Britische Soldaten verlassen Afghanistan
Ende einer gescheiterten Intervention: Die letzten britischen Truppen verlassen im Oktober Afghanistan / dpa

Untersuchungsausschuss und Enquete-Kommission - Afghanistan-Einsatz: „Das war ein fatales Desaster des Westens“

Im vergangenen Jahr haben sich die westlichen Alliierten innerhalb kurzer Zeit aus Afghanistan zurückgezogen. Seitdem herrschen in dem Land, das 20 Jahre lang Kriegsschauplatz war, wieder die Taliban. Ein Untersuchungsausschuss und eine Enquete-Kommission sollen die Mission jetzt aus deutscher Perspektive aufarbeiten. Im Interview spricht Hans-Peter Bartels, ehemaliger Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestags, über die größten Fehler dieser langen Intervention und die wichtigsten Lehren für den Westen.

Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Hans-Peter Bartels ist Politikwissenschaftler und Journalist. Er war seit 1998 SPD-Bundestagsabgeordneter, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses und Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestags von 2015 bis 2020. Er ist Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik.

Herr Bartels, wie bewerten Sie rückblickend die Vorgänge ab Sommer 2021, als die westlichen Truppen innerhalb kurzer Zeit aus Afghanistan abgezogen sind?

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Karl-Heinz Weiß | Fr., 15. Juli 2022 - 08:59

Die Balkan-Missionen waren erfolgreich? Aus dem ehemaligen Jugoslawien sind mehrere Teilstaaten entstanden, ohne dass die ethnischen Konflikte gelöst wurden. Und vergleichbare Situationen bestehen im Irak, in Syrien, Libyen und Mali. Vom aktuellen Kriegsgebiet gar nicht zu reden. Untersuchungsausschüsse sind entbehrlich - ein Blick ins Geschichtsbuch ist absolut ausreichend.

Gerhard Lenz | Fr., 15. Juli 2022 - 09:32

Große Teile der Bevölkerung sicherlich. Daran ändert auch nichts, dass die Taliban selbst Afghanen sind, die zunehmend trotz ihrer Radikalität von der kriegsmüden Bevölkerung als Friedensbringer toleriert wurden - im Gegensatz zum Westen, der höchstens noch in kurzfristigen, örtlichen Konflikte erfolgreich blieb.

Man sollte sich doch nichts vormachen: Nach dem Sturz der Taliban wurschtelte der Westen - trotz erheblicher Opferzahlen - im Land lustlos vor sich hin. Korruption, Mißwirtschaft, kriegerische Clans weiteten sich aus bzw. sicherten sich Einfluss. Wahrscheinlich wusste Washington mehr darüber, was gerade in Peking oder Moskau passierte, als was in den Köpfen der Afghanis vor sich ging.
Trump, der bei einem Abzug aus Afghanistan zusätzliche Wählerstimmen erhoffte, lud die Taliban zur Machtübernahme ein, Biden hatte weder Mumm noch Lust, das zu ändern.

Nicht zum ersten Mal verließ eine Großmacht das Land wie ein geprügelter Hund: ähnlich ging es 1989 der Sowjetunion.

Christoph Kuhlmann | Fr., 15. Juli 2022 - 09:47

Beide Begriffe sind mir in dem Interview sauer aufgestoßen. Dann noch dieser Vergleich mit Japan. Das ist so als wenn jemand die Statik einer komplexen Konstruktion berechnen will ohne die Grundrechenarten zu beherrschen. Selbst wenn er mit viel Erfahrung und etlichen Zusammenbrüchen etwas zustande bringt hat er die Dynamik immer noch nicht mit drin. Fangen wir doch mal beim Vergleich Japan-Afghanistan an. Japan war 1945 seit Jahrhunderten eine Nation und Afghanistan eine Stammesgesellschaft mit einem supratribalen Gremium Namens Loja Dschirga. Abgesehen von einigen griechischen Stadtstaaten die quasi nationalstaatliche Einheiten darstellten, hat Demokratie immer zwei Voraussetzungen a) den Nationalstaat und b) ein dominierendes Bürgertum, welches zur Koordination seiner Interessen auf demokratische Abstimmungsprozesse angewiesen ist. Die Abhängigkeit der Menschen von Stammesältesten oder staatlichen Monopolen/Oligopolen schließt Demokratie aus. Wer das ignoriert verbrennt Billiarden.

Es kann nicht genug und stets neu betont werden, daß Demokratie nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen zu verwirklichen ist.
Dazu gehören vor allem - wie Sie richtig hervorheben, lieber Herr Kuhlmann - eine bestehende, überschaubare staatliche Einheit (= Nation) und Bürger, die sich für den Erhalt, den Wohlstand und die Kultur dieses Staates verantwortlich fühlen u. sie verteidigen.
Allzu viel Diversität ist da schon kontraproduktiv.
Die irrige Annahme, demokratische Strukturen dorthin exportieren zu können, wo
Stammesherrschaft oder diktatorische Regime seit Jahrhunderten existieren,
einer der dümmsten Fehler, die man machen kann. Dennoch lassen offensichtlich manche Menschen nicht von diesem Gedanken ab.
Wenn überhaupt, dann kann Demokratie nur von unten wachsen.
Implantieren läßt sie sich nicht.
Und es ist noch die große Frage, ob überhaupt a l l e Menschen sich in einer Demokratie wohler fühlen als in einer anderen, viel rigideren Gemeinschaftsordnung.

Joachim Kopic | Fr., 15. Juli 2022 - 09:56

... dabei ist das Desaster für den "Westen" noch deutlich größer, wie mir scheint und pikante Nebenbemerkung: "Wir" waren auch noch so dumm, den Feinden selbst moderne Waffen geliefert zu haben, damit die die Russen ... kommt einem bekannt vor, oder!?!

Christoph Kuhlmann | Fr., 15. Juli 2022 - 10:02

Schlimmer noch, neben den sinnlos vergeudeten gut 2 Billiarden USD für das "Nation Building", ist Afghanistan durch den militärischen Einsatz des Westens 20 Jahre daran gehindert worden zur Nation zur werden. Die Taliban hatten das Land weitgehend unter Kontrolle. Sie sind die einzige Kraft, die es zu einer Nation formen kann. Jede Einmischung von außen ist für die meisten Afghanen eine Art von Imperialismus, dem Afghanistan stets widerstanden hat. Die Evolution von einer tribalen Gesellschaft zum bürgerlich, demokratischen Nationalstaat dauert, empirisch gesehen, Jahrhunderte, das kann auch mal tausend Jahre dauern, je nach Definition. Wer also meint in einem Land mit dominierenden tribalen Strukturen, innerhalb von Jahrzehnten, Demokratie implementieren zu können offenbart seine komplette Inkompetenz in historischen und Gesellschaftstheoretischen Fragen.

Karl-Heinz Weiß | Fr., 15. Juli 2022 - 13:50

Antwort auf von Christoph Kuhlmann

@Herr Kuhlmann, Sie haben das Problem exakt beschrieben. Wer die Probleme von Stammesgesellschaften leugnet, handelt ignorant. Den Spagat hat ein afrikanischer Politiker sinngemäß so umrissen: Wenn Du nur dem Land dienst, begehst Du Verrat an Deinen Stamm.

Achim Koester | Fr., 15. Juli 2022 - 10:23

Einen größeren Blödsinn hat selten jemand verzapft, um das sinnlose Sterben deutscher Soldaten und die in den Sand gesetzten Milliarden zu rechtfertigen. Das Land war seit 1979 ein Spielball sowjetischer und amerikanischer Interessen, und Deutschland hat sich zum nützlichen Idioten machen lassen, der die Kastanien für Andere aus dem Feuer holen sollte.
Erfolg gleich null.

Markus Michaelis | Fr., 15. Juli 2022 - 11:08

Aus meiner Sicht sollten wir da umlernen - dringend! Vielleicht geht "Whatever it takes" auf dem Balkan und selbst da gibt es viele Anzeichen der Überforderung. Mit diesem Ansatz nach Afghanistan und in die ganze Welt rauszugehen, überschätzt die eigenen Kräfte, auch die eigene Geschlossenheit und Orientierung. Wir können froh sein die nächsten Jahrzehnte unsere eigenen Strukturen und Gesellschaften zusammenzuhalten.

Zentral bei uns ist der nicht verhandelbare Glaube an universelle Grundsätze - allen voran "die" Menschenrechte. Jede Gesellschaft braucht soetwas. Aber man darf das nicht dazu "pervertieren", dass man selber etwas für die Welt als absolut erklärt - und der EGMR sagt dann der Welt wo es lang geht? Alles, auch Menschenrechte, sind Interpretationen - und wer wendet das auf den Einzelfall und in Abwägung zu anderen Dingen an? Wir sollten weniger in Absolutheitsansprüchen denken und mehr in einer vielfältigen Welt.

Ich lese Ihre Kommentare immer gern, weil sie versuchen sehr tiefgründig und mit einer angemessenen Rhetorik ihre Sichtweisen kundzutun. Heute mag ich Ihnen mal für diesen Kommentar meinen absoluten Zuspruch mitteilen. Wenngleich wir alle einer Menschheitsfamilie angehören, so muss auch die westliche Gesellschaft akzeptieren, dass es so viele unterschiedliche Sichtweisen zu Kultur und Gesellschaft gibt, wie es Ethnien gibt, die jede für sich berechtigt ihre Recht auf eigene Gestaltung ihres Lebens hat. Man mag vieles persönlich anders sehen und mag vieles nicht mit seinen persönlichen Werten vereinbar finden und dennoch hat jede menschliche Kultur ein Recht sich zu überleben. Man denke nur an Naturvölker, die teilweise für uns angeblich "aufgeklärten und fortschrittlichen Nationen" abzulehnende kulturell geprägte Eigenarten haben und dennoch haben auch diese Völker ein Recht auf "ihr" Leben, mag es uns noch so absonderlich vorkommen.

Jochen Rollwagen | Fr., 15. Juli 2022 - 11:32

Der Westen verballert Milliarden an Geld sowie irrsinnige Mengen an Waffen für einen Konflikt, den man nicht gewinnen kann in einem Land, das man nicht versteht. Nd baut Geister-Armeen auf, die sich von heute auf morgen in Luft auflösen. Alles für Dingsbums. Und merken tut man das erst, als die Leute in Panik auf einer Landebahn irgendeinem Flugzeug hinterher rennen. Aber eigentlich noch nicht mal dann. Und irgendein Politiker setzt sich rechtzeitig mit Koffern voller Dollars in's Ausland ab.

Woran muß ich da gerade denken ? Weiß nicht. Muß weg. Die Wareniki sind fertig.

Guten Appetit.

... und danke hier besonders an Herrn Kuhlmann. Aber was mich immer wieder verwundert, ist diese Sichtweise, wie sie Hausfrauen und -männer auf ihren eigenen Haushalt hätten, was den Einsatz von Geld, hier von mir aus Billionen, angeht für Projekte solcher und anderer Art.

Zum einen ist das NIE das erarbeitete oder verdiente Geld der "es Ausgebenden", zum anderen bekommen den Löwenanteil dieser Unsummen nicht kleine Gemüsehändler, Putzfrauen oder Taxichauffierende, sondern Konzerne gewaltigen Ausmaßes, sei es im Rüstungs- oder Waffentechnikbereich, im Ausrüstungs-, Logistik- oder im Verpflegungssektor.
Darum hört man auch nie Klagen von dieser Seite über die unter Normalo-Gesichtspunkten so erscheinende "Geldverschwendung": das ist deren business as usual, auf gut Deutsch Geschäfte- bzw. Profitmacherei - so what!?
Wie sagte meine Mutter selig oft, verzweifelt ob so mancher Nachrichten schon vor 15 Jahren: aber wenigstens schafft es Arbeitsplätze - deutsches Herz, was willst Du mehr?!

Dirk Weller | Mo., 18. Juli 2022 - 08:04

Eine meiner Tanten war in den 70igern einige Jahre als Entwicklungshelferin in Afghanistan.
Als sie von dem geplanten Einmarsch in Afghanistan erfuhr, hat sie laut gelacht.
Sie hielt es für völlig abwegig, dass westliche "ungläubige" Militärs in das Land einmarschieren, und eine seit Jahrhunderten bestehende multikulturelle Stammesgesellschaft mit Clans und Warlords in die Demokratie führen könnten.
Sie hat Recht behalten.
Erstaunlich, dass diverse "Experten" zu dieser Feststellung schlicht zu blöd oder naiv waren, bzw. immer noch sind.
Die Demokratie muß aus dem Land selber kommen, nicht von aussen "übergestülpt" werden.
Daher sollte auch die Berichterstattung aus Afghanistan reduziert werden.
Die Menschen in dem Land sind erster Linie für sich selbst verantwortlich.