Illustration: Dominik Herrmann

Brüggemanns Bayreuth-Tagebuch Teil III - „Rheingold“: Hagen, der Systemsprenger oder In Walhall klemmt die Garage

Der Musikjournalist Axel Brüggemann dokumentiert für Cicero seine Eindrücke der Wagner-Festspiele. Im dritten Teil seines Bayreuth-Tagebuchs nimmt er sich die „Rheingold“-Inszenierung von Valentin Schwarz vor: Eine Reihe genialer Ideen, die allerdings nicht aufgehen und den „Ring“ über Gebühr zu einem Kreis biegen. Den Göttern jedenfalls ist fad.

Autoreninfo

Axel Brüggemann ist Musikjournalist und lebt in Bremen. Zuletzt erschien der von ihm herausgegebene Band „Wie Krach zur Musik wird“ (Beltz&Gelberg-Verlag)

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Kennen Sie das? Man ist so ziemlich dicht, aber man hat noch eine geniale Idee, bevor es ins Bett geht. Plötzlich ist völlig klar, wie man morgen die Welt retten wird. Wenn man dann allerdings aufsteht, passt alles irgendwie nicht mehr ganz zusammen. Nüchtern betrachtet, geht die genialste Idee manchmal einfach nicht auf.

Bayreuths „Ring“-Regisseur Valentin Schwarz hatte auch so eine großartige Idee. Genau genommen waren es zwei: Weltengott Wotan und sein Gegenspieler Alberich wachsen im gleichen Utero auf. Noch ungeboren, kratzt Alberich Wotan ein Auge aus, dafür tritt Wotan seinem Zwilling zwischen die Beine und sorgt für dessen Unfruchtbarkeit. Schwarz’ zweite Idee ist die Antwort auf eine Frage, die erst am letzten Opernabend, in der „Götterdämmerung“; aufkommt. Wenn Bösewicht Alberich den Bösewicht Hagen besucht und fragt: „Schläfst du, Hagen, mein Sohn?“ Bereits im „Rheingold“ erklärt Schwarz, dass Alberich seinen „Sohn“ gestohlen hat: Der kleine Hagen ist ein unangepasste Junge mit gelbem T-Shirt und Baseball-Cap im Planschbecken der Rheintöchter – er ist das „Rheingold“. Ein Vorzeige-Systemsprenger, dessen Talent zu Gewalt, Regellosigkeit und Anarchie Alberich im Kindergärten-Glaskäfig von Nibelheim fördert. Man könnte auch sagen: Er schmiedet den kleinen Hagen zum Weltuntergangs-Kämpfer, zum „Ring des Nibelungen“.

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Sabine Lehmann | Mo., 1. August 2022 - 17:23

Lieber Herr Brüggemann, schon bei den ersten Zeilen habe ich mich vor lachen fast an meinem Kaffee verschluckt. Obwohl ich wirklich nicht die Richtige für dieses Thema bin, weil ich schlichtweg Null Ahnung von der Materie habe, fühlte ich mich von Ihrem Artikel herrlich unterhalten. Ich wäre wahrscheinlich die Person im Publikum, die während einer mucksmäuschenstillen Handlungspause auf der Bühne mit quietschenden Schuhen zur Toilette müsste, und mich, wie bei Loriot, die empörten Blicke des gesamten Festsaals vernichten würden;-)
Aber mit Abstand am besten ist Ihr Intro mit der Frage "Kennen Sie das.....?" Ja und wie ich das kenne. Erst gestern Nacht hatte ich so exquisite Ideen und Gedanken zur Rettung der Welt in petto, die im Morgengrauen (oder besser: dem Morgen graute?) so fade aufgestoßen haben wie Haferflocken mit Wasser zum Frühstück.

Gabriele Bondzio | Di., 2. August 2022 - 10:04

Darüber kann der Zuschauer lachen oder weinen.
Wobei ich über manch zeitgenössisch-überarbeitete Vision, eher weinen kann.

Wagner ist ehe nicht so mein Fall, er plumps mir auf die Füße wie ein Mühlstein.

Vielleicht ein Erbteil meines Ur-Großvaters aus Triest, das meine Vorliebe der Italienischen Oper gehört.

Die italienischen Komponisten (Verdi, Rossini, Puccini) beherrschen einfach die,... wie soll ich sagen- "Leichtigkeit der Dramatik" besser.
Da kommt nur Mozart (aber er ist Österreicher) hin z.B. „Don Giovanni“ und „Die Zauberflöte“.

Sie haben das ganze lustig parodiert, Herr Brüggemann und so auch ihr eigenes Bild gezeichnet.
Es war also kein Verlust nicht zum erlauchten Publikum zu gehören.