Illustration: Dominik Herrmann

Brüggemanns Bayreuth-Tagebuch Teil IV - „Walküre“: Bayreuths Wagner-Sudoku oder Wotans krachender 11.000-Euro-Eames-Chair

Der Musikjournalist Axel Brüggemann dokumentiert für Cicero seine Eindrücke der Wagner-Festspiele. In der „Walküre“ stimmte gesanglich und inszenatorisch alles, es war der bisher poetischste Höhepunkt der „Ring“-Inszenierung. Und doch zündet das Ideen-Feuerwerk allein aus Selbstzweck. Dieser „Ring“ ist ein „Ring“ für Klugscheißer.

Autoreninfo

Axel Brüggemann ist Musikjournalist und lebt in Bremen. Zuletzt erschien der von ihm herausgegebene Band „Wie Krach zur Musik wird“ (Beltz&Gelberg-Verlag)

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Ist Netflix zu klein für Wagners „Ring des Nibelungen“? Gestern schien es in Bayreuth noch so. Auch deshalb habe ich heute vor der „Walküre“ erst einmal meinen „Geldermann“-Gutschein eingelöst. Doch es lag dann weniger am Getränk als an den Stimmen auf der Bühne, dass der erste Aufzug zur ersten kleinen Bayreuth-Offenbarung wurde. Plötzlich war jedes Wort zu verstehen, plötzlich stimmte die Architektur, stimmten die Spannungsbögen. Auf der Bühne verhandelten drei Bayreuth-Haudegen, wie das Zwillingspaar Siegmund und Sieglinde zueinander findet, während Hunding (Sieglindes Mann), den Sicherheitskasten nach Blitzeinschlag und Welteschen-Glasschaden repariert (verblüffend, wie lange man an Sicherungen herumschrauben kann). 

Gesungen wird dieser Hunding vom herausragend coolen, auf seine karge Art strömenden Geschichtenerzähler Georg Zeppenfeld. Tenor Klaus Florian Vogt holt seine federleichte Stimme heraus, um Siegmunds Worten auf den Grund zu gehen, und ist so ein perfekter Partner an der Seite der Sopranistin Lise Davidsen als Sieglinde, die mit kontrollierter Kraft, lyrischer Schönheit und in großen Bögen Weltatem versprüht. Und plötzlich zaubert auch Regisseur Valentin Schwarz ein schon fast kitschiges Szenario, wenn er das holzfurnierte Kinderzimmer der Zwillinge aus dem Schnürboden sinken lässt und zwei göttlich glitzernde Kinder auftreten, die ihren reiferen Alter Egos Szenen aus ihrer halbgöttlichen Kinderzimmerzeit vorspielen. Die erwachsenen Geschwister sind weniger ineinander als in ihre glückliche Jugend verliebt: „Winterstürme wichen dem Wonnemond“. Der bisher poetischste Höhepunkt der „Ring“-Inszenierung.    

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Wolfgang Jäger | Di., 2. August 2022 - 12:11

"Keine einzige dieser Fragen bringt wirklich neue Erkenntnisse. Die Antworten sind oft beliebig und egal. Das Ideen-Feuerwerk zündet allein aus Selbstzweck. Und dann steht es auf der Bühne leider immer wieder handwerklich ziemlich still: unmotivierte Gänge, halbgare Aktionen und sinnloser Aktionismus. " (...)
Es zeichnet sich jetzt schon ab: Der liebe Herr Schwarz sollte doch mal bitte kleinere Brötchen backen. Mit 33 den Ring inszenieren?! Expertise? Musikalische Kenntnisse? Kann der überhaupt eine Partitur lesen? Zumal eine so komplexe?
Es ist eben so, wie es ist: Man muss einfach mal wieder über Hybris reden. Das scheint wohl eine typische Eigenschaft dieser jungen Senkrechtstarter zu sein, die quasi aus dem Nichts nach oben geschossen werden. In der Politik erleben wir ähnliche Phänomene. Jeder kann alles, jeder traut sich alles zu. Demut, Bescheidenheit, Respekt, Erfahrung? Brauchen wir alles nicht mehr! Ich fürchte, dass Schwarz an sich selbst scheitern wird. Und Bayreuth?