Mann in grüner Verkleidung an St. Patrick's Day
Ein Mann verkleidet als Ire an St. Patrick's Day: Wie kann er es wagen! / dpa

Identitätspolitik - Das Dilemma der kulturellen Aneignung

Linksidentitäre sind empört, wenn sich Bewohner aus Ländern einstiger Unterdrücker, Kolonisatoren und Wertexporteure Kulturelemente von vormalig oder gegenwärtig unterdrückten Minderheiten aneignen. Ihre Logik mündet immer wieder in groteske Widersprüche. Wo bleibt zum Beispiel die Empörung, wenn sich Menschen an St. Patrick's Day als Iren verkleiden, also als eine lange Zeit diskriminierte Minderheit?

Autoreninfo

Julien Reitzenstein befasst sich als Historiker in Forschung und Lehre mit NS-Verbrechen und Ideologiegeschichte. Als Autor betrachtet er aktuelle politische und gesellschaftliche Entwicklungen.

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Über Jahrhunderte galt der gesellschaftliche Konsens: „Ich bin verantwortlich für meine Taten und Worte – aber nicht dafür, wie Du sie interpretierst und fühlst.“ Dieser scheint nun zu erodieren.

Ein aktuelles Beispiel ist der Abbruch eines Konzertes in der Schweiz, weil weiße Musiker Dreadlocks trugen und Reggea-Musik spielten. Doch nicht nur in der Musik, auch in der Modeindustrie müssen sich Designer und Modehäuser dem Vorwurf der kulturellen Aneignung stellen, wie jüngst das Modehaus Dior, weil es ein Kleidungsstück anbietet, das wie ein traditioneller chinesischer Rock aussieht. Kulturelle Aneignung herrscht laut Definition in der Online-Enzyklopädie Wikipedia, „wenn die angeeigneten Kulturelemente von einer Minderheit stammen, die als sozial, politisch, wirtschaftlich oder militärisch benachteiligt gilt“. China, eines der bevölkerungsreichsten Länder, wirtschaftlich stark, das Land der Plagiate – wohl nirgendwo trug die Aneignung kultureller Leistungen anderer so erfolgreich zur Volkswirtschaft bei, wie in China – weshalb der Vorwurf gegen Dior recht eigenwillig wirkt.

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Bettina Jung | Mo., 8. August 2022 - 08:20

Da fällt mir spontan die Weltenministerin Annalena Baerbock ein, die unsere "Werte" in die gesamte Welt - was sage ich - Planteten, Universum exportiert.

Maria Arenz | Mo., 8. August 2022 - 08:51

durch gelangweilte, privilegierte Weiße oder Angehörige dieser Minderheiten, die ihren Minderheitenstatus zum persönlichen Geschäftsmodell gemacht haben, ist auch so eine über die Dörfer getriebene Sau, die demnächst durch ganz andere Sauen abgelöst werden dürfte - Wildsauen nämlich namens nicht endender Inflation, Massenarbeitslosigket und kaum noch bezahlbarer Nebenkosten-abrechnungen. Die Sache mit dem chinesischen Plisseerock dürfte allerdings eine sehr seltene Ausnahme bleiben. In der Regel kommt das Gezeter über "Kulturelle Aneignung" aus und im Namen von Weltecken, die außer bizarren Frisuren und bunt-scharfen Reis-Eintöpfen etc nicht viel zur kulturellen Entwicklung der Menschheit beigetragen haben. Deshalb wachen sie wohl so eifersüchtig darüber.

Joachim Baumeister | Mo., 8. August 2022 - 08:55

Da hatte sich im saudiarabischen Riad ein Araber mit Lederhosen und Janker, Tirolerhut mit Gamsbart und Haferlschuhe mit Trachtenstutzen verkleidet. Unverschämt diese Aneignung!

Christoph Kuhlmann | Mo., 8. August 2022 - 08:57

Auf jedem Oktoberfest sieht man tausende Fälle von kultureller Aneignung, welche die indigenen Bayern nachahmen. Bayrische Gastwirte haben längst einen globalen Exportschlager daraus gemacht. Es ist extrem intolerant, wenn Reggaekonzerte abgebrochen werden, weil einer der weißen Musiker Dreadlocks trägt. Wer sich da getriggert fühlt gibt im Grunde einem rassistischem Provinzialismus Ausdruck. Die Frage, dürfen Schwarze Walzer tanzen hat ungefähr dasselbe Niveau.

Urban Will | Mo., 8. August 2022 - 09:08

zu argumentieren und diese „Überzeugten“ dazu zu bringen, einen Irrweg zu erkennen und diesen zu ändern.
Aber, so richtig Ihr Artikel und viele andere zum Thema linke Identitätspolitik oder -bestrebungen auch sind, gegen himmelschreiende Dummheit gibt es kein Gegenmittel.
Und nichts weiter ist es doch, was wir hier erleben.
Zur Dummheit hinzu kommt noch eine Form des Rassismus, die nur noch als widerlich zu bezeichnen ist.
Während die Rassisten des 19. oder 20. Jahrhunderts noch brutale Unterdrücker und Mörder waren, die Gewalt anzuwenden sich gezwungen sahen, um die von ihnen als minderwertig betrachteten Gruppen „im Griff“ zu haben, was, so brutal das jetzt auch klingt, diesen Gruppen ggü. zumindest eine gewisse Form der „Anerkennung“ war, kommen die Linken heute daher und setzen die von ihnen zu „schützenden“ oder sonst wie besonders zu behandelnden Gruppen als quasi hilflosen, lebensunfähigen Wesen gleich, die ohne diese Sonderrolle nicht existieren können.
Das ist widerlich.

Sabine Lobenstein | Mo., 8. August 2022 - 09:14

Meiner Meinung nach schafft diese Identitätspolitik inkl. Gendern erst dieses Bewusstsein über das Trennende. Mich überkommt immer öfter der Gedanke, dass das die letztendliche Absicht dahinter ist. Bereits jetzt vermeiden viele Menschen tiefergehende Gespräche, da auf dem von Politikern und Medien geschaffenen Minenfeld sonst überall die Gefahr der Vernichtung durch die Anderen besteht. Für Themen wie Politik, Corona, Gasnotstand, Ukraine, Russland, Krieg, Inflation gibt es nur eine festgeschrieben Wahrheit und akzeptierte Meinung. Klassische Familie soll es auch nicht mehr geben (Elternteil 1, 2, 3...etc.), Geschlecht ist auch nur noch eine persönliche Einstellung und durch die Angst vor Aneignung werden wir sicherheitshalber bald genormte, garantiert aneignungsfreie Kleidung tragen. Am Ende bleiben lauter einsame, verunsicherte, haltlose und verängstigte, total anpassungsbereite und gehorsame Menschen übrig, die dankbar auf sichere Regeln warten. Absicht??

Ronald Lehmann | Mo., 8. August 2022 - 09:16

Auch wenn Sie zu einer Gruppe einsamer Rufer´& Betrachter in der Wüste gehören & menschliche Lebens-Wanderer heutzutage keine anderen Gedanken außer ihrer Pharisäer in sich aufnehmen wollen.

Aber wie sagte immer meine Mutter:
"Junge, auch die werden mal alt & das Leben wiederholt sich immer wieder"
Bleiben Sie & alle andere Gesund im Körper wie im Geiste :-)

Wolfgang Borchardt | Mo., 8. August 2022 - 09:26

... sondern Blödsinn. "Kulturelle Aneignung" geht mit Bildung und Fortschritt einher und umgekehrt. Auch das Erlernen einer Fremdsprache ist "kulturelle Aneignung", wahrscheinlich auch die klassische Bildungsreise, die Besichtigung der Pyramiden oder der Kauf einer chinesischen Vase, aber was trägt mehr zu Verständigung, Bildung, Austausch, Handel und Frieden bei? In der Steinzeit war "kulturelle Aneignung" deutlich schwieriger, deshalb ging es nur langsam voran.

Achim Koester | Mo., 8. August 2022 - 09:47

als Kampfbegriff ins Feld geführt wird, von Leuten, die sich ungefragt zum Anwalt gewisser Ethnien machen (übrigens auch eine Art von Aneignung), die das mehrheitlich überhaupt nicht wollen. Man sollte sich, ungeachtet der asozialen Medien, einfach über diesen Blödsinn hinwegsetzen und die Weltverbesserer ignorieren, die eigentlich nur ideologisch erziehen wollen.

Markus Michaelis | Mo., 8. August 2022 - 10:18

Stimmt, in unserer Gesellschaft ist ein bestimmtes Denken zu unkritisch dominant geworden. Nur, weil man sich selber so sieht, dass man endlich für die ganze Menschheit und alle Menschen kämpft und alte Vorurteile zu jetzt der wahren Sicht korrigiert, ist diese Sicht nicht notwendig die, der sich alle Menschen anschließen werden.

Tomas Poth | Mo., 8. August 2022 - 10:44

... Asiaten, Afrikaner und andere indigene Völker

- europäische klassische Musik spielen
- Kleidung europäisch Stiles tragen
- Automobile fahren und produzieren
- Eisenbahnen produzieren und fahren
- Flugzeuge produzieren und fliegen
- militärische Güter nutzen
- und, und , und ...

Wir sollten uns von diesem ideologisch verblödeten, identitären Mist nicht beeindrucken und beirren lassen, sondern entschieden zurückweisen.
Ach übrigens, die Identitäre Bewegung die für den Ethnopluralismus wirbt, werden in Deutschland und Österreich jeweils vom Verfassungsschutz beobachtet.
Ja was denn nun, die einen dürfen identitär sein und werden von LinXGrün gefördert und die anderen in den Senkel gestellt?
Das ist stinkende Ideologie!

Gabriele Bondzio | Mo., 8. August 2022 - 10:48

Fange ich doch heute mal mit dem Zitat an:

"Die Dummheit ist die sonderbarste aller Krankheiten. Der Kranke leidet niemals unter ihr. Aber die anderen leiden."
Nicolas Chamfort

"...wären diese Empörten – nach ihrer eigenen Logik – wohl als...Spaßbremsen auf der Suche nach Empörung zu betrachten.
Würde ich ihren Satz, werter Herr Reitzenstein, beenden.
Vielleicht wollen sie auch nur Fördergelder beantragen.
Der Staat fördert doch derzeit jeden Unsinn.