Gary Cooper
Sieht nur einen Ausweg: Gary Cooper in „High Noon“ / dpa

70 Jahre „High Noon“ - Hymne an das freie Individuum

„High Noon“ und sein Protagonist Marshal Kane sind zu einem Symbol der Standhaftigkeit im Kampf gegen das Böse geworden. Von der US-Politik wurde diese Idee des biblischen Kampfes gegen das Böse immer wieder missbraucht – wie aktuell im Taiwan-Konflikt. Doch Kane tötet nicht für eine höhere Moral, das Recht oder gar eine Staatsform, sondern schlicht für sein eigenes Leben.

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

So erreichen Sie Alexander Grau:

Erst hört man das rhythmische Schlagen einer Trommel und sieht einen Mann rauchend auf einem Felsen sitzen. Dann erklingen zwei, drei Gitarrenakkorde. Der Mann steht auf, und in diesem Moment beginnt eine Männerstimme zu singen: „Do not forsake me oh my darling …“

Das sind die ersten siebzehn Sekunden von „High Noon“. Kaum ein Film hat sein Genre so verändert und so geprägt wie der Western von Fred Zinnemann. Und das betrifft nicht nur das tragende Handlungsmotiv: den Kampf eines entschlossenen Einzelnen, sondern auch Kameraführung, Zeitbehandlung und Musikeinsatz.

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Jens Böhme | Sa., 6. August 2022 - 12:26

Highlight dieses Western ist der ambivalente Marshal (Sheriff). Eine überaus westernuntypische und auch unrealistische Darstellung eines Marshal, der im Ort das Gesetz verkörpert und durchsetzt. So gesehen ist der Film kein Western sondern ein rein psychologisches, gutes Werk. Kurz nach dem Film kam das heroische Gegenstück "Rio Bravo" raus, um das Westerngenre mit Marshal (Sheriff) wieder in bekannte, geordnete Bahnen zu lenken.

Tonicek Schwamberger | Sa., 6. August 2022 - 13:55

. . . für Ihre sehr aufschlußreichen und sehr sinnvollen Zeilen. Ehrlich gesagt, muß ich zugeben, daß ich dieses Thema von einer solchen Warte aus noch nicht gesehen habe - wieder etwas gelernt.
Schönes Wochenende für alle . . .

BHZentner | Sa., 6. August 2022 - 14:11

Hab"High Noon"i.d. Glotze(70er)durchlitten; mich in jugendl.Leichtsinn mit diesem zweifelnden Helden identifiziert u.die feigen,,Bürger"verachtet. Der Film zeichnet nicht derart schwarz-die Bürger nicht nur feige,die Gangster nicht nur böse und der Held nicht (moral.)überlegen.Alle haben ihre Gründe (was zu verlieren)-letztlich pure Angst:Eine vom Schäferhund gehütete Schafsherde wird von Wölfen bedroht.Sie laufen wild durcheinander, manche versuchen sich abzusetzen,statt sich zu scharen u.damit dem Schäferhund die Verteidigung zu erleichtern. Die Wölfe reißen einzelne Tiere u.,,spalten" die Herde-man kann auch andere Herdentiere als Beispiel anführen. Kane stellt sich(verzweifelt)dem ungleichen Duell-zuletzt springt ihm der ein oder andere bei,weil er verstanden hat,daß dlie Bedrohung nicht aufhören wird,sollte er scheitern.
Ein zeitloses,sehr heutiges,,Thema", das in unseren,,postheroischen"Zeiten noch ,,komplexer" ist.Werde mir"High-Noon"u.a. nochmal ansehen-Komplexitätsreduktion!?

Karl-Heinz Weiß | Sa., 6. August 2022 - 16:04

Politikmoralischer Moralismus-dieser Bogen über 70 Jahre US-Politik erscheint mir überspannt. 1950 begann der Korea-Krieg, fünf Jahre nach dem Weltenbrand und durch eine nordkoreanische Aggression.Eher erscheint es plausibel, dass die damalige gesellschaftliche Stimmung auch auf Drehbuch und Regie des Films abfärbte.

Christoph Kuhlmann | Sa., 6. August 2022 - 16:17

der USA. Man sieht ja überall die Verrückten, die mit halbautomatischen die Kinder in den Schulen erschießen oder die Fans in einem Musikkonzert abknallen. Wer ist daran schuld? Die angstschlotternden Bürger von Hadleyville! Das Böse rechnet mit ihrer Feigheit. Akteur ist nur der Bewaffnete, der auch den Mumm hat sein eigenes Leben zu riskieren um den Gegner ohne mt der Wimper zu zucken tötet. Wer ist also schuld an den Schulmassakern? Von den unbewaffneten Lehrern mal ganz abgesehen, jeder Bürger ohne Waffe, der einfach so in den Wallmart fährt ohne für alle Fälle den Revolver bereit zu halten. So argumentiert regelmäßig die amerikanische Waffenlobby. Hätte auch nur eines von den Opfern eine Waffe dabei gehabt wäre das Unglück so nicht geschehen. Wenigstens von den Pädagogen sollte man die Einsicht erwarten. Aber nein, sie verkriechen sich lieber ebenso hinter Tischen Bänken wie ihre verängstigten Schüler. Hadleyville ist überall und der Marshal muss schneller ziehen als das Böse.

Gabriele Bondzio | Sa., 6. August 2022 - 16:53

Eine eine innere, sittliche, moralische Verpflichtung empfinde ich dem mir gegenüber anvertrauten Menschen (Kindern/alten Menschen) und Tieren.

Sehe es jedoch nicht als bindend, blinden Gehorsam und Gesetzestreue auszuüben.
Würde schon abwägen, inwieweit meine Pflicht gegenüber der Gesellschaft und meine inneren Moralvorstellungen übereinstimmen.

Immerhin hat sich der Kriegsverbrecher Eichmann bei seinem Gerichtsprozess in Jerusalem auch darauf berufen, sein ganzes Leben in den Sinne des kantischen Pflichtbegriffs gestellt zu haben.
Eine sehr makaber-anzusehende Auslegung.

Notwehr (wie sie es Marshal Kane zuschreiben Herr Grau) erkenne ich an.
Ansonsten stelle ich mich (ohne kirchlich gebunden zu sein) hinter: „Du sollst nicht töten!“ . Darum ist es auch in unserem
Grundgesetz verankert.
Und bin auch kein Freund der Todesstrafe.

"Ich kenne keinen Unterschied zwischen gerechtem Töten und ungerechtem Töten."
Arthur Miller

Christa Wallau | Sa., 6. August 2022 - 18:26

Danke, Herr Grau, daß Sie hier an den großartigen Western "High Noon" erinnern.
Sie interpretieren ihn richtig:
Es geht um das nackte Überleben, nicht etwa um einen allgemeinen Kampf gegen "das Böse".
In dem Falle, daß man selbst bzw. die eigene Familie vom Tode bedroht ist, hat man das Recht, den Aggressor zu töten.
In dieser Lage befanden sich ja Viele in der Zeit der Besiedlung Nordamerikas; daher rührt die heute noch in den USA verbreitete Angst, in Lebensgefahr ohne Waffe dazustehen.

Der "politmoralische Missionarismus (Und ich füge hinzu: "Imperialismus"), der die US-amerikanische Politik seit Jahrzehnten belastet", hat nichts mit dem zu tun, was in "High Noon" abgehandelt wird. Es geht um's individuum u. sein Recht auf Verteidigung seines Lebens u. Eigentums.

Das existenziell wichtige Thema, Grace Kelly und Gary Cooper als überzeugendes Liebes-Paar, dazu die unvergeßliche Musik - dieser Film ist einfach ein Erlebnis, bei dem das Herz tief berührt wird.
Ein Klassiker!

Kane hätte draussen in der Prärie keine Chance gegen Frank Miller gehabt. Er musste ihn in Hadleyville zum Kampf stellen.

Fritz Elvers | Sa., 6. August 2022 - 22:07

wäre sicherlich sehr angetan gewesen, von dieser Interpretation des Herrn Dr. Grau. George W. Bush, der ja wusste, dass er log, konnte von „High Noon“ auch nicht wirklich inspiriert gewesen sein, oder er hatte den Film nicht verstanden, was wohl wahrscheinlicher ist.

Mir fallen eigentlich nur "Die 12 Geschworenen" ein, wenn es um gute US-Filme geht.

Kai Hügle | Sa., 6. August 2022 - 22:45

"In dem Falle, daß man selbst bzw. die eigene Familie vom Tode bedroht ist, hat man das Recht, den Aggressor zu töten."

So sieht es aus. Insofern lassen sich hier durchaus Bezüge zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine herstellen; auch weil die Menschen dort sich gönzlich anders verhalten als die Bürger von Hadleyville.

Nicht verwunderlich, dass Herr Grau und die Ciceronen diesen Bezug nicht sehen konnten oder wollten....

Urban Will | So., 7. August 2022 - 20:56

Antwort auf von Kai Hügle

„Bezug“ seines Beitrages nicht zu sehen, ist schon recht anmaßend.
Und da ich mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass Sie mit den „Ciceronen“ auch mich meinen hier nochmal für Sie zum Verständnis:
Niemand – da spreche ich wohl nicht nur für mich – spricht der Ukraine das Recht ab, gg den Aggressor zu kämpfen, am wenigsten wohl Frau Wallau, sonst hätte sie diesen Satz sicher nicht geschrieben.
Forderungen nach Verhandlungen oder gar einer Kapitulation schließen dies nicht aus.
Da Sie und ihre Gesinnungsgenossen hier in dieser Runde und auch außerhalb dies nicht zu verstehen scheinen oder nicht verstehen wollen, ist zwar verständlich, was Sie hier so alles von sich geben, aber es wäre vielleicht ein Fortschritt, wenn Sie endlich kapierten, dass obige „Forderungen“ aus Sorge, Angst oder Mitgefühl gestellt werden.
Denn d Antwort auf eine Frage verweigern Sie beharrlich: Glauben Sie wirklich, dass Putin sich zurückzieht, ohne auf's Äußerste (sprich: Atomwaffen) zu gehen?

Gerhard Lenz | So., 7. August 2022 - 00:29

Was sind die Taiwaner doch für Dummies.

Da erhofft sich eine kleine, demokratisch regierte Insel doch tatsächlich Hilfe von der einzigen demokratisch regierten Supermacht, die es gibt. Und merkt nicht, dass die Amis doch nur den Sheriff spielen wollen, die den Bösewicht China zur Strecke bringen möchten!

Wären die Taiwaner klüger, würden sie den Amis einen Tritt geben, und zwar einen gewaltigen. Und sich freudig der chinesischen, kommunistischen Partei unterwerfen.

Denn Demokratie ist ja, wie sie jetzt wissen, nur etwas für ballernde Revolverhelden.

Es ist eine eigenartige Philosophie, die Herr Grau den Amis da unterjubeln will. Richtig, noch immer herrscht dort der Glaube, das Individuum könne sich - mit der Waffe in der Hand - am besten alleine behaupten. Denn das Misstrauen in einen Staat, der sich gefälligst zurückhalten sollte - alles andere ist purer Sozialismus - ist seit der Ankunft der Mayflower unverändert.
Nur: China und Russland bieten keine attraktive Alternative.

Urban Will | So., 7. August 2022 - 08:37

Böse sehend (das "Böse" definiert man natürlich selbst) und ausgestattet mit der entsprechenden Feuerkraft, ist der Weg frei, wann und wo auch immer Kriege zu beginnen oder dort mitzumischen.
Und es ist sicher vieles auf dieser Welt heute anders und besser als es geworden wäre, wenn die Amerikaner nicht eingegriffen hätten, doch ist dieser Artikel in diesen Zeiten auch eine Mahnung, dass dieses Modell einer Art Weltpolizei auch negative Folgen haben kann.
In WK 1 und 2 ging es auch für die Amerikaner um ihr „Überleben“, in Vietnam, Afghanistan und im Irak gewiss nicht. Überleben ist gewiss das größte u. berechtigste „Interesse“, das eine Person oder ein Staat haben kann, Einfluss und Absatzmärkte, bzw. wirtschaftlicher Profit halt eben nicht.
Derzeit pumpt man d Ukr gewiss nicht aus Gründen des Überlebens mit Waffen voll. Es geht nur darum den Erzfeind zu schwächen.
Russland ist nur dann eine „Bedrohung“ für Sam, wenn es eng mit E verbunden ist.
Und das wird m allen Mitteln verhindert.

Dominik Roth | So., 7. August 2022 - 08:59

Hätten die Amerikaner die von Ihnen suggerierte Zurückhaltung auch in den 1940er Jahren wahren sollen?
Vielleicht auch einfach Westberlin den Russen überlassen sollen? Oder gleich ganz Deutschland? Wann ist es notwendiges Eingreifen, wann politmoralische Missionarismus? Bitte um klare Abgrenzung!