Ein Ausschnitt des umstrittenen Großgemäldes des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi auf dem Friedrichsplatz. Erneut gibt es Antisemitismus-Vorwürfe gegen die documenta fifteen. Auf dem Banner sind mehrere antisemitische Motive zu sehen.
Ein Ausschnitt des umstrittenen Großgemäldes des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi. Auf dem Banner sind mehrere antisemitische Motive zu sehen. / dpaa

Protest gegen Banner auf der Documenta 15 - Das Werk ist immer klüger als sein Autor

Das Banner „People’s Justice“ des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi wurde nach Protesten wegen antisemitischer Symbolik abmontiert. Die Künstler und die Generaldirektorin der Documenta sagen, die „antisemitische Lesart“ sei nicht intendiert gewesen und implizieren, die Symbolik sei nur im deutschen Kontext problematisch. Zumindest Letzteres ist unwahr. Trotzdem ist es richtig, das Werk vor dem Hintergrund der unaufgearbeiteten Geschichte Indonesiens einzuordnen.

Ulrich Thiele

Autoreninfo

Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Nach Protesten wegen antisemitischer Bildsprache wurde am Montag ein Banner des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi mit schwarzen Tüchern verhüllt. Tags darauf wurde es auf öffentlichen Druck gänzlich entfernt. Das großflächige Wimmelbild „People’s Justice“ ist eine Art Agitprop-Triptychon, das einen kapitalistisch-militärischen Machtkomplex dem unterdrückten Volk gegenüberstellt. Über dem Unterdrückungsszenario steht ein Fegefeuer, in dem die Unterdrückten über die Unterdrücker richten. Aufseiten des bösen Machtkomplexes sind neben dämonischen Fratzen ein orthodoxer Jude mit Raffzähnen, Hakennase und SS-Runen zu sehen, sowie ein Soldat mit Schweinsgesicht, der einen Helm mit der Aufschrift „Mossad“ trägt.

Die Generaldirektorin der Documenta 15, Sabine Schormann, verteidigte, eine „antisemitische Lesart“ sei nicht intendiert gewesen, und „wenn dieses Werk in Deutschland an die Grenzen des Darstellbaren kommt, sehen wir das nicht als Abschlussstatement, sondern als Ausgangspunkt für eine weitere Diskussion“ an. Auch das Künstlerkollektiv hat sich zu Wort gemeldet: „Wir haben aus unserem Fehler gelernt und erkennen jetzt, dass unsere Bildsprache im historischen Kontext Deutschlands eine spezifische Bedeutung bekommen hat.“ Als Kollektiv von Künstlern, „die Rassismus jeglicher Art verurteilen, sind wir schockiert und traurig über die mediale Berichterstattung, die uns als antisemitisch bezeichnet.“

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Christoph Kuhlmann | So., 26. Juni 2022 - 09:48

über die eigenen Vorurteile nachzudenken. Doch auch bei aller Erklärung und Hintergrundmaterial habe ich ein Problem damit. Im Bemühen um Verständnis relativiert man das Verbrechen. In Deutschland ist das mindestens Volksverhetzung. Das hat seinen Grund. Ich erwarte von einem Kunstwerk eine gewisse Abstraktion und Reflexionsleistung welche die Propagierung von Stereotypen hinterfragt und nicht unkommentiert verwendet. Gerade wenn es um politische Kunst geht. Die Kunst liegt ganz im Auge des Betrachters. Wenn, dann sollte das Werk im Rahmen einer Veranstaltung mit Einführung und Diskussion gezeigt werden und nicht kommentarlos auf einem öffentlichen Platz. Sozialer Protest ist nicht immer schön. Die Unterdrückten sind oft nicht die besseren Menschen. (Auch so ein Stereotyp, dass der Moralisierung geschuldet ist.) Aber man muss sich irgendwann entscheiden ob man Kunst machen will oder allgemeinverständliche, politische Aussagen. Ich sehe da die Kuratorin in der Verantwortung.

... den Blick dafür, dass der Antisemitismus des sog. "Global South" (mit Johannesburg als Hauptstadt-der-Bewegung) nicht nur klassisch-muslimisch oder klassisch-links, sondern mindestens so divers und plural ist, wie westliches Gutmenschentum (dessen Diversity-Kult sich indes auch als verkappte Homophobie, verkappte Transphobie entlarvt, nebst eher plumpem Antiintellektualismus).

Die Empfindung "An westlichen Geheimdiensten klebt Blut" hat MIT ANFÜHRUNGSZEICHEN mehr objektiven Gehalt, als ohne.
Ohne, mutet sie wie die Empörung des Tagesspiegel-Hrsg. über 70 Mrd Dividendenausschüttung "in diesen Zeiten"[!] an.
(Sozusagen: "Accrued Dividend Lumbung NOW!")

In Sachen 'Blut' können sich auch 'Studenten' sehen lassen (von nicht-westlichen Diensten ganz zu schweigen).

Ergänzend: Indonesiens KONFRONTASI gegen Malaysia; deren vom islamischen 'Vatican' (damals führend: Ägypten) im Keim erstickte Freundschaft zu Israel.
Und an unseren Herrn C. Heusgen klebt nicht Blut, aber gut Duft.

Wolfgang Tröbner | So., 26. Juni 2022 - 09:52

Verstehe ich richtig? Das Werk von Taring Padi ist keine antisemitische Schmiererei, sondern große Kunst? Mit der man sich intensiver auseinandersetzen muss, um seine Großartigkeit und Gedankenfülle erfassen zu können? Ich z.B. wäre nie darauf gekommen, dass Deutschland Schuld trägt an den in diesem "Kunstwerk" thematisierten Problemen: "Man könnte ... ergänzend zu der aktuellen Debatte um Antisemitismus die Rolle DEs in diesem Massaker thematisieren." Aha. Also müssen wir uns eigentlich bedanken bei der documenta und ihren Machern, die uns die Gelegenheit geben, das zu verstehen? Wäre es daher nicht wünschenswert, die documenta-Verantwortlichen (angefangen von S. Schormann bis hin zu C. Roth) und auch Taring Pardi mit dem großen Bundesverdienstkreuz zu ehren? Wenn "sachlich begründete Kritik" nicht mehr "auf eine subjektiv-gefühlte, deutschlandspezifische Rezeptionsebene verschoben" werden soll, gilt das dann generell für Antisemitismus? Oder nur für den linken oder islamischen?

Lieber Herr Tröbner,

nein, Sie verstehen nicht richtig. Die Formel "Das Werk ist klüger als sein Autor" ist keine künstlerische Bewertung, sie verweist darauf: Ein Autor mag bestimmte Intentionen haben, aber er ist nicht Herr über sein Werk, weil auch er ein Teil seiner Umwelt ist und so unbewusst zeit- und ortbedingte Diskurse und Ideologien in sein Werk fließen. Taring Padi mag die antisemitische Ideologie im Werk nicht intendiert haben, aber das Werk selbst offenbart sie, deswegen ist es klüger als seine Autoren. Von Großartigkeit schreibe ich an keiner Stelle, im Gegenteil, das Bild hätte nicht aufgehängt werden dürfen. Ich schreibe, die Agitprop-Vereinfachung der Machtstrukturen ist so grob, dass sie, für antisemitische Welterklärungen typisch, einzelne (jüdische) "Fädenzieher" sieht, die das Weltgeschehen lenken.

Dass Deutschland das Massaker von 1965 unterstützt hat, ist unabhängig davon eine kaum bekannte Tatsache.

Herzlich,

UT

Dorothee Sehrt-Irrek | So., 26. Juni 2022 - 10:55

auf dem Bild eine Kombination aller Beteiligten an dieser Geschichte Indonesiens sein?
Als da wären, Schweine als Kapitalisten, der Mossad, die CIA und Deutschland als Nazimacht?
Es bezieht sich dann nicht nur auf Israelis, die wie ein Sammelsurium dieser Mächte dastünden?
Dazu müßte man auch die Geschichte des Deutschen Reiches, des 3. Reiches und der Bundesrepublik in Bezug auf Indonesien kennen.
Der Monotheismus ist übrigens der Beitrag des Judentums für den Islam und das Christentum, eine höchste kulturelle und religiöse Leistung des israelischen Volkes.
Das bewahrt nun niemanden vor gravierenden Fehlern.
Die Angst Europas vor dem Kommunismus ist stark, obwohl er sich in Europa entwickelte, was aber ist der Kommunismus in Asien?
Vielleicht, angesichts des Zeitraumes rasant sich ausbreitender Moderne/Kapitalismus/Imperialismus bzw. Kolonialismus, etwas wie der Widerstand der Gesellschaft und gebildeten Schichten, ähnlich wie in Lateinamerika?
Das Bild wäre Indonesiens self respect?

Der religiöse Generalbass Indonesiens dürfte der Hinduismus sein.
Dann haben wir die vielen kolonialen Einflüsse/Drangsalierungen.
Nun gibt es eine religiöse Strömung, die vielleicht noch nicht richtig eingeordnet ist, die Abangan, deren Boden evtl. der Hinduismus ist , erweitert durch alle anderen Religionen.
Es ist wirklich wichtig, angesichts der Greueltaten im Namen von Christus, dass solche Teil-Annahmen von je "fremden" Religionen begrüßt und als Gesprächs- und Glaubenspartner akzeptiert werden.
Monotheismus ist weniger wichtig als Glaube an einen Gott, sondern als Glauben an das Göttliche, an Spiritualität, an Transzendenz, darin aber dann doch vielfältig.
Ebenso in der Politik. Wichtig ist die Bewahrung des Politischen durch ALLE, darin dann die eigene politische Agenda usw.
Dazu braucht es je vor Ort Menschen, die einen Sinn für Zusamenhänge haben und Ideen im Einzelnen.
Das wäre eigentlich nicht mehr nur eine zivile Gesellschaft, sondern eine umfassende, ohne zu erdrücken.

Markus Michaelis | So., 26. Juni 2022 - 11:36

"„Im Unterschied zum Rassismus ... ist Antisemitismus ein umfassendes Weltbild."

Ja, aber auch das sind deutsche Betonungen. Ich unterstütze die, sehe aber dass das weltweit viel bunter gesehen wird. Für mich ist das ein Beispiel meines öfters vorgetragenen Punktes, dass wir in D Weltoffenheit und Vielfalt etwas deutsch und eng sehen. Man stelle sich gedanklich eine Fusion Indonesiens und Deutschlands vor und spiele die gesellschaftlichen Diskussionen durch (geht auch mit allen anderen Ländern). Bei aller Zustimmung zur Sichtweise des Artikels scheint mir klar, dass unsere Auffassung, auch zum Holocaust, global nicht 1-1 haltbar ist. Mein Ausweg ist, dass ich an vielen unserer Sichtweisen mehr festhalten würde, dafür Weltoffenheit und Vielfalt nicht einseitig positiv sehe, sondern richtig zu dosieren und abzugrenzen. Jeder kann hier seine Vorlieben haben - alles zusammen kann man glaube ich nicht haben.

Thorwald Franke | So., 26. Juni 2022 - 12:11

Um das Bild abzurunden, müsste man auch noch die Frage stellen, was denn die Kommunisten getan hätten, wenn sie in Indonesien zu Macht und Einfluss gelangt wären. Vermutlich auch nichts Gutes. Vermutlich auch eine Menge Tote. Das soll das Massaker an den Kommunisten nicht rechtfertigen, sondern das moralische Dilemma in den Blick nehmen: Irgendein Massaker hätte es wohl in jedem Fall gegeben.

Die Kommunisten sind nicht die Retter der Unterdrückten, sondern ebenfalls Unterdrücker. Und diese Weisheit fehlt in dem Banner definitiv.

Indonesien ist eines der Länder, wie auch Syrien und viele andere, in denen es nur "Verrückte" gibt: Islamisten, Kommunisten, Nationalisten. Normalvernünftige und gemäßigte Gruppen fehlen. Sozialdemokraten oder Christdemokraten oder Liberale gibt's nicht.

Wenn der Westen was Gutes tun wollte, müsste er solche Kräfte fördern.

Wo ich Ihnen sehr Recht gebe ist, dass keine Lösung, sicher auch nicht die der indonesischen Kommunisten in den 60ern allen Menschen gepasst hätte.

Ich denke auch, dass wir Strömungen, die wir für gut halten, fördern sollten - aber indirekt: indem Menschen zu "uns" kommen können, und sehen, ob ihnen Dinge bei uns besser gefallen und wie das funktioniert. Indem Informationen frei zugänglich sind. Mit aktiven Förderungen weltweit wäre ich zurückhaltend: die sind glaube ich ein Grund, warum der Westen in der Welt nicht immer das höchste Ansehen hat - Förderungen werden oft als Eingriffe empfunden und bewirken das Gegenteil. Förderung und Druck für Chinas Sichtweisen etwa lässt viele Leute bei uns folgen, bei vielen anderen bewirkt es aber auch das Gegenteil. Ich würde in anderen Ländern nur dort fördern, wo es auch von breiteren Schichten nachgefragt wird.

Ich denke, der Westen wird auf absehbare Zeit mit einer vielfältigeren Welt mit verschiedenen Ansichten leben müssen.

Ich denke schon, dass ein aktives Fördern von Bewegungen auch in diesen Ländern Sinn macht und funktionieren kann. (a) Ich habe noch keinen gesehen, der unsere Goethe-Institute für etwas verantwortlich macht. Aber auch das ist Förderung vor Ort. (b) Unser Geld wird immer gern genommen. Es gibt keinen Grund, es bedingungslos herauszugeben. -- Es ist wie mit jeder Entwicklungshilfe: Es kommt sehr darauf an, wie man es macht. Dem Diktator ein paar Millionen in die Hand drücken und an das Gute im Menschen glauben wird nicht helfen.

Johannes Klug | So., 26. Juni 2022 - 18:17

Der Artikel zeigt Zusammenhänge auf, die in der Diskussion bisher nicht hinreichend zur Sprache gekommen sind.

Bernhard Homa | So., 26. Juni 2022 - 19:18

Was wieder mal zeigt: besonnen analysieren ist aufwendiger als großsprecherisch herumzublöken - aber die Gabe zu ersterem ist halt nicht jedem gegeben.
Ansonsten bestätigt sich die alte Weisheit, dass jeder besser erst mal vor der eigenen Haustüre kehren soll, bevor er andere zu belehren beginnt.

Wolfram Fischer | Di., 28. Juni 2022 - 18:43

Ein paar maßgebliche Fakten: - Es wurde von den Kuratoren kein jüdischer Künstler eingeladen.
- Das besagte Künstlerkollektiv ist bekannt dafür, mit BDS verbandelt zu sein.
- Bilder mit klar - und zwar nicht aus den letzten 70 Jahren stammenden, sondern jahrhunderte alten antisemitischen Widerlichkeiten.
Das bedeutet:
Da helfen auch die ganzen Relativierungsversuche aus der "spezifischen indonesischen Geschichte heraus" - so historisch interessant sie per se sein mag - nicht weiter, in der Summe greift das Eine in's Andere und es ergibt sich ein klares Bild: die documenta, die Kuratoren, die Künstergruppe im Verbund können nur als antisemitisch bezeichnet werden.
Und neben diesen handelnden Personen haben die verantwortlichen Personen der documenta sowie die ebenso verantwortliche Kulturstaatssekretärin Roth, die sich jetzt auch noch ganz frech an die Spitze der Empörung stellt, desaströs versagt.
Folgen?
Ich fürchte, es werden keine nennswerten sein...