Boris Johnson
Es brodelt in Großbritannien: Premier Johnson, einstiger Publikumsliebling / dpa

"Partygate"-Affäre um gebrochene Corona-Regeln - Boris Johnson behält sein Amt - und die Briten ihr Misstrauen

"Partygate" hat den einstigen Publikumsliebling Boris Johnson in den eigenen Reihen zur Persona Non Grata gemacht. Das Misstrauensvotum gegen den Premier ist seit Dienstag vom Tisch – doch mit seinem skandalösen Verhalten während des Corona-Lockdowns hat Johnson eine Rebellion an der Tory-Basis losgetreten, die ihm schon bald zum Verhängnis werden könnte.

Tessa Szyszkowitz

Autoreninfo

Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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William Hague, von 1997 bis 2001 selbst Parteichef der Tory-Partei, ruft seinen Nachfolger Boris Johnson zum Rücktritt auf: „Es ist so als würde man mit zwei geplatzten Reifen weiter auf der Autobahn fahren“, sagte Hague im „Times Radio“ am Dienstagvormittag, „und dabei sagen: Ich sitze immer noch am Steuer.“

Boris Johnson aber will nicht auf seinen Vorgänger hören. Am Montagabend hatten ihm zwar 41 Prozent der eigenen konservativen Abgeordneten im britischen Unterhaus das Misstrauen ausgesprochen. Am nächsten Morgen aber schwor der umstrittene konservative Parteichef und Premierminister bei einer Kabinettssitzung erst mal seine Ministerinnen und Minister auf einen Schulterschluss ein: „Ziehen wir einen Strich unter Partygate! Das ist eine Regierung, die das umsetzt, was die Menschen in diesem Land am meisten brauchen.“

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Kai Hügle | Mi., 8. Juni 2022 - 06:28

Johnson wurde mit dem silbernen Löffel im Mund geboren und hat keine Berufserfahrung außerhalb einer unrühmlichen Karriere als Journalist (bei der renommierten "Times" wurde er entlassen, nachdem er ein Zitat verfälscht hatte).
Auch als Politiker haufenweise Lügen und peinliche Auftritte. "Partygate" ist ja nur die Spitze des Eisbergs.
Seit Wochen verlangen ungefähr 60% der Briten den unverzüglichen Rücktritt ihres PM, und mehr als 40% der konservativen Abgeordneten misstrauen ihm
In dieser Situation kommt ihm seine Kernkompetenz zugute: er ist vollkommen schmerzfrei bzw funktioniert nach der Methode "Ist der Ruf erst ruiniert, regiert's sich völlig ungeniert". Man wird sehen, wie lange der Mann noch durchhält.
In diesem Forum ist ihm Sympathie indes gewiss, denn er hat den Brexit vollzogen. Daher sage ich mindestens einen Leserkommentar voraus, in dem die Formulierung "hüben wie drüben" vorkommt oder etwas Ähnliches, um diese Witzblattfigur in Schutz zu nehmen.

Karl-Heinz Weiß | Mi., 8. Juni 2022 - 10:04

Antwort auf von Kai Hügle

@Herr Hügle, man muss sich allerdings fragen, warum die so pragmatischen Engländer nach solchen Politikern geradezu gieren? Liegt es an den englischen Massenmedien, deren Geschäftsmodell Häme, Herabsetzung und Schadenfreude ist?

Das Niveau der britischen Boulevardpresse ist sicher noch unter dem der deutschen. Das erklärt m. E. aber weder die Wahl eines Politclowns wie Johnson noch dessen Absturz. May, Cameron und Brown waren auch sehr schwache und unbeliebte Premierminister, aber die hatten zumindest noch ein Gespür für politische Verantwortung. Dies ist bei Johnson nicht einmal ansatzweise vorhanden.
Angesichts von Zustimmungswerten von 24% kann man jedenfalls nicht davon sprechen, dass die Briten noch sonderlich viel Lust hätten auf ihren völlug diskreditierten PM. Dem Land wäre endlich mal wieder ein seriöser und kompetenter Regierungschef zu wünschen. Andererseits gibt es derzeit weder bei den Tories noch bei Labour Politiker, denen man zutraut, die Folgen des Brexit und der Pandemie in den Griff zu kriegen.

Danke, Herr Konrad. Ich wusste, Sie würden liefern und meine Vorhersage bestätigen..?

Holger Hoffmann | Mi., 8. Juni 2022 - 14:50

Antwort auf von Kai Hügle

@Kai Hügle: wenn Sie in Ihrem Kommentar Johnson durch Baerbock ersetzen, passt er ebenfalls. In Deutschland gibt es seit einigen Jahren ein weltweit seltenes Phänomen: den Dreck vor der eigenen Tür wollen wir nicht sehen oder euphemisieren ihn. Anstatt dessen beschäftigen wir uns als Substitut mit den vermeintlich bösen Buben fremder Länder. Wir werden hart landen.

Ernst-Günther Konrad | Mi., 8. Juni 2022 - 07:50

Ob Johnson den Druck aushalten kann und wird müssen die Briten in ihren Wahlen entscheiden. Es ist doch überall ein Zeichen der "neuen" Politik, das politische "Sterne" aufsteigen wegen eines Themas und sodann im Arbeitsalltag an anderen Themen scheitern. Auch BJ dürfte das gewusst haben als er Premier wurde und ob das den Tories am Ende genau wegen dieses "versuchten" Königsmordes schaden wird könnten die nächsten Wahlen dort zeigen. Warum sollte er wegen Corona Fehlverhalten zurücktreten? Das haben etliche Politiker in anderen Staaten mit ähnlichen Verfehlungen und gar persönliche Bereicherung auch getan und sind noch im Amt. Und das sich Politiker nicht an die eigenen Gesetze halten ist doch seit Jahren gang und gäbe. Und noch fehlt den Tories ein Nachfolger. Letztlich müssen die Briten entscheiden, wieviel Wert BJ bei ihnen noch hat. Und wir sollten nicht vergessen, dass die "abtrünnigen" Tories wieder in den EU-Binnenmarkt wollen und einige bei uns links-grüne Themen vertreten.

Dorothee Sehrt-Irrek | Mi., 8. Juni 2022 - 08:58

Ein ganz bisschen lesen sich Ihre Artikel, als würden Sie solange vom Rücktritt Johnsons schreiben, bis er das dann auch mal macht.
Dies verifiziert Ihre Berichterstattung nicht im Nachhinein.
Die Briten sind aufmerksam und selbstbewußt, aber nicht moralinsauer.
Sie können global denken und handeln und das schon seit Jahrhunderten.
Wenn eine andere Lichtgestalt die politische Bühne betritt, werden Johnsons Chancen gerade wegen seiner "Eskapaden" rasch sinken.
Er scheint mir aber ein guter Stratege in vielerlei Hinsicht und durchaus fähig, einen Nord/Ostseepakt auf die Beine zu stellen.
Kurz, meine Interessen an Johnson bleiben und ich wüßte nicht, warum das nicht auch teilweise britische Interessen sein könnten.

Christoph Kuhlmann | Mi., 8. Juni 2022 - 10:24

Die Skandale überlagern sich. Wer denkt heute noch an fremdfinanzierte goldene Tapeten in Downing Street no. 10? Da soll sich die Investition doch lohnen. Ich schätze die Tories halten noch ein par Monate still, bis sich ein Nachfolger in Stellung bringt. Soviel Zeit hat er noch um beim Wähler zu punkten.