Boris Johnson kratzt sich am Kopf
Loose Cannon? Der mögliche Rechtsbruch durch das Nordirland-Gesetz lässt nach der Partygate-Affäre erneut Zweifel an Boris Johnsons politischer Integrität laut werden / dpa

Umstrittenes Gesetz zu Nordirland-Protokoll - „Rechtsbruch“, „Handelskrieg“: Boris Johnson spielt mit dem Feuer

Boris Johnson lässt im britischen Unterhaus ein Gesetz vorlegen, das nach Meinung der Europäischen Union den britischen Scheidungsvertrag bricht. Das Nordirland-Protokoll soll damit einseitig außer Kraft gesetzt werden. Einmal mehr gerät die Achillesferse des britischen Regierungschefs unters Schlaglicht: Sein Charakter.

Tessa Szyszkowitz

Autoreninfo

Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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Sehr unzeremoniell für britische Gepflogenheiten präsentierte Boris Johnsons Regierung am Montagabend ein Gesetz, das gehörige Sprengkraft in sich trägt. Die Sponsorin des Gesetzes, Außenministerin Liz Truss, erschien gar nicht erst im Unterhaus. Eine Parlamentssprecherin verkündete trocken, dass die Northern Ireland Protocol Bill jetzt hinterlegt sei und gleich darauf erschien der Text auf der Webseite des Parlaments.

EU-Vizekommissionspräsident warnt vor einseitigen Schritten

Das neue Gesetz, das in den nächsten Wochen durch die Parlamentskammern geht, setzt Teile des Brexit-Vertrages außer Kraft, den Regierungschef Boris Johnson mit der EU unterzeichnet hat. Die britische Regierung greift in die Abwicklung der Kontrollen von Gütern ein, die von Großbritannien nach Nordirland geschickt werden. Die von der EU geforderten Kontrollen von Gütern sollen zum Teil nicht mehr stattfinden. Für britische Firmen soll es möglich werden, entweder nach EU oder nach britischen Standards nach Nordirland zu exportieren. Außerdem soll ein grüner Kanal für Güter eingerichtet werden, die nur für Nordirland bestimmt sind und nicht nach Irland weiterreisen. Und der Europäische Gerichtshof soll nicht mehr als Schiedsgericht für Streitfälle akzeptiert werden.

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Dorothee Sehrt-Irrek | Di., 14. Juni 2022 - 14:59

Charakterstudien ersetzen Welt-Politik?
Die Journalistin kann es doch weit besser!
Eine andere Frage ist, ob England Johnsons politischem Niveau zu folgen vermag oder es etwa aus guten Gründen ablehnt.
Über diese Gründe sollte diskutiert werden.
Ich sehe nicht ein, hier darzulegen, worum es eigentlich gehen könnte.
Das kann Frau Szyszkowitz bedeutend besser als ich.

Robert Hans Stein | Di., 14. Juni 2022 - 15:08

Wir wollen mal nicht vergessen, dass die Briten diese für sie bittere Pille nur geschluckt haben, um endlich den Austritt aus der EU zu bekommen. May hatte es in Aussicht gestellt, Johnson konnte nur schwer hinter diese Position zurück. Also gab er nach, um den Brexit hinzubekommen. Die Einhaltung dürfte er nie im Sinne gehabt haben. Mir ist die britische Haltung verständlich, denn Nordirland ist Teil des Vereinigten Königreiches. Es ist schwer, Nachteile, die aus einem erzwungenen Deal erwachsen zu akzeptieren. Deshalb sucht die Regierung Johnson nach einem Ausweg. Andererseits sind Verträge einzuhalten, (auch erzwungene?). Wie dem auch sei, wenn die Nachteile des Handelskrieges überschaubar bleiben, werden sich die Briten nicht abhalten lassen, Nordirland als das zu bahandeln was es ist - integraler Bestandteil Großbritanniens. Souveränitätsrechte abzutrotzen auch nicht die klügste Idee der EU-Verhandler. Alles Gute, GB.

auch wenn Ihnen irgendwelche D-Exit-Fanatiker aus der AfD-Kolonne sogleich Beifall zollen.

Die Krux ist nämlich auf der irischen Insel begraben. Dort gibt es fortan Probleme, die es vor dem Brexit nicht gab. So einfach ist das.

Setzt Johnson sich durch, wird es - möglicherweise - bald wieder Grenzkontrollen zwischen der Republik Irland (als EU-Mitglied) und Großbritannien (Nordirland) geben.

Eigentlich sind Grenzkontrollen ja genau das, was Johnson auch haben wollte. Nur mit einer Ausnahme: Bitte nicht zwischen Irland und Nordirland. Denn da könnten solche Kontrollen - fürchten viele - zu einem Wiederaufflammen des Bürgerkriegs führen. D.h. also: Johnson möchte zwar Kontrollen, aber bitte nur nach seinem Geschmack. Die EU möchte sich doch bitte danach richten.

Bei den letzten Wahlen in NI haben allerdings die pro-EU-Katholiken die Mehrheit erreicht. Die Protestanten fürchten, nicht mehr vollständiges Mitglied GBs zu sein - wegen der Zollgrenze mitten in der irischen See.

Christoph Kuhlmann | Di., 14. Juni 2022 - 15:50

Johnson verschafft sich damit einerseits Zuspruch bei seinen Wählern, die starke Worte und einen furchtlosen Ministerpräsidenten zu schätzen wissen. Das wird sich in den Umfragen auswirken, die eine Rolle spielen wenn er wieder abgesetzt werden soll. Anderseits muss er keinen Handelskrieg mit der EU befürchten, da das Oberhaus die Sache sowieso verzögert. Dass könnte nämlich zu ernsten Konsequenzen für die Wirtschaft des Landes führen. Kurz vor den Wahlen noch eine fette Wirtschaftskrise des sowieso bereits rezessionsgeplagten Englands, das bereits das erste Quartal mit Negativwachstum zu verzeichnen hat wäre das letzte was Johnson gebrauchen kann. Es steht auch nicht zu befürchten, dass die EU einen weiteren Vertrag mit einem Premier aushandelt, der sich weder an die eigenen Gesetze hält noch an die Verträge, die er vor kurzem unterzeichnete. A storm in the british teacup - weiter nichts.

Gerhard Lenz | Di., 14. Juni 2022 - 19:53

Schließlich möchte er als der Politiker in die Geschichtsbücher eingehen, der Britannien von der "Versklavung" durch die EU befreit und sein Land zurück zu alter Größe geführt hat - also eine Art Churchill II.

Da kann der sendungsbewusste Narzisst doch nicht in Kauf nehmen, dass sich unter seiner "Regentschaft" ein Teil des Landes - Nordirland - von Britannien allmählich verabschiedet! Johnson, der Premier, unter dem Britannien nicht wächst, sondern schrumpft, weil es irgendwann vielleicht Territorium an ein EU-Land (Irland) abgibt, wo er die EU doch gerade höchst persönlich besiegt hat? Ausgeschlossen!

Lieber mimt er weiherhin den eisernen Verteidiger angeblicher britischer Interessen, der auch vor einem Handelskrieg mit der EU nicht zurückschreckt. Schlimmer noch: Selbst ein Aufleben der "Troubles" in Northern-Ireland mit all den Toten und Verwüstungen scheint für ihn akzeptabler, als sich an bereits geschlossene Verträge zu halten.

Britannien unter Johnson kann nur verlieren.