Emmanuel Macron legt grübelnd den Finger auf den Mund
Zwischen Schlappen und Chancen: Emmanuel Macron / dpa

Nachwehen der Parlamentswahl in Frankreich - Warum mit Macron die gesamte EU verloren haben könnte

Nur zwei Monate nachdem Emmanuel Macron als erster Präsident seit 20 Jahren wiedergewählt wurde, die dicke Klatsche. Seine Partei verlor die Mehrheit im Parlament – und das klar und deutlich, auch das erstmals seit über 20 Jahren. Nicht nur Macrons Schlappe ist ein Problem für die Demokratie, schreibt Kay Walter - auch, dass die Mehrheit der Bürger die Wahl zum Nationalparlament für nicht relevant genug erachtete, um überhaupt an der Abstimmung teilzunehmen.

Kay Walter

Autoreninfo

Kay Walter arbeitet als freier Journalist in Frankreich

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Jetzt, eine Woche nach dem Wahlgang, steht Frankreich noch immer mit großen Fragezeichen im Gesicht vor dem Ergebnis. Und versteht nicht so recht, wie es weitergehen soll. Trotz aller TV-Runden, Zeitungsanalysen, einer Ansprache des Präsidenten und minütlicher Einlassungen aller sich wichtig fühlenden Parteimitglieder jedweder Strömung und Couleur: So richtig Erhellendes ist noch nicht dabei herausgekommen. Schon gar keine Antwort, wie es denn nun weitergehen soll.

Verantwortungsgefühl sieht anders aus

Christian Jacob, Chef der bürgerlich-rechten Les Republicains, die mit 61 Mandaten die viertstärkste Fraktion stellen werden, fühlte sich gar bemüßigt, auf die Frage nach möglicher Zusammenarbeit zu äußern: „Ich bin doch kein Deutscher!“ Natürlich gebe es weder einen Pakt noch eine Koalition. Kompromissfähigkeit und Verantwortungsgefühl sehen anders aus.

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M. Bernstein | Di., 28. Juni 2022 - 12:11

Auch vor 100 Jahren gab es schwierige Zeiten, wir betonen immer, was wir daraus gelernt haben, es zeigt sich aber immer mehr, dass wir eigentlich nichts gelernt haben.
Im Prinzip haben wir eine revolutionäre Situation, denn die Bürger wollen nicht mehr so regiert werden und die Regierenden können nicht mehr so regieren. Letztlich ist das allen bewusst und die Lösung kann nur darin bestehen aufeinander zu zugehen. Leider passiert gerade das aber nicht. Die Bevölkerung wird gespalten wo es nur geht und wir haben genügend Rechthaber, die einfach nur Recht haben wollen.

Markus Michaelis | Di., 28. Juni 2022 - 12:19

Mehr Dinge (wie Abtreibung) in die Verfassung aufzunehmen ist doch gerade das Gegenteil von "weniger reine Lehre"?

Ich denke, dass immer noch zu sehr der Gedanke besteht, dass es universelle Werte gibt (und die Hauptgefahr dagegen von Rechts kommt).

Ich sehe es mehr so, dass es eben nicht soviele universelle Sichtweisen gibt und Frankreich, wie viele westliche Staaten, aufgrund vieler Entwicklungen eben keine klare, gemeinsame Idee einer Gesellschaft mehr hat.

Ob Deutschland mit mehr Koalitionen da besser fährt? Hinter Herrn Walters Ausführungen steckt doch auch eher der französische Ansatz, dass es klar richtige Politik gibt und man so stark werden sollte, dass man die Gegner überflügelt. Meist läuft es auch so - man weiß nur noch nicht für welches Lager. Ich denke dagegen, dass auch das "Richtige" viele Alternativen hat und daher eine Entscheidung ist, für die man überzeugen muss. Viele andere Entscheidungen wären möglich und wären genauso richtig (oder falsch).

Richard Schneider | Di., 28. Juni 2022 - 12:23

Le Pen oder einer ihrer Widergänger wird sich kaum verhindern lassen, wenn Frankreich weiterhin sozial bröckelt. Das ist dann richtiger Horror: Die abgehobene Politik der Mitte scheitert derartig, dass man Wahnsinnige an die Macht holt.

Karl-Heinz Weiß | Di., 28. Juni 2022 - 12:33

Die wenig ausgeprägte Kompromissbereitschaft der Franzosen wird gut beschrieben-an sich ein Widerspruch zum "Leben und leben lassen". Entweder Revolution oder Napoleon-Herr Macron ist eben kein Heilsbringer, sondern zwischenzeitlich ein recht abgehobener Neo-Louis XIV. Das deutsche Verhältniswahlrecht ist ein Garant gegen solche Entwicklungen.

Dorothee Sehrt-Irrek | Di., 28. Juni 2022 - 12:37

in Frankreich?
Ich dachte eher, dass sich die Franzosen über die "schwerfälligen" Deutschen lustig machen, wie in dem Film "Die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten"?
Tut mir leid, dass ich nach 16 Jahren Frau Merkel kein naiver Fan mehr der EU bin.
Nach Napoleon war ich auch kein naiver Fan der Franzosen mehr.
Ich bin aber trotz der grauenhaften jüngeren Geschichte ein Fan Deutschlands geworden, bitte schön NICHT verwechseln mit "wegen der ..."
Die Franzosen werden jetzt ein learning by doing erleben, bestenfalls. Sonst gibt es Neuwahlen?
Aber Macron wird wohl schlecht verbergen können, dass er politisch fähig ist.
Ich mache mir also überhaupt keine Sorgen.
Die "Schlachten" der EU werden jetzt schon in Tschechien, Schweden und Spanien geschlagen?
Im Ernst, das soll ein Fortschritt sein, permanenter "Binnenkrieg" der leisen Art?
Mit dieser EU ist auch die Macht über die EU gewachsen.
Ich bin nicht begeistert.
Mögen die Franzosen über Deutschland "lachen", "wir" denken nach...?

Romuald Veselic | Di., 28. Juni 2022 - 13:48

einer Demokratie, die an unterschiedlichen Fundamenten basieren u. damit muss man sich auch in D abfinden. Es steht nirgends vorgeschrieben, dass D gemocht werden muss. Das Nichtmögen, macht die Buntheit nicht weniger bunt.

D wird nicht wg. seiner politischen Landschaft bewundert, sondern wg. technisch-wirtschaftlicher Kompetenz, die nicht mehr die alte ist, siehe die aktuelle Netzinfrastruktur. Einzig die industriell-innovative und fundierte Fähigkeit, macht D zum Ausnahmefall. Sowie die solid arbeitende Minderheit, die noch Werte produziert u. sich nicht von Befindlichkeit der Promille-Minderheiten ablenken läßt.
Die Mehrheit der D-Politbetonköpfe frönt über Klimarettung, die man nie retten wird, geschweige, mit Temperaturvorgaben einhegt. Das ist meine unverbindliche Aussage.
Bitte nicht böse sein, wenn dies noch früher eintritt, als 2030 ??
Und: Nicht vergessen - die Weltbevölkerung wächst durchschnittlich um 90 Mio. jährlich. Damit wird keine Welthungerhilfe je fertig.

Ingo Frank | Di., 28. Juni 2022 - 13:58

auch nicht der anderen Innenpolitik der EU Staaten. Jedoch wurde im Artikel von Le Pen über die Konservativen bis zu den Linken alles beleuchtet. Was machen eigentlich die „Grünen“ im Orchester Frankreichs und der anderen Orchester im Musikpalast EU? Spielen die da auch die 1. und 2. Geige wie in Buntland D? Oder halten die Grünen lediglich die Drieangel mit einem Schlag zum einmaligen zarten Ton pro Sinfonie?
Mit freundlichen Gruß aus der Erfurter Republik

Helmut W. Hoffmann | Di., 28. Juni 2022 - 14:15

Die Franzosen hatten immer schon den Mut, etwas radikal zu verändern - genau das, was dem deutschen Michel fehlt. Nun steht der Elite-Junge belämmert da und was macht ein Politiker hier wie dort? - er appelliert: "Der Präsident hat in seiner Rede an die Nation staatsbürgerliche Verantwortung bei allen Parteien angemahnt". Dümmer geht´s nimmer.

Gerhard Lenz | Di., 28. Juni 2022 - 14:28

Man darf gespannt sein, wie und wo Macron sich seine Mehrheiten sucht -man darf davon ausgehen, dass er sie finden wird. Sozialisten, Grüne und auch die meisten Konservativen werden Macron die notwendigen Mehrheiten verschaffen, wenn auch gegen Zugeständnisse.

Einmal mehr zeigt sich die Schwäche des Präsidialsystems - die entscheidende Wahl ist die des Präsidenten. Das Parlament wird per Mehrheitswahlrecht zusammengesetzt, d.h. die Stimmen der Wahlverlierer in den Wahlbezirken sind verloren. Nicht die stärkste Partei dominiert, sondern oft jene, die sich regionale Unterstützung anderer sichern kann.
Melenchon hat sein Ziel nicht erreicht, Le Pen ist also stärker geworden, aber immer noch viel zu schwach, um politisch mitzureden. Macron wird sich hüten, mit den z.T. rassistischen Rechtsextremisten gemeine Sache zu machen.

Interessant dürfte es werden, wenn Macron in fünf Jahren nicht wieder antreten darf. Die Dauerkandidaten Le Pen und Melenchon werden sicher wieder zur Stelle sein.

Tomas Poth | Di., 28. Juni 2022 - 15:00

... verloren haben???
Das ist eine Frage des Standpunktes.
Aus meiner Sicht hat die EU durch ihre Europolitik, ihren Zentralismus, ihre Übergriffigkeit auf die Souveränität der Mitglieder schon lange an Zustimmung verloren. Die wirklich schweren Tage kommen noch wenn der Euro platzt, ob mit oder ohne Macron.
Zurück zur EWG souveräner Mitgliedsstaaten und ein europäisches Verteidigungs- und Sicherheitsbündnis.

Bernhard Homa | Di., 28. Juni 2022 - 15:54

Zunächst: zwar wird die schlechte Wahlbeteiligung erwähnt, aber nicht deren Ursache: das groteske "the winner takes it all"-Wahlsystem, das den Wählerwillen massiv verzerrt. Vor allem anderen wäre dieses Problem anzugehen - aber dann wäre es halt mit gemütlichen absoluten Mehrheiten für Monsieur le Président vorbei.

Kompromissfähigkeit: die würde vielleicht auch durch ein etwas repräsentativeres Parkament (s.o.) gefördert – ansonsten ist hier vor allem der von Walter allzu hymnisch verklärte Macron gefordert. Aber dazu müsste er halt zunächst mal die Attitüde des selbstherrlich durchregierenden Sonnenkönigs ablegen. "Staatsbürgerliche Verantwortung" hat vor allen anderen die Staatsspitze demonstrieren

Sabine Lehmann | Di., 28. Juni 2022 - 18:56

Wenn Macron fällt, wer soll denn dann noch mit dem „Poser“ in Moskau sprechen? Schien mir der Einzige zu sein mit dem Putin noch reden wollte. Sehr interessant und aufschlussreich fand ich heute ein in der Welt veröffentlichtes Telefongespräch zwischen Macron und Putin. Ich fände es grundsätzlich gut, wenn viel mehr über solche Unterhaltungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht würden!
Das Telefonat zeigt aber auch ganz deutlich, wie sehr die Karre schon verfahren war und wie viel Vertrauensverlust auf beiden Seiten Vorschub für diesen Krieg geleistet hat.
Ich frage mich sowieso oft, ob Machtmenschen wie Putin überhaupt noch zugänglich sind für Argumente, Dialoge und Frieden.