Illustration: Dominik Herrmann

Brüggemanns Bayreuth-Tagebuch Teil I - Die Tristan-Scheibe oder Wenn Claudia Roth die Flasche aus der Hand fällt

Der Musik-Journalist Axel Brüggemann dokumentiert für Cicero seine Eindrücke der Wagner-Festspiele. Teil 1 seines Bayreuth-Tagebuchs: Die Premiere von „Tristan und Isolde“ – ein gut organisierter Rausch mit Zwischentönen, leider auch solchen aus der Politiker-VIP-Lounge.

Autoreninfo

Axel Brüggemann ist Musikjournalist und lebt in Bremen. Zuletzt erschien der von ihm herausgegebene Band „Wie Krach zur Musik wird“ (Beltz&Gelberg-Verlag)

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Am Fuße des Grünen Hügels zwei Demonstranten-Gruppen, es wird nicht richtig klar, wer die Linken und wer die Rechten sind – beide beschimpfen sich gegenseitig als „Nazis“, und beide sind offensichtlich: gegen Angela Merkel. Und nein, das war keine Inszenierung von Tobias Kratzer, kein Theater, sondern unsere wirkliche Wirklichkeit. Merkel ist zwar nicht mehr Kanzlerin, pilgert aber trotzdem weiter zu Wagner, so wie die ganze Bundesrepublik vor Corona: Thomas Gottschalk, einige Schlagergrößen, Markus Söder und natürlich Claudia Roth haben es sich in der Promi-Loge gemütlich gemacht und sind die einzigen, die Wasserflaschen mit ins Festspielhaus nehmen dürfen, die dann auch regelmäßig, besonders gern an den leisen Stellen, auf den Holzboden purzeln.

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In Grün: Angela Merkel bei der
Festspiel-Eröffnung

Auch ästhetisch ist der Auftakt der Bayreuther Festspiele eher ein wenig Retro. Die Schönheit steht bei Regisseur Roland Schwab im Vordergrund, das Transzendieren, die Bewegungslosigkeit im Angesicht der Musik. Grundkonstellation für das Liebes-Epos „Tristan und Isolde“ ist eine runde LED-Scheibe auf dem Boden, die mal stilles Wasser sein kann, das Tiefe vorgaukelt, mal zum Blutbad wird und dann zum immer schneller kreisenden Sternenkosmos wächst. Überhaupt hat Bühnenbildner Piero Vinciguerra einige Bayreuther Wagner-Regie-Reminiszenzen versteckt: Die „Tristan“-Scheibe ähnelt der „Ring“-Scheibe von Wieland Wagner, der grüne Baum, der im dritten Aufzug aus dem Decken-Oval wuchert, erinnert an den Liebesbaum von Regisseur Jean-Piere Ponnelle, und die Leuchtstäbe, die Tristan am Ende des zweiten Aufzugs durchbohren, stilisieren die Neon-Röhren von Christoph Marthaler.

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Joachim Kopic | Di., 26. Juli 2022 - 11:15

... wer gleicher ist und Trinken darf ;)
War erst vorgestern am Festspielhaus vorbeigefahren - zum Glück waren lauter "alte Herrschaften" in meiner "Julia" (Schnitt: 80), sonst wären wir am Ende von den rumlaufenden "Bodyguards" auch noch angehalten worden ... wir gehören ja zu den "ganz anderen Gleichen" ;)

Albert Schultheis | Di., 26. Juli 2022 - 16:08

nicht von den "Schönen", Reichen, Potentaten - sondern von den letzten noch malochenden neuen Leibeigenen (spätestens seit Corona).

Dorothee Sehrt-Irrek | Mi., 27. Juli 2022 - 09:20

zu Wagner?
Auch ein Herr Thielemann und später Frau Stutzmann.
Das kann Wagners Musik nur gut tun, denn "Bewegungslosigkeit im Angesicht der Musik" charakerisiert meiner Erfahrung nach diese Oper über die Maßen.
Aber ich mache es damit evtl. auch nicht anders, als Herr Brüggemann, der vielleicht Wagner und seine Pilger/innen noch einmal erhöhen will, indem er anderes herabsetzt und damit m.E. abstürzt.
Die Zeit ist auch über Wagner hinweggegangen, dessen bin ich mir bei meinen Konzertbesuchen zumeist trotz aller Anbetung bewußt, Herr Brüggemann liest sich m.E. nicht so. Tut das Wagner gut oder einem Erbe?

Achim Koester | Mi., 27. Juli 2022 - 10:44

haben ja schon Tradition bei jeder nur erdenklichen Veranstaltung. Da wird versucht, um jeden Preis Bagatellen aufzublasen, nur um zweifelhafte Aufmerksamkeit zu erregen. Warum darf eigentlich ein Dirigent von Weltrang wie Christian Thielemann seine Orchesterbesetzung nicht nach eigenem Gutdünken gestalten? Was Herrn Brüggemann angeht, auch ein Musikkritiker ist nicht unfehlbar, vor allem, wenn er so politisch einseitig motiviert ist. Er könnte sich gern mal an Eduard Hanslick (1825-1904) orientieren. Der hielt sich auch für allwissend. Noch besser passt auf ihne aber der "Musikkritiker" von Georg Kreisler.

Herrn Brüggemann nennen.
Las eine wunderbare Hommage an ihn auf standard-online.
Kreissler hat m. E. etwas höchst Komplexes und lässt doch durchscheinen, dass sein Musikkritiker auch richtig liegen könnte.
Herr Brüggemann "hymnisiert" eher, kommt aber damit der Musik Wagners eventuell sogar recht nahe?
Ein Grund, warum ich Wagner nun mal nicht ertrage.
Eine Aufführung mit Herrn Thielemann, in der auch dieser Schwan vorkam, richtig, Lohengrin, verzichtete m.E. darauf und so ertrage ich dann auch Wagner.
Mein derzeitiges Morgenkurzprogramm scheint mir dennoch lebendiger:
"Sanfte soll mein Todeskummer" Herreweghe Youtube "Protestant"
"Wachet auf" mit dem Thomanerchor und Gewandhausorchester Leipzig unter Kurt Thomas Youtube Smalin
"Schleicht spielende Wellen" mit Netherland Bach Society Youtube
Eine Wagner-Aufführung mit Frau Stutzmann, die ich eher mit Jaroussky "kenne", würde mich allerdings überreden, zuzuhören.
Aber die Bundesrepublik hört Wagner. Vielleicht verstehe ich es irgendwann