politiker zur Pflichtlektüre werden) das allem vorauszusetzende Bewusstseinsfundament, dass Politiker in der freiheitlich-demokratischen, rechtsstaatlichen Gesellschaft einem Souverän zu dienen! haben, der allein sie legitimiert. Die Arroganz, das volkserzieherische Gebaren, das die Partei-Politiker an den Tag legen, zeichnet sie nicht als Demokraten, sondern als Neo-Feudalisten aus. Die Demokratie bedarf der Geisteshaltung, die im GG in Artikel gegossen wurde. Als junge Demokratie, die wir geschenkt bekamen,(anders als die DDR)die wir nie erkämpfen mussten, besteht nun vielleicht Chance, das geistige Fundament der o.g. Demokratie in Herz und Hirn zu implementieren. Schritt 1 ist Selbstkritik lernen.